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Migration: CDU debattiert Ruanda-Plan für Asylbewerber

Ben Knight
28. Dezember 2023

Die Opposition in Deutschland will Asylbewerber nach dem Vorbild Großbritanniens zur Prüfung der Anträge in Drittländer abschieben. Experten zweifeln.

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Friedrich Merz spricht in ein Mikrophon, rechts von ihm steht Carsten Linnemann.
Friedrich Merz (li.), CDU-Chef und Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, stellt im vergangenen April neben Carsten Linnemann, jetzt Generalsekretär, die Mitgliederumfrage zum Grundsatzprogramm der CDU vorBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

In Deutschland wird seit Jahren versucht, die irreguläre Migration zu begrenzen. Bisher ohne großen Erfolg. Für neue Diskussionen sorgt nun die konservative Christlich Demokratische Union (CDU). Sie hat Pläne zur Abschiebung von Asylbewerbern in Drittstaaten in den Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms aufgenommen. Anfang kommenden Jahres soll es verabschiedet werden.

Demnach sollen Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Europa direkt in Drittstaaten gebracht werden, nämlich in Partnerländer außerhalb der EU. Dort sollen die Asylverfahren durchgeführt werden. Die Bundesregierung hat zugesagt, das "Ruanda-Modell", dass sich am britischen Vorbild orientiert, zu prüfen.

Drastische Reduzierung der Einwanderung als Ziel

Nach Veröffentlichung des Entwurfs betonte der CDU-Parlamentarier Jens Spahn, dass ein solcher Plan die "irreguläre Einwanderung" nach Deutschland drastisch reduzieren würde. "Wenn wir das vier, sechs oder acht Wochen lang konsequent durchziehen, dann werden die Zahlen dramatisch zurückgehen", sagte Spahn der Neuen Osnabrücker Zeitung vor Weihnachten.

Jens Spahn steht hinter dem Rednerpult im Bundestag.
Jens Spahn während einer Rede im BundestagBild: dts Nachrichtenagentur/IMAGO

Die Regelung würde Migranten davon abhalten, das Mittelmeer zu überqueren, so die Argumentation. Spahns sagte, dass mehrere Länder bereit wären, Angebote zur Aufnahme von Migranten zu machen: "Ruanda wäre wohl dazu bereit. Ghana möglicherweise auch. Auch mit osteuropäischen Ländern wie Georgien, Moldawien sollten wir sprechen", so das Präsidiumsmitglied der CDU.

Britischer Vorschlag: Schlappe vor Gericht

Spahn äußerte sich optimistisch, obwohl das 2022 unterzeichnete Abkommen Großbritanniens mit Ruanda im vergangenen Monat auf eine rechtliche Hürde stieß. Der Oberste Gerichtshof Großbritanniens entschied, dass "die Abschiebung nach Ruanda die Antragsteller einem realen Risiko der Misshandlung aussetzen würde". Das Gericht stellte fest, dass es keine Möglichkeit gibt, zu garantieren, dass das ruandische Asylsystem fair und menschenwürdig ist.

Die britische Regierung hält dennoch an ihrem Plan fest und beharrt darauf, dass die Regelung mit einigen Änderungen realisiert werden kann. Inzwischen hat sie ein neues Abkommen mit Ruanda unterzeichnet. Allerdings zahlte das Vereinigte Königreich dem afrikanischen Land bereits umgerechnet 280 Millionen Euro, wobei im nächsten Jahr weitere rund 58 Millionen Euro fällig werden. Dabei hat Großbritannien noch keinen einzigen Migranten nach Ruanda abgeschoben.

Deutschland ergreift Maßnahmen zur Verschärfung der Asylpolitik

Dänemark führte ähnliche Gespräche mit der ruandischen Regierung wie das Vereinigte Königreich. Allerdings wurde noch keine Vereinbarung unterzeichnet. Denn Dänemark hofft, den Plan in Abstimmung mit anderen EU-Ländern umsetzen zu können. Vergangene Woche stellte dann die EU ihren Asylreformplan vor, der darauf abzielt, Asylsuchende direkt an den EU-Außengrenzen aufzuhalten, ihre Anträge zu überprüfen und sie gegebenenfalls von dort aus abzuschieben.

Nach Einschätzung des Migrationsforschers Gerald Knaus ist der Entwurf der CDU zwar etwas vage, könne aber durchaus dazu führen, dass sich Menschen nicht auf gefährliche Migrationsrouten begeben. "Ruanda nimmt teil unter der Annahme, dass eine glaubwürdige Drittstaaten-Asylpolitik die Menschen davon abhalten wird und dann auch die Zahl der Überstellungen zurückgehen wird", sagt er der DW.

Eine Gruppe von Erwachsenen mit einem Kind und Koffern betreten ein Flughafen-Terminal.
Abgelehnte Asylbewerber, die auf dem Flughafen im hessischen Calden freiwillig ausreisenBild: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

"Die britischen Gerichte haben gezeigt, wie man das nicht macht", fügt Knaus hinzu. Er ist der Ansicht, dass die deutsche Regierung viel von den Gerichtsurteilen lernen kann.

Die Idee, Asylgesuche im Ausland zu bearbeiten, ist nicht neu. Die derzeitige Mitte-Links-Regierung in Deutschland vereinbarte in ihrem Koalitionsvertrag zu prüfen, "ob die Feststellung des Schutzstatus in Ausnahmefällen in Drittstaaten unter Beachtung der Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention möglich ist".

Lampedusa, Italien | Asylreform in der EU
Ein Boot der italienischen Küstenwache hat im September 2023 vor der Insel Lampedusa Schiffbrüchige aufgenommenBild: Yara Nardi/REUTERS

Es gibt verschiedene Modelle, wie dies erreicht werden kann. Nach Ansicht einiger Experten ist das Ruanda-Modell eines der am wenigsten praktikablen, sowohl rechtlich als auch logistisch. Ein realistischeres Modell könnte das Abkommen darstellen, das Italien und Albanien im vergangenen Monat unterzeichneten. Es sieht vor, dass Migranten, die in internationalen Gewässern im Mittelmeer aufgegriffen werden, nach Albanien gebracht werden. Dort können sie einen Asylantrag stellen.

Ausnahmen für Menschen in Notlage

Einerseits wirft dieses Abkommen Fragen zu den rechtlichen und ethischen Auswirkungen auf; andererseits enthält es einige Vereinbarungen zum Schutz Geflüchteter: Frauen, Kinder und Menschen, die sich in einer außergewöhnlichen Notlage befinden, sind davon ausgenommen. Ebenso Menschen, die bereits in italienische Gewässer gelangt sind. Außerdem werden die Asylanträge in Albanien von italienischen Beamten bearbeitet, die laut Italien an das EU-Asylrecht gebunden sind. Darüber hinaus sollen sowohl bewilligte als auch abgelehnte Asylbewerber nach Italien zurückgebracht werden - die bewilligten dürfen sich dort niederlassen, während abgelehnten Bewerber abgeschoben werden sollen.

In Deutschlands Flüchtlingsunterkünften wird es eng

Dennoch, so Lorenzo Piccoli, Forscher für Migrationspolitik am Robert-Schuman-Zentrum des European University Institutes in Florenz, Italien, "gibt es starke Gründe, an der Wirksamkeit solcher Pläne zu zweifeln. Sie sind extrem kostspielig und betreffen nur eine relativ kleine Anzahl von Menschen". Einer dieser Gründe ist, dass laut einer Studie der EU-Kommission von 2018 nicht klar ist, ob EU-Recht außerhalb der Union angewendet werden kann, wie Italien behauptet. Ebenso unklar ist, wie Italien die Logistik und Organisation meistern will. Es müsste etwa entschieden werden, wer von den meist traumatisierten Migranten auf den Schiffen in internationalen Gewässern nach Italien gebracht wird und wer nach Albanien.

Große Hürden für Regelung der Weltflüchtlingshilfe

Ein anderes System für die Bearbeitung von Asylanträgen in Drittländern ist immerhin bereits in Kraft: das Umsiedlungs-Programm der Weltflüchtlingshilfe UNHCR, das Asylanträge in Transitländern wie Jordanien bearbeitet. Sobald die Anträge bewilligt sind, sucht das UNHCR nach Ländern, die bereit sind, Bewerber aufzunehmen. Doch genau hier wird es schwierig: Wie das UNHCR erklärte, waren im Jahr 2021 mehr als 1,4 Millionen Menschen auf eine neue Heimat angewiesen, von denen nur 63.000 neu angesiedelt wurden. Für das Jahr 2023 wird mit einem weltweiten Umsiedlungsbedarf von mehr als zwei Millionen Menschen gerechnet.

Eine Familie mit drei Kindern geht den Gang einer Flüchtlingsunterkunft entlang.
Eine Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände der Messe Frankfurt am MainBild: epd

Eine zufriedenstellende Lösung im Umgang mit der Migration ist bisher nicht gefunden worden. Vor allem das "Ruanda-Modell" bewertet Migrationsforscher Piccoli in seiner Wirkung als eher politisch denn praktisch. "Indem damit demonstriert wird, dass die Bedingungen für Asylsuchende erschwert werden sollen, wollen politische Parteien politische Ziele erreichen", sagt Piccoli. "In der Praxis sind solche Vorschläge rechtlich zweifelhaft, wie wir bei der Vereinbarung zwischen dem Vereinigten Königreich und Ruanda gesehen haben. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Zahl der Asylsuchenden dadurch nennenswert ändert."

Der Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.