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TikTok-Trend: Chinesen auf dem Weg in die USA

Franziska Wüst (DW Washington)
26. Februar 2024

Schwache Konjunktur und politische Repression treiben immer mehr Chinesen ins Ausland. Viele suchen ein besseres Leben in den USA. Auf TikTok und YouTube erfahren sie, wie sie dorthin gelangen.

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Im Vordergrund der geschlossene Kofferraum eines Autos mit der Aufschrift "Border Patrol" (Grenzpatrouille), dahinter steht eine Reihe Menschen
In unregelmäßigen Abständen sammeln Autos der US-Grenzschutzbehörde Migranten ein und bringen sie zur Registrierung in Transitzentren Bild: Franziska Wüst/DW

Die Haut unterhalb von Guos Hosenbein ist rau, seine Füße stecken trotz der Kälte in staubigen Plastiksandalen. Er habe sie unterwegs in Kolumbien gekauft, sagt der 24-Jährige - auf einer Migrationsroute, die vor allem Menschen aus Südamerika und der Karibik nutzen, um in die USA zu gelangen. Aber auch immer mehr Chinesen sind dort unterwegs sind. So wie Guo.

Begonnen hat der junge Mann seine Reise in Shenzhen, im Südosten Chinas. Von dort flog er zunächst nach Ecuador: "Die meisten von uns gehen nach Ecuador, weil man dort mit einem chinesischen Pass ohne Visum einreisen kann." Den Rest der Strecke habe er auf dem Landweg zurückgelegt, unter anderem durch den Darien-Dschungel, ein schier undurchdringliches Regenwaldgebiet zwischen Kolumbien und Panama. So gelangte er schließlich in die kalifornische Kleinstadt Jacumba Hot Springs, 60 Kilometer östlich von San Diego.

Durch die grüne Hölle - Migration im Darién Gap

Guo sitzt auf einer Plastikplane auf dem Boden. Seine Arme hat er um die Knie geschlungen, um sich vor der morgentlichen Kälte in der Wüste zu schützen. In China hat er als Mechaniker in einer Fabrik gearbeitet, sein Englisch ist gebrochen. Trotzdem ist er euphorisch: "Es ist so aufregend, endlich hier in den USA zu sein."

Mit 50 anderen Menschen hat er heute Nacht den Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA durchquert. Die Migranten, die hier ankommen, schlüpfen durch Löcher im massiven Grenzzaun zwischen den USA und Mexiko, wie das "San Judas Break" bei Jacumba. Nun warten sie in einer Schlange darauf, dass die US-Grenzschutzbehörde sie abholt und sie offiziell Asyl beantragen können. Einige tragen Daunenjacken, andere wickeln Decken um ihren Körper. Sie haben wenig Gepäck, nur zwei von ihnen tragen kleine Rollkoffer bei sich. Der Großteil von ihnen kommt aus China.

Eine Lücke am Ende des Grenzzauns, von dem Stacheldraht herunterhängt. Darin verfangen sich Kleidungsstücke und Müll
Das "San Judas Break": Tausende Migranten sind bereits durch diese Lücke im Grenzzaun von Mexiko in die USA gelangtBild: Franziska Wüst/DW

Chinesen sind die am schnellsten wachsende Migrantengruppe

Laut Daten der US-Grenzbehörde ist der Anteil der Chinesen an den landesweiten illegalen Grenzübertritte mit rund 2,5 Prozent immer noch klein. Doch sie gehören zu den am schnellsten wachsenden Migrantengruppen - vor allem an der Südgrenze der USA. Zwischen Oktober 2023 und Januar 2024 registrierten die Grenzer dort knapp 19.000 illegale Grenzübertritte durch chinesische Staatsbürger. Im selben Zeitraum 2021, als noch Reisebeschränkungen wegen der Corona-Pandemie galten, waren es ganze 55. Ihre Zahl hat sich also im Durchschnitt jedes Jahr versiebenfacht.

"Einige Politiker warnen seit 2020 vor einem dramatischen Anstieg der Migration aus China", sagt Michelle Mittelstadt vom Migration Policy Institute in Washington, DC, und weist darauf hin, dass Chinas Reise-Beschränkungen während der Corona-Pandemie zu den striktesten und längsten weltweit gehörten. "Dadurch haben nun die Migrationsbewegungen, die sich ab Anfang 2020 künstlich aufgestaut hatten, wieder eingesetzt."

Eine Reihe Menschen mit verpixelten Gesichtern steht vor Steinhügeln
Migranten warten auf die Grenzschutzbehörde, aus Angst vor der chinesischen Regierung wollen sie nicht erkannt werdenBild: Franziska Wüst/DW

Treiben Visa-Regelungen Chinesen auf die Landroute?

Dass so viele von ihnen die Route über die mexikanische Grenze wählen, liege unter anderem an den Visa-Beschränkungen der USA und den langen Wartezeiten für chinesische Staatsangehörige, sagt Mittelstadt. Auch die Aufnahmekriterien könnten ein Grund dafür sein, erklärt Ian Johnson, Senior Fellow für Sinologie beim US-Thinktank Council on Foreign Relations: "Das ist nicht so einfach. Man muss zeigen, dass man wieder ausreisen wird und dass man genug Geld hat."

Die Chancen auf Asyl hingegen stehen für Chinesen nicht schlecht: Laut Justizministerium wurden im Geschäftsjahr 2023 mehr als 50 Prozent der Asylanträge von chinesischen Staatsbürgern positiv entschieden, während nur vier Prozent der Asylanträge mexikanischer Staatsangehöriger genehmigt wurden.

"Zouxian" trendet in den Sozialen Medien 

"Ich habe all diese Informationen aus dem Internet, von TikTok", erklärt Guo und holt sein Handy aus der Tasche. Social-Media-Kanäle auf Kurzvideo-Plattformen und Messenger-Diensten zeigen die besten Routen von China in die USA, geben Schritt-für-Schritt-Anleitungen, empfehlen Unterkünfte und Transportmittel oder erklären, wie viel die Bestechung von Polizisten in den verschiedenen Ländern kostet.

Zwei offene Metallrohre beinhalten Geldscheine und ein Handy
Ein User auf YouTube zeigt in einem Video wie sich "Fallstricke" auf der Fluchtroute vermeiden lassenBild: 徐有鬼/youtube

Für die Einreise über die US-Südgrenze hat sich der Begriff "Zouxian" etabliert, der so viel bedeutet wie "Nimm das Risiko". Seine Verbreitung in Sozialen Medien verleitet viele junge Chinesen dazu, sich auf den Weg zu machen. "In China sind die Menschen bei der Informationsbeschaffung stärker auf die sozialen Medien angewiesen", sagt China-Experte Johnson. "In westlichen Ländern würde man sagen: 'Was sagen die Mainstream-Medien dazu?' Aber in China gibt es keine Möglichkeit, die Fakten zu überprüfen." Er sieht die Gefahr, dass viele von ihnen nicht genau wissen, worauf sie sich einlassen.

Freiwillige betreiben Flüchtlingscamps an der Grenze 

"Sie sind meist besser gekleidet und wohlhabender. Bei der Grenzkontrolle werden sie aufgefordert, ihr Geld herauszuholen und zu zählen. Ich habe einige ziemlich große Geldstapel gesehen", sagt Sam Schultz über chinesische Migranten. Er ist ein Einwohner Jacumbas, der im, wie er es nennt, "Jacumba Migrant Camp" arbeitet.

Ein Mann in militärischer Kleidung steht vor dem Grenzzaun
Der Quäker Sam Schultz versorgt neu angekommene Migranten auf der US-Seite der GrenzeBild: Franziska Wüst/DW

Es ist kein offizielles Lager, sondern ein provisorischer Aufbau: Heute besteht es aus vier mobilen Toilettenkabinen und ein paar zerfetzten Zelten. Laut den Freiwilligen vor Ort kommt die US-Grenzbehörde regelmäßig und räumt die Überbleibsel weg, damit die Migranten nicht das Gefühl kriegen, willkommen zu sein.

Schultz trägt eine graue Feldmütze und olivgrüne Kleidung, um seine Hüften ist ein wuchtiger Gürtel gespannt. Ein paar andere Helfer hier nennen ihn "den Captain". Als im Mai letzten Jahres die Zahl der Migranten an der Grenze stieg, hat er gemeinsam mit seiner Familie damit begonnen zu helfen. Er ist Quäker, also Mitglied einer christliche Religionsgemeinschaft, deren Glaube keine Diskriminierung von Individuen und Gruppen zulässt. Schultz hat lange als Entwicklungshelfer gearbeitet. Er sagt, er habe keine andere Wahl, als den Menschen zu helfen, wenn es sonst niemand tue.

Zwischen zwei großen Steinen liegen Plastikplanen, leere Wasserflaschen und die ausgebrannte Asche eines Lagerfeuers
Verloschene Lagerfeuer und alte Plastikplanen an der Stelle, an der Migranten die Nacht verbracht habenBild: Franziska Wüst/DW

Jeden Morgen fährt er mit seiner Frau und seinem Sohn an die Grenze. Auf der Ladefläche ihres Jeeps bringen sie Wasserflaschen und warme Jacken für die Neuankömmlinge mit. Sams Sohn läuft die Schlange der Migranten mit Informationsblättern in den Händen ab - heute viele auf Chinesisch. Die Helfer finanzieren ihre Arbeit über Spenden, Unterstützung aus der Politik gibt es nicht.

Junge Chinesen verlieren die Hoffnung auf berufliche Zukunft

"China hat viele Probleme. Junge Leute können sich die Hauspreise in der Stadt nicht leisten", sagt Guo. Dass die USA eine Demokratie und starke Wirtschaftsnation seien, habe er schon gewusst, als er sehr jung war.

Chinas Wirtschaft befindet sich laut Experten auf einem Abwärtskurs. Die Bevölkerung hat mit hoher Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen und Beobachter prognostizieren eine Deflation für das kommende Jahr. Das könnte zu einer Abwärtsspirale führen, mit einem Konsumeinbruch, Unternehmenspleiten und Massenarbeitslosigkeit. Und das habe dann nicht mehr nur Folgen für die Ärmsten, erklärt Ian Johnson vom Council on Foreign Relations: "Der wirtschaftliche Abschwung betrifft breitere Bevölkerungsschichten, einschließlich der unteren Mittelschicht." Hinzu komme die verstärkte politische Verfolgung unter Staatspräsident Xi Jinping.

Eine Reihe Menschen von hinten steht vor einem Auto mit offenem Kofferraum
Chinesische Migranten haben sich in einer Reihe am Auto einer Hilfsorganisation angestellt, die Daunenjacken verteiltBild: Franziska Wüst/DW

Guos Familie weiß nicht, dass er in die USA geflohen ist: "Ich habe kein gutes Verhältnis zu meiner Familie, weil ich eine völlig andere Meinung über die Regierung, über die Kommunistische Partei Chinas, über diese Welt habe. Ich mag keinen Totalitarismus."

Wie lange Guo hier noch sitzen wird, ist unklar. Die weißen Jeeps der Grenzbehörden fahren Streife. Es kann einige Stunden dauern, bis er abgeholt wird - oder eine weitere Nacht. Angst davor, zurückgeschickt zu werden, hat er nicht. Sein Plan: "Einen Job finden, um ein besseres Leben zu haben. Und in ein paar Jahren will ich Trucker werden."

Illegal von Mexiko in die USA