1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nichts geht mehr: Deutschlands Winteralbtraum

Nicolas Martin
5. Dezember 2023

Nach dem Schnee kam die Glätte - und wieder steckten Flugpassagiere und Bahnreisende fest. Warum ist Deutschland so schlecht auf diesen Traumwinter vorbereitet?

https://p.dw.com/p/4Znll
Deutschland München | Schneechaos in Süddeutschland | Münchner Flughafen
Flughafen München: An einem Wochenende so viel Schnee wie in einer ganzen SaisonBild: Angelika Warmuth/REUTERS

Es ist ein Kuriosum und zeigt doch die Auswirkungen des plötzlichen Wintereinbruchs in Deutschland: Wegen Schnee und Glätte müssen viele Menschen im Süden des Bundeslandes Bayern länger auf ihrer Pakete und Briefe warten. Der Grund: Es fahren noch immer kaum Züge und Busse und die Mitarbeiter von Zustelldiensten schaffen es deshalb nicht zur Arbeit.

Viele internationale Fluggäste am Münchener Airport trifft es deutlich schlimmer: Sie warten nicht auf einen Brief, sondern manche schon seit Tagen auf einen Anschlussflug. Hunderte Passagiere mussten auf Deutschlands zweitgrößtem Flughafen übernachten - auf Feldbetten und Liegestühlen. Die Stimmung sei angespannt, aber verständnisvoll, berichtet Flughafensprecher Henner Euting der DW. Am Wochenende sei die Schneemenge einer kompletten Wintersaison gefallen. "Der Schnee ist sehr feucht und kompakt gewesen und war deshalb schwer zu räumen."

Sind skandinavische Länder besser vorbereitet?

Als der Schnee dann geräumt war, lief der Betrieb kurz wieder an. Doch dann kam der Eisregen und wieder musste der Flughafen München alle Flüge absagen. Und damit nicht genug: Weil viele Münchener Passagiere nach Frankfurt umgeleitet wurden, kam es nun dort zu Engpässen. Mit dem Zug von München nach Frankfurt zu fahren war ebenfalls keine Alternative: Auch am Hauptbahnhof der bayerischen Landeshauptstadt regierte der Stillstand. Die Bahn findet nach dem Schneewochenende nur schwer wieder in den Normalbetrieb zurück. Kein Wunder: An über 80 Stellen waren durch Schnee und Eis die Oberleitungen beschädigt. Und von Normalität ist man noch weit entfernt, denn laut Deutsche Bahn ist der Verkehr noch bis Mittwochabend stark beeinträchtigt. Nach wie vor wird empfohlen, Reisen nach München zu verschieben.   

Norwegen | Wintereinbruch Oslo Airport
Normalbetrieb trotz Wintereinbruch auf dem Flughafen in OsloBild: Stian Lysberg Solum/NTB/picture alliance

Bei all diesen Ausfällen stellt sich die Frage, ob das Schneechaos hätte verhindert werden können und was es eigentlich kostet? Das zu beziffern sei schwer, sagt Michael Santo vom Vorstand der H&Z Unternehmensberatung mit Fokus auf Logistik und Lieferketten. Er gehe aber von einem dreistelligen Millionenbetrag aus.

Wie könnte man sich also besser vorbereiten? Sind andere Länder im Norden Europas wie etwa Norwegen, Schweden oder Finnland technisch einfach weiter? Von Flugchaos oder Bahnstörungen hört man dort wenig. Der Flughafen Oslo beispielsweise gilt laut der Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt Eurocontrol als der pünktlichste Flughafen in Europa - und das trotz circa 50 bis 60 Schneetagen im Jahr. "Wir haben im Winter noch nie geschlossen", schreibt Avinor, der Flughafenbetreiber von Olso, auf DW-Anfrage. Starke Schneefälle könnten aber den Betrieb erschweren und auch zu Verspätungen und auch Stornierungen führen.

In Skandinavien würden teils erheblich größere Kapazitäten vorgehalten "und die Auslastung dieser Flughäfen ist in keinerlei Weise mit den Drehkreuzen wie München oder Frankfurt vergleichbar", sagt Logistikexperte Santo. Hinzu komme, dass die Schneemengen an diesem Wochenende wirklich alle Räumkapazitäten gesprengt hätten. "Der Wintereinbruch insbesondere in Bayern stellt eine wirkliche Ausnahmesituation dar."

München | Wintereinbruch in Süddeutschland
Nichts geht mehr: Ein ICE steht nach starkem Schneefall am Hauptbahnhof München. Bild: Matthias Schrader/AP/dpa

Allein von Freitag auf Samstag hatte es in München bis zu 44 Zentimeter Neuschnee gegeben - das ist mehr als jemals seit Aufzeichnung der Niederschlagsmengen an einem Tag fiel.  Der bisherige Rekordwert wurde auf den Dezember 1938 datiert: 43 Zentimeter fielen damals an einem Tag. Am Münchner Flughafen hat der Winterdienst seit Anfang November Bereitschaft. 150 bis 200 Personen arbeiten hier im Zweischichtbetrieb mit jeweils 12-Stunden-Schichten - doch das reichte nicht aus, um das Schneechaos vom Wochenende in den Griff zu bekommen.

Natürlich könnten Flughäfen und Bahnen für riesige Schneemengen präpariert werden, sagt der Verkehr- und Infrastrukturexperte Thomas Puls vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Bei Eisregen sei aber meisten Schluss mit den Optionen, so Puls. Die Vorbereitungen auf große Schneemengen erforderten aber auch einen relativ hohen Aufwand. "Im Falle der skandinavischen Flughäfen etwa tritt diese Situation eigentlich jedes Jahr auf, in Deutschland seit Jahren nicht mehr", so Puls gegenüber der DW.

Wintereinbruch war "ein Jahrzehnte-Event"

Bei der Deutschen Bahn kann man hingegen nicht behaupten, dass sie nur durch Extremwetter an ihre Grenzen stößt. Auch ohne Schneemassen hat man es hier häufig mit Verspätungen zu tun: Regen, Hitze oder sogar Laub - die Begründungen sind vielseitig. "Die Bahninfrastruktur ist ein Patient auf der Intensivstation, dies aber weniger durch das Wetterereignis als vielmehr durch eine zu lange andauernde Phase der Nicht-Investitionen", schreibt Logistikexperte Santo auf DW-Anfrage. "Das rächt sich nun und die Anfälligkeit ist sehr groß. Da braucht es gar nicht das Wetterchaos wie dieses Wochenende."

Dass es jedoch wohl auch für die Schneetage mehr Investitionen bedarf, hat die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) mit Blick auf das Nachbarland Österreich berechnet. Dort kam die Österreichisch Bundesbahn (ÖBB) trotz des Schnees deutlich schneller wieder zum Normalbetrieb. Laut FAZ investiert die ÖBB 40 Millionen Euro jährlich für den Winterdienst - bei einem Umsatz von 5 Milliarden Euro. Die Deutsche Bahn erreicht dieses Verhältnis nicht: Mit insgesamt 300 Mil­lionen Euro steckte sie zwar zwischen 2017 und 2022 mehr in ihren Winterdienst - allerdings bei einem mit 56 Milliarden Euro zehnmal höheren Umsatz und einem wesentlich größeren Stre­ckennetz.

Mit Blick auf die Flughäfen ist Santo vorsichtiger. Natürlich könnte man dort auch die Kapazitäten hochfahren. Dennoch sei das immer eine Kosten-Nutzenabwägung. "Wir haben hier ein Jahrzehnte-Event erlebt, das zu geringeren Ausfällen als jeder mittlere Streik bei Lufthansa oder der Bahn führt. Hierfür deutlich mehr Kapazitäten in Personal und Material vorzuhalten, steht einfach in keinem Verhältnis."