1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Skandale um Ramadan-TV-Serien

Cathrin Schaer
2. April 2023

Für den Fastenmonat Ramadan werden in arabischen Ländern jedes Jahr neue Fernsehserien produziert. Und jedes Jahr lösen einige von ihnen Empörung aus - auf religiöser und politischer Ebene, aber auch beim Publikum.

https://p.dw.com/p/4PbQY
BG Ramadan im TV l Menschen besuchen das Qishla-Gebäude, Irak
Ramadan heißt vor allem Feiern: Menschen in Bagdad, IrakBild: Murtadha Al-Sudani/AA/picture alliance

Die Aufregung ist mittlerweile eine Art Feiertagstradition. Die islamische Fastenzeit dauert einen Monat, und währenddessen gibt es jedes Jahr mindestens eine heftige Kontroverse um eine der beliebten Ramadan-TV-Serien. In jüngster Vergangenheit sind deswegen Botschafter einbestellt worden, Geistliche haben darüber gepredigt und Aktivisten protestiert. Der diesjährige Ramadan ist keine Ausnahme.

Der tunesische Bildungsminister hat bereits gefordert, dass die tunesische Produktion "Fallujah" aus dem Programm genommen wird. Sie zeigt die dunkle Seite der Schulzeit, inklusive Drogenhandel und Schülern, die eine Lehrerin schlagen. Zwei Anwälte versuchen, eine gerichtliche Verfügung gegen die Serie zu erwirken.

BG Ramadan im TV l Werbetafeln in Kairo, Ägypten
Werbung ist alles: Plakate für Ramadan-Fernsehserien in Kairo, ÄgyptenBild: Mohamed El-Shahed/AFP via Getty Images

Im Irak wurde das Historiendrama "Muawiya" verboten. Muawiya war einer der frühen Kalifen und bedeutender Herrscher der islamischen Geschichte. Die TV-Serie zeigt den innerislamischen Krieg, der zur Spaltung in Sunniten und Schiiten führte. Ebenso erging es der irakischen Produktion "Al Kasser". In diesem Fall sorgten Regierungsmitglieder für die Absetzung, weil die Historienserie die Führer der südirakischen Stämme als primitive Tyrannen proträtiere, besessen von Sex und Macht.

Eine Überraschung ist das nicht. Die Skandale gehören mittlerweile genauso zum Ramadan wie die beliebten Soaps.

Ramadan: Feiern und Fernsehen

Gläubige Muslime dürfen während des Ramadans tagsüber nicht essen und trinken. Nach Sonnenuntergang jedoch öffnen die Restaurants und die Familien treffen sich zum Fastenbrechen. Das stellt den üblichen Tagesablauf auf den Kopf. Die Menschen bleiben lange wach und zu den beliebtesten Aktivitäten gehört, nach dem Essen gemeinsam die neueste Folge der jüngsten Fernsehserie zu schauen. Die Ausstrahlung der Episoden beginnt und endet oft mit dem Fastenmonat, und jeden Abend - spätestens aber jeden zweiten oder dritten - gibt es eine neue Episode.

"Ramadan ist nicht nur eine Zeit des Fastens und der Besinnung, es ist auch der Höhepunkt des Fernsehkonsums und eines geänderten Freizeitverhaltens", sagt Joe Khalil, Medienwissenschaftler an der Northwestern University in Katar. Eine von Netflix 2018 beauftragte Umfrage ergab, dass der Fernsehkonsum in der Region während des Ramadan um 80 Prozent steigt und die Primetime sich auf die Zeit zwischen zwei und fünf Uhr morgens verschiebt. Andere Untersuchungen zeigen, dass Werbung in den Ramadan-Soaps der Satellitenkanäle das Dreifache des üblichen Preises kostet.

BG Ramadan im TV l CIFF Cairo International Film Festival in Kairo, Roter Teppich
Ägypten war lange das arabische Hollywood: Roter Teppich beim Cairo International Film FestivalBild: Mohamed Asad/Xinhua/picture alliance

Darum gibt es Ramadan-TV-Serien für jeden Geschmack - Kriegsdramen und Abenteuergeschichten, Agenten und augenzwinkernde Gauner, Sternenköche, Spielshows und Comedy.

Skandale: Vorhersehbar und wenig überraschend

Experten haben eine klare Vorstellung davon, warum es regelmäßig vorhersehbare Skandale um diese Serien gibt. Ramadan ist ein religiöses Ereignis und für viele Gläubige passen dazu keine umstrittenen sozialen Themen. Es schauen auch viel mehr Menschen zu als sonst.

Vor allem aber liegt es an der wachsenden Konkurrenz der Produzenten. Weil seit den frühen 2000er Jahren etliche arabische Satellitenkanäle entstanden sind, stehen diese nun unter erhöhtem Druck, die von ihnen produzierten Serien beim Ramadan-Publikum ganz nach vorn zu bringen.

Ramadan in Nahost im Schatten der Gewalt

"Wenn wir uns die Zuschauerkommentare anschauen, dann ist die häufigste Kritik: 'Das wiederholt sich' oder 'Das kennen wir schon'", sagt Ahmad Hayat, Journalistik-Professor an der University of Tennessee, USA, der über Kuwaits Ramadan-Serien geforscht hat. "Wenn Sie da keinen Biss haben, wenn Sie nicht die besten Geschichten haben oder das entscheidende Detail, das Sie von den anderen Kanälen unterscheidet - dann landen Sie nicht ganz vorne. Dann überleben Sie nicht."

Ramadan-Serien senden auch politische Signale

Der Versuch, für jeden etwas zu bieten, erhöht das Risiko, dass Einzelne sich angegriffen fühlen. Das gilt auch für die subtilen - und manchmal auch nicht subtilen - politischen Botschaften. Die meisten Produktionsfirmen und Satellitenkanäle im Nahen Osten haben irgendeine Verbindung zu Politikern, ebenso wie zur staatlichen Zensur bzw. zur staatlichen Unterstützung. Sie versuchen, sich dementsprechend zu verhalten. Das ist nicht anders als bei Filmen aus Hollywood oder China, die oft patriotische Ideale spiegeln und fremde Widersacher als besonders böse hinstellen. Arabische Produktionen müssen austarieren, was ihre jeweilige Regierung und ihr Publikum zulassen.

BG Ramadan im TV l traditioneller "Hakawati"-Geschichtenerzähler von Damaskus, Syrien
Geschichten erzählen hat Tradition: Ein Hakawati, ein Geschichtenerzähler in Damaskus im RamadanBild: Louai Beshara/AFP via Getty Images

So zeigt eine neue Serie des saudischen Konzerns MBC das koloniale Erbe des Osmanischen Reiches im Nahen Osten. Die türkischen Figuren in "Safar Barlik" kommen dabei nicht gut weg. Die Unterhaltungsserie könnte demnächst sehr reale diplomatische Folgen haben, warnt Kareem Shaheen, ehemaliger Nahostkorrespondent beim US-amerikanischen "New Lines Magazine".

Jede Werbung ist gute Werbung

Branchenbeobachter vermuten, dass der wachsende Konkurrenzdruck dazu führt, dass der Skandal in manchen Werbekampagnen bereits geplant ist. Da Ramadan-Serien so prominent sind, lassen viele Produktionsfirmen vorab den Hintergrund aller Beteiligten überprüfen. Das beinhaltet deren politische Vorlieben, welche Kleidung sie bei gesellschaftlichen Ereignissen tragen und was sie in den Sozialen Medien posten. Die Produzenten wissen also bereits, welche Schauspieler oder Regisseure Kontroversen auslösen könnten.

"Produzenten sind versiert darin, mit Skandalen umzugehen oder sie zu instrumentalisieren", erklärt Medienexperte Joe Khalil. "Das Wichtigste ist, das Publikum in den ersten Episoden zu fesseln. Wenn ihnen das gelingt, werden die Zuschauer mutmaßlich bis zum Ende des Monats dabeibleiben."

Dank Internet und Social Media haben auch gewöhnliche Zuschauer viel Macht. 2021 wurde das ägyptische Pharaonendrama "El Malek" ("Der König") abgesetzt, weil das Publikum sich  beschwerte, die Kostüme und der Bart des Hauptdarstellers seien historisch nicht korrekt. 2022 attackierten Feministinnen und Frauenrechtlerinnen die Serie "Baraa" ("Unschuld") wegen ihrer Darstellung von Polygamie, die in Tunesien verboten ist.

Gibt es künftig also immer mehr Kontroversen rund um die Ramadan-TV-Serien? Schwer zu sagen, meint Joe Khalil. "Aber sie verändern sich. Wir haben jetzt die soziokulturellen Aspekte, die politischen Perspektiven und die Skandale, die aus Marketingabsichten geschaffen worden sind."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.