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PolitikAsien

"Weil ich eine Frau bin, werde ich so hart bestraft"

Shabnam von Hein
1. Juni 2021

Die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi gibt trotz ihrer erneuten Verurteilung nicht auf. Die DW hat sie in Teheran am Telefon erreicht.

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Narges Mohammadi | iranische Menschenrechtsaktivistin
Bild: Hrana

DW: Im vergangen Oktober wurden Sie nach fünfeinhalb Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen. Nun wurden Sie wegen "Propaganda gegen das politische System", "Verleumdung" und "Rebellion gegen die Gefängnisverwaltung" zur 30 Monaten Gefängnis und 80 Peitschenhieben verurteilt. Warum?

Narges Mohammadi: Ich wurde verurteilt, weil ich den Gefängnisdirektor Gholamresa Siaei angezeigt habe. Im Januar 2020 - ich war damals noch in der Frauenabteilung des Teheraner Evin-Gefängnisses inhaftiert - hatte er persönlich mich aus meiner Zelle herausgeholt und dann brutal zusammengeschlagen. Er war wütend auf mich, weil ich einen Häftlingsstreik organisiert hatte, um gegen die brutale Niederschlagung der regimekritischen Demonstrationen vom November 2019 zu protestieren.

Danach wurde ich gegen meinen Willen in ein anderes Gefängnis verlegt, 350 Kilometer westlich von meinem Wohnort Teheran. Nach der Ankunft im neuen Gefängnis habe ich sofort eine gerichtsmedizinische Untersuchung beantragt. Daraufhin hat mich ein Arzt untersucht und einen schriftlichen Bericht erstellt, in dem die Verletzungsspuren auf meinem Körper dokumentiert wurden.

Der Bericht wurde der zuständigen Staatsanwaltschaft vorgelegt. Meine Familienangehörigen, die mich im Gefängnis besuchten, haben die Verletzungen und Prellungen an meinem Körper gesehen. Ich bin die Klägerin in diesem Fall, aber die Justiz versucht die Geschichte umzudrehen, um mich erneut hinter Gitter zu bringen. Ich werde dem Urteil auf keinen Fall freiwillig Folge leisten. Ich werde mich auch nicht für die Vollstreckung der Peitschenhiebe bei den Behörden melden.

Was wird vermutlich als nächstes passieren?

Ich gehe davon aus, dass sie mich bald abholen werden. Ich werde dann wieder 30 Monate hinter Gitter sitzen. Ich bin seit 23 Jahren Menschenrechtsaktivistin, seit meiner Studienzeit. Bis jetzt wurde ich vier Mal zu Haftstrafen verurteilt. Zuletzt 2015 nach einem Treffen mit der damaligen EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Teheran.

Damals wurden Sie wegen ihres Einsatzes gegen die Todesstrafe im Iran wegen angeblicher "Propaganda gegen das politische System" zu zehn Jahren Haft verurteilt. Nun wurden Sie erneut mit der gleichen Begründung verurteilt.

Mein Einsatz für die Abschaffung der Todesstrafe ist den Behörden ein Dorn im Auge. Die Todesstrafe ist für sie das wichtigste Instrument zur Unterdrückung und Einschüchterung der Zivilgesellschaft. Wer sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt, den sehen sie als Feind.

Die EU bezeichnete das Vorgehen der Justiz Ihnen gegenüber als "besorgniserregend" und fordert eine Überprüfung des Falls unter "Beachtung des humanitären Völkerrechts". Warum geht die Justiz so hart gegen Sie vor?

Vor allem weil ich eine Frau bin, die sich nicht beugt. Seit der Gründung der Islamischen Republik im Iran 1979 werden die Frauen im Iran systematisch unterdrückt. Wer sich nicht anpasst, wird bestraft. Frauen, die wie ich und andere Menschenrechtsaktivistinnen, Widerstand leisten, fordern dieses System besonders heraus. Die Machthaber versuchen mit allen Mitteln, uns zu brechen und zum Schweigen bringen.

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Die ehemalige EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton traf sich in Teheran mit Narges Mohhammadi und anderen OppositionsaktivistinnenBild: lemonpress.ir

Zum Beispiel habe ich seit fünf Jahren meine Kinder nicht gesehen. Während meiner Inhaftierung sind meine Kinder zu ihrem Vater ins französische Exil gezogen. Jetzt erlauben mir die Behörden nicht, das Land zu verlassen, um meine Kinder zu besuchen. Sie haben mir gesagt: "Finde einen Weg und gehe illegal über die Grenze." Wenn ich das Land illegal verlasse, werde ich legal nicht mehr einreisen können. Sie wollen, dass ich verschwinde. Ich möchte aber bleiben und werde mich weiterhin friedlich für die Menschenrechte und Demokratie im Iran einsetzen.

Was erwarten Sie von der EU?

Dass sie unseren friedlichen Einsatz für die Menschenrechte und die Demokratie im Iran unterstützt. Zum Beispiel, dass sie bei jedem Anlass und in jedem Gespräch die iranischen Behörden fragt, warum uns unsere verfassungsmäßig garantierten Rechte verwehrt werden. Laut Verfassung dürfen die Bürger sich gesellschaftlich engagieren, NGOs gründen und friedliche Versammlungen organisieren. All das ist aber für uns verboten. Die Stärkung der iranischen Zivilgesellschaft sollte Teil der europäischen Sicherheitspolitik sein. Der Iran ist das bevölkerungsreichste Land am Persischen Golf mit großem Einfluss in der Region. Eine starke Zivilgesellschaft im Iran könnte das Land von innen positiv verändern.

Die Fragen stellte Shabnam von Hein.