1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Post-Vac-Syndrom nach COVID-19-Impfung: Was wissen wir?

Stefanie Zobl | Julia Vergin | Clare Roth
10. Juli 2023

Müdigkeit und Muskelschmerzen: Jede Impfung kann Nebenwirkungen haben, auch die gegen COVID-19. Doch es ist sehr schwer das sogenannte Post-Vac-Syndrom zu diagnostizieren. Was wissen wir über diese Impfschäden?

https://p.dw.com/p/4SUrv
Aufgeschlagener Impfpass, der die Aufkleber und Daten mehrerer COVID-19-Impfungen zeigt
Jede Impfung hat auch Nebenwirkungen, in seltenen Fällen sind diese schwerwiegend und hinterlassen bleibende Schäden.Bild: pressefoto_korb/picture alliance

Mehr als 13 Milliarden Impfdosen sind während der Corona-Pandemie weltweit verabreicht worden. Allein in Deutschland wurden 192 Millionen Dosen verimpft – noch nie haben so viele Menschen innerhalb so kurzer Zeit eine oder mehrere Spritzen gegen dieselbe Krankheit bekommen.

Nicht alle haben das gut verkraftet: Manche Menschen leiden seit der Impfung an einer Vielzahl teils schwerer Symptome, die ihnen ein normales Leben unmöglich machen. Einige Geschädigte wollen den Impfstoffhersteller BioNTech wegen vermuteter Impfschäden, auch bekannt als Post-Vac-Syndrom, verklagen.

Was ist das Post-Vac-Syndrom und wie viele Menschen leiden darunter?

Ähnlich wie Long COVID meint auch das Post-Vac-Syndrom ein Sammelsurium an Symptomen und Krankheitsbildern, die denen von Long COVID an vielen Stellen gleichen: chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS/ME), Migräne, Muskelschmerzen oder Herz-Kreislauferkrankungen.

Was viele Menschen gespürt haben, sind Schmerzen an der Einstichstelle, Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Schüttelfrost. Diese Symptome verschwinden nach kurzer Zeit wieder und gelten als normale Impfreaktion. 

Das Post-Vac-Syndrom ist mehr, viel mehr. Nur was genau, das weiß noch niemand so richtig. 

So facettenreich die Post-Vac-Symptome sein mögen, sie haben eines gemeinsam: Sie befallen die Betroffenen kurze Zeit nach der Corona-Impfung. Und weil Impfnebenwirkungen und -schäden immer in engem zeitlichen Zusammenhang mit der verabreichten Spritze stehen, liegt die Post-Vac-Vermutung natürlich nahe.

Wie häufig sind Impfschäden?

Aus Sicht der betroffenen Menschen sei das vollkommen verständlich, findet auch Harald Prüß von der Berliner Charité und dem Berliner Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Allerdings handelt es sich bei dieser zeitlichen Aufeinanderfolge erstmal nur um eine Korrelation, nicht um einen kausalen Zusammenhang.

In der neurologischen Post-COVID-19-Sprechstunde an der Klinik für Neurologie an der Charité sieht Prüß viele Menschen, die glauben, unter dem Post-Vac-Syndrom zu leiden. Er sagt, dass das Post-Vac-Syndrom "in seiner Dimension total überschätzt wird".

Dem Paul-Ehrlich-Institut, der Bundesbehörde, die in Deutschland für Impfstoffe und Arzneimittel zuständig ist und auch zu den Corona-Impfstoffen regelmäßige Sicherheitsberichte verfasst hat, sind bis zum 31.10.2022 knapp 51.000 Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkung nach der Coronaimpfung gemeldet worden.

Ein Verdacht ist allerdings erstmal nichts weiter als ein Verdacht. Nur bei einem Bruchteil der gemeldeten Fälle konnte bisher ein eindeutiger Zusammenhang mit der Impfung nachgewiesen werden.

Nutzen der Impfstoffe größer als das Risiko von Nebenwirkungen

Anfang Juli 2023 veröffentlicht auch ein internationales Gremium von Arzneimittelbehörden ein Statement zur Sicherheit der COVID-19-Impfstoffe. "Die Daten von 13 Milliarden verabreichten Impfdosen weltweit zeigen, dass die Impfstoffe ein gutes Sicherheitsprofil in allen Altersgruppe aufweisen", schreibt die International Coalition of Medicines Regulatory Authorities (ICMRA). Der Nutzen überwiege die Risiken.

Seltene, schwere Nebenwirkungen gebe es, heißt es weiter. Diese kämen in weniger als einer pro 10.000 Personen vor. Eine Übersterblichkeit sei durch die Impfungen nicht verursacht worden. Vielmehr sei diese durch die COVID-19-Erkrankung selbst verursacht worden - vor allem während der ersten Infektionswellen, als noch kein Impfstoff verfügbar war.

"Falsche und irreführende Posts über die Sicherheit der Impfstoffe auf Social Media-Plattformen übertreiben die Häufigkeit und die Schwere von Nebenwirkungen", heißt es in dem ICMRA-Statement. Diese Fehlinformationen führten dazu, dass Erkrankungen fälschlicherweise mit den Impfstoffen in Zusammenhang gebracht werden.

Wie diagnostizieren Mediziner das Post-Vac-Syndrom?

Wie die ICMRA bestreiten weder Prüß noch andere, die zum Thema forschen, dass es schwere Impfschäden gibt und dass den Betroffenen geholfen werden muss.

Der erste Hinweis darauf, dass die Kopfschmerzen, das Erschöpfungsgefühl oder die Muskelschwäche tatsächlich etwas mit der Impfung zu tun haben könnten, ist der Zeitrahmen: Treten die Symptome wenige Tage bis Wochen nach der verabreichten Spritze auf, könnte ein Zusammenhang bestehen.  

Ob das tatsächlich so ist, könne allerdings nur in seltenen Fällen sicher nachgewiesen werden, sagt der Neurologe. "Es gibt keinen einzigen in der breiten Wissenschaft akzeptierten Biomarker."

Ein solcher Biomarker wäre beispielsweise ein bestimmter Antikörper, den der Körper als Reaktion auf die Impfung bildet. So entdeckten Forschende einen speziellen Antikörper im Blut von Personen, die nach der Impfung eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) entwickelt hatten. Die Myokarditis gilt als eine mögliche, seltene Nebenwirkung nach der Impfung mit den mRNA-Impfstoffen von BioNTech/Pfizer und Moderna.

Der Vektor-Impfstoff von Astrazeneca war verantwortlich für ein vermehrte Auftreten von Sinusvenenthrombosen nach einer COVID-19 Impfung.

"Es kommt nur selten vor, aber es war klar, dass der Impfstoff ein sehr spezifisches Muster von Hirnvenenthrombosen verursacht hatte, das sonst nicht bekannt ist, weil es mit einer sehr spezifischen Art von Antikörpern verbunden war", sagt Prüß.

Kann die COVID-Impfung einen Einfluss auf die Menstruation haben?

Kopfschmerzen, das chronische Fatigue Syndrom oder Herz-Kreislaufbeschwerden machen Menschen nicht erst seit der Pandemie und der großen Impfkampagne das Leben schwer. "Jeden Tag werden allein in Deutschland 30 neue Multiple-Sklerose-Diagnosen gestellt", sagt Prüß. All diese Dinge ohne stichhaltige Beweise der Impfung zuzuschreiben, würde den Menschen kaum helfen. Denn ohne korrekte Diagnose sei auch eine hilfreiche Therapie kaum möglich.

Für Prüß und andere, die sich mit dem Thema Post-Vac-Syndrom beschäftigen, liegt deshalb ein Verdacht nahe: Viele Krankheitsbilder, mit denen Betroffene in die Sprechstunde der Charité kommen, haben andere Ursachen. Ein echtes Post-Vac-Syndrom hingegen ist wahrscheinlich sehr selten.

Was passiert im Körper eines Post-Vac-Patienten?

Das menschliche Immunsystems ist hochkomplex und gesichertes Wissen darüber, was genau im Körper von Post-Vac-Betroffenen passiert, gibt es nicht.

Die Immunologin und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk, vermutet, dass der Kern des Problems eine Kreuzreaktion mit dem im Impfstoff enthaltenen oder durch den Impfstoff gebildeten Spike-Protein sein könnte.

Sowohl bei manchen Long-COVID- als auch manchen Post-Vac-Patienten kommt es neben der Bildung von Antikörpern gegen das Spike-Protein zu einer Art Kreuzreaktion, bei der sie auch sogenannte Autoantikörper bilden, die unbeabsichtigt körpereigene Strukturen erkennen und angreifen können. 

Es ist deshalb kein Wunder, dass sich die Symptome von Long COVID, also nach einer durchgemachten Infektion, mit denen nach einer Impfung gleichen können: Im Körper laufen ähnliche immunologische Prozesse ab.

Die Geschichte des Impfens

Ähnliches beobachteten Forschende beim Impfstoff gegen die Schweinegrippe, genauer gegen den Erreger H1N1. Sowohl der Impfstoff als auch die Infektion lösten bei einer geringen Anzahl von Personen die sogenannte Narkolepsie aus. 

Diesem Impfschaden kamen Forschende vergleichsweise leicht auf die Schliche, weil die Betroffenen ähnliche genetische Faktoren aufwiesen, die die Krankheit begünstigten. Die schwere Nebenwirkung des Impfstoffs war auch deshalb leichter nachzuweisen, weil zur fraglichen Zeit nur wenige Menschen mit H1N1 infiziert waren.

Im Fall von COVID-19 hingegen wurden Millionen Menschen geimpft, während Millionen gleichzeitig infiziert waren. Aus diesem Grund könne in den seltensten Fällen sicher gesagt werden, so Falk, ob die als Post-Vac-Patienten behandelten Personen nicht auch zusätzlich eine Infektion kurz vor oder nach der Impfung durchgemacht haben, möglicherweise ohne es selbst zu wissen.

Um die vielfältigen Symptome der Betroffenen sicher auf die Impfung zurückführen zu können, müsste ausgeschlossen werden, dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Falk sagt, das sei in den seltensten Fällen möglich.

Dieser Text wurde am 10.7.2023 aktualisiert und um den Abschnitt zum Statement des ICMRA ergänzt.

DW Mitarbeiterportrait | Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.