1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rassismus bei der Polizei: Was tut Deutschland dagegen?

10. April 2024

Rassismus bei der deutschen Polizei äußere sich auf vielfältige Weise, sagen Experten. Auch die Strategien dagegen sind vielfältig - die jüngste: ein vom Parlament eingesetzter Beauftragter. Was kann er erreichen?

https://p.dw.com/p/4eaOA
Der Rücken eines bewaffneten Polizisten, auf dessen dunkelblauer Schutzweste in weißer Schrift "Polizei" steht
Rassismus in der Polizei - ein wichtiges Thema für Polizeibeauftragte wie Uli GrötschBild: Fotostand/Gelhot/picture alliance

Seine Amtsbezeichnung klingt bürokratisch: Polizeibeauftragter des Bundes. Uli Grötsch heißt der Mann, der im März 2024 vom Parlament in das frisch geschaffene Amt gewählt worden ist. Sein Mandat als Abgeordneter des Deutschen Bundestags hat der Sozialdemokrat niedergelegt, denn er soll und will seinen neuen Job unabhängig ausüben. Das bedeutet: Er ist weder in polizeiliche Strukturen eingebunden noch in die des Innenministeriums, das für die Sicherheit in Deutschland zuständig ist.

Grötsch war selbst 21 Jahre lang Polizist. Nun ist er Anlauf- und Beschwerdestelle, wenn es um Fälle von Diskriminierung bei der Bundespolizei geht, beim Bundeskriminalamt (BKA) oder bei der Polizei des Bundestages. Nachgewiesenes Fehlverhalten könnte Konsequenzen haben, bis zur Entlassung. Darüber entscheiden Arbeitgeber und/oder Gerichte. Über die Resonanz in den ersten drei Wochen zeigt Grötsch sich bei einem Pressegespräch mit dem Berliner Mediendienst Integration überrascht: Drei bis vier Eingaben täglich gebe es, insgesamt seien es schon über 70. Etwa 30 Prozent kämen aus der Polizei, der Rest aus der Bevölkerung.

Uli Grötsch will ein diverses Team aufbauen

Für fünf Jahre ist Grötsch gewählt. In dieser Zeit wolle er vor allem eines, sagt er: Vertrauen aufbauen. Dafür benötigt er nach eigenem Bekunden ein möglichst diverses Team: "Ich brauche hier jemand mit schwarzer Hautfarbe, jemand aus dem arabischen Raum und im Idealfall auch eine LGBTIQ-Person." Also einen Menschen, der lesbisch ist, schwul (englisch: gay), bisexuell, transgeschlechtlich, intersexuell oder queer.

Ein Mann mit dunklen Haaren und Bart im Jacket geht im Plenarsaal des Bundestages zwischen den blauen Stuhlreihen entlang
Der Polizeibeauftragte des Bundes, Uli Grötsch, hat seinen Platz im Plenarsaal des Bundestages geräumtBild: Kilian Genius/dpa/picture alliance

Grötsch will ein Team aufbauen mit jenen, "die Diskriminierungen erfahren haben oder zu einer Gruppe gehören, die Diskriminierung besonders stark erfährt". Von seiner Idealvorstellung ist der Polizeibeauftragte des Bundes allerdings noch denkbar weit entfernt: Zehn von 18 Stellen sind besetzt - bisher keine davon mit einer LGBTIQ-Person.

Keine Chance für Quereinsteiger

"Ich würde mir gerne die fünf aussuchen, die ich am besten dafür geeignet halte", betont Grötsch. Doch dem stehe das Beamtenrecht entgegen. Mit anderen Worten: Wer sich auf eine der noch freien Stellen bewirbt, muss gesetzlich vorgegebene Voraussetzungen erfüllen. Quereinsteiger von außen kommen nicht infrage.

An einem Fahnenmast weht die Regenbogenfahne als Ausdruck von Diversität und Vielfalt in der Gesellschaft; daneben ist an einem kleineren Mast das Schild eines Polizeireviers angebracht
Die Regenbogenfahne, Symbol für Vielfalt und Diversität, weht mitunter auch vor Polizeirevieren Bild: Christian Spicker/imago images

Schon bald will sich Grötsch mit dem Antirassismus-Experten Abdou Rahime Diallo treffen. Er ist Geschäftsführer und Referent bei "Diaspora Policy Interaction" (DPI). Zu seiner Kundschaft zählen auch die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt. Also jene Behörden mit zusammen weit über 60.000 Beschäftigten, für die der Polizeibeauftragte zuständig ist.

"Drei Polizeibeamte lagen auf mir drauf"

Diallo hat 1998 als Student am eigenen Leib erfahren, wie sich Rassismus anfühlen kann. Er sei durch den Düsseldorfer Hauptbahnhof gerannt und habe plötzlich auf dem Boden gelegen. "Drei Polizeibeamte lagen auf mir drauf, keine Luft, Schmerzen ohne Ende - und vor allem auch die Erniedrigung und das Trauma", beschreibt Diallo sein Erlebnis. "Und der Grund war: Ich bin schwarz."

Als die Polizisten festgestellt hätten, dass er Deutscher sei, habe man ihn weggeschubst und zum Weitergehen aufgefordert. "Ich habe versucht, mich zu beschweren, aber es ist gar nichts daraus geworden", berichtet Diallo. Er sei jung gewesen, habe unter Schock gestanden. An wen hätte Diallo sich wenden können? Inzwischen gebe es viel mehr Beratungsstrukturen, sagt er. "Heute würde ich damit ganz anders umgehen - definitiv!" 

Rassismus und Polizei

Nur die Hälfte der Bundesländer hat Beschwerdestellen

Ein Blick über die deutsche Landkarte zeigt allerdings auch, wie groß der Nachholbedarf noch immer ist. Neben dem Polizeibeauftragten des Bundes gibt es vergleichbare Anlaufstellen lediglich in acht von 16 Bundesländern: Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Allerdings haben diese recht unterschiedliche Kompetenzen, wie der Mediendienst Integration herausgefunden hat.     

Unbeschränkte Akteneinsicht bei Polizei und Staatsanwaltschaft gibt es demnach nur in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Berlin ist das einzige Bundesland, in dem der Polizeibeauftragte eigene Ermittlungen durchführen darf. Mehrsprachige Informationen über Beschwerden gegen die Polizei sind noch eine Ausnahme, aber in einigen Bundesländern geplant.

Rassismus-Studien sollen Licht ins Dunkel bringen

Inzwischen gibt es sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene Rassismus-Studien. Auf diesem Feld ist aus Sicht des Rechts- und Politikwissenschaftlers Hartmut Aden seit 2009 viel passiert. Seit 15 Jahren forscht der Professor von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) zu Diskriminierung. "Damals war das noch sehr tabuisiert, über Themen wie Polizei und Rassismus in der Ausbildung überhaupt mal zu reden", erinnert sich Aden.

Heute beobachte er, dass junge Menschen in der Polizei-Ausbildung wesentlich kritischer seien als vor zehn oder 20 Jahren. Auch weil sie die Thematik aus eigener Betroffenheit kennen würden, denn die Polizei sei ebenfalls wesentlich diverser geworden, sagt Aden.

Diskriminierungsopfer reden selten über ihre Erfahrungen

Wie weit verbreitet Rassismus und andere Formen von Diskriminierung in der Polizei tatsächlich sind, ist nach übereinstimmender Einschätzung der Fachleute schwer einzuschätzen. Die Polizeibeauftragte des Stadtstaates Bremen, Sermin Riedel, hat dafür vor allem eine Erklärung: Betroffenen falle es meistens sehr schwer, darüber zu sprechen. 

"Das ist für uns eine große Herausforderung, an die Menschen heranzukommen. Sie zu bewegen, ihre Geschichte zu erzählen", sagt die seit 2022 amtierende Expertin. Innerhalb der Polizei merke sie, dass Rassismus trotz der vielen Aufklärung noch immer häufig eine Abwehrreaktion hervorrufe. 

Auf den Punkt - Rassismus überwinden: Nur ein Traum?

Rassismus ist mehr als Rechtsextremismus

Deshalb fordert Riedel, ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Rassismus nicht nur mit rechtsextremen Netzwerken gleichzusetzen sei. Das fange schon da an, wo völlig unbewusst und unbeabsichtigt Handlungs- oder Gedankenmuster dazu führen können, dass sich Polizei-Handlungen rassistisch auswirken.

Zu dieser Kategorie gehören anlasslose Personenkontrollen wegen der Hautfarbe oder anderer äußerlicher Merkmale, im Fachjargon "Racial Profiling" genannt. Hartmut Aden bezeichnet dieses Verhalten der Polizei als "Klassiker" für Rassismus. Solche Kontrollen seien das Einfallstor für "sehr subjektive Wahrnehmungen, auch für Vorurteile", sagt der Experte. Betroffene können sich an die Polizeibeauftragten der Länder und nun auch den des Bundes wenden.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland