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Rassistische Völkerschauen: Wie erinnert sich Europa?

Ferenc Gaál
16. April 2023

Hamburg, Lissabon, Brüssel: Nur einige Städte, in denen während und nach der Kolonialzeit sogenannte "Völkerschauen" rassistische Stereotype bedienten. Die Aufarbeitung geht bis heute nur langsam voran.

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Historisches Foto einer Völkerschau in Belgien (1913)
Völkerschau in Belgien (1913) auf einer hostorischen FotografieBild: Leemage/IMAGO

Die Zurschaustellung "exotischer" Menschen war im Europa der Kolonialzeit weit verbreitet: Schon im 15. Jahrhundert wurden Menschen aus kolonisierten Gebieten verschleppt, ab dem späten 19. Jahrhundert wurden sogenannte "Menschenzoos" zum lukrativen Geschäft für ihre europäischen Betreiber. Unter dem Vorwand der Wissenschaft sollten diese rassistischen Ausstellungen die "zivilisatorische Überlegenheit" Europas demonstrieren.

Aus den Kolonien wurden die Menschen häufig mit falschen Versprechungen nach Europa gelockt, wo sie unter erniedrigenden Umständen arbeiten mussten und als "Wilde" oder "Kannibalen" präsentiert wurden. Doch vielerorts gibt es bis heute wenig öffentliches Bewusstsein für dieses Kapitel der Kolonialgeschichte.

Hamburg als Ursprungsort der modernen "Menschenzoos"

Der Hamburger Geschäftsmann Carl Hagenbeck war mit seiner 1874 eröffneten "Völkerschau" einer der ersten, der die Ausstellungen zum Geschäft machte. Heute werden diese Shows im Rückblick von Historikern und Soziologen als stark rassistisch eingestuft. Sein Unternehmen, das noch heute den gleichnamigen Zoo in der Hansestadt betreibt, verdiente bis in die 1930er Jahre Geld mit solchen Shows.

Dabei seien Menschen "in einer bewusst primitiv inszenierten Umgebung" gezeigt worden und gezwungen worden, sich zu entkleiden, erklärte der Historiker Jürgen Zimmerer kürzlich gegenüber dem NDR. Claus Hagenbeck, Urenkel des Betreibers der Völkerschauen, bezeichnete die Ausstellungen hingegen in der Vergangenheit als "Kunstform" - was ihm den Vorwurf der Verharmlosung einbrachte. Obwohl Hagenbecks Tierpark mittlerweile angekündigt hat, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten, findet sich auf dem Gelände bis heute kein Hinweis auf die Völkerschauen.

Sonne fällt auf das denkmalgeschützte sogenannte "Elefantentor", den alten Eingang des Tierparks Hagenbeck.
Im heutigen Elefantengehege des Hamburger Tierparks wurden früher Menschen ausgestelltBild: Axel Heimken/dpa/picture alliance

Portugals langsame Aufarbeitung von Kolonialzeit und Diktatur

In Lissabon, einem anderen ehemaligen Kolonialzentrum, traten im Rahmen der Ausstellung der portugiesischen Welt noch im Jahr 1940 nicht-europäische Menschen als "indigene Statisten" auf. Sie sollten im Botanischen Garten der Stadt ihr Leben simulieren - entsprechend kolonialer Stereotypen.

Schwarz-weißes Foto von Portugals Diktator Antonio de Oliveira Salazar
Portugals Diktator Salazar verherrlichte die Kolonialzeit, um den portugiesischen Nationalismus und seine Macht zu stärken.Bild: CPA Media Co. Ltd/picture alliance

Die Ausstellung zeigt, wie Portugals Diktator Antonio de Oliveira Salazar die Kolonialzeit verherrlichte um sein Regime zu stärken. Bei der Aufarbeitung heute würde daher vieles auf die Diktatur abgewälzt, erklärt Elsa Peralta, Historikerin an der Universität Lissabon. "Das führende Narrativ der demokratischen Periode ist, dass die Verbrechen der Kolonialzeit mit der Diktatur in Verbindung stünden. Das spiegelt nicht die lange Dauer der portugiesischen Kolonialgeschichte wider." Auch die Plakette, die heute im Botanischen Garten an den "Menschenzoo" erinnert, bezöge sich explizit auf die Salazar-Zeit.

Von der rassistischen Ausstellung wüssten ohnedies viele Portugiesen nicht, so Peralta. Seit einigen Jahren werde die koloniale Vergangenheit aber zunehmend öffentlich thematisiert, wenn auch langsamer als in anderen ehemaligen Kolonialstaaten. "Die portugiesische Gesellschaft wacht langsam auf bei diesem Thema, es ist noch nicht aufgearbeitet," sagt sie.

Ausstellungen in Belgien: Erinnerung oder "Menschenzoo 2.0"?

In Belgien war der öffentliche Protest gegen koloniale Verbrechen in den letzten Jahren oft besonders laut. Noch 1958 organisierte das Land im Rahmen der Weltausstellung in Brüssel einen "zoo humain" - eine der letzten Völkerschauen überhaupt.

Menschen an einem Springbrunnen auf der Brüsseler Weltausstellung 1958, im Hintergrund das Atomium.
Das Atomium ist ein bis heute weltberühmtes Symbol der Brüsseler Weltausstellung von 1958. Dass dort auch Menschen ausgestellt wurden, ist vielen nicht bekanntBild: Vasily Yegorov/TASS/IMAGO

Zwar wurde in der Vergangenheit versucht, an dieses dunkle Kapitel der Geschichte und seine Opfer zu erinnern, etwa mit Ausstellungen. Diese hätten aber durch die Darstellung von Fotos der Völkerschauen teilweise deren rassistische Praxis reproduziert, kritisiert die Aktivistin und Anthropologin Stella Nyanchama Okemwa, Vorstandsmitglied im Europäischen Netz gegen Rassismus (ENAR). "Für mich war das der Menschenzoo 2.0," beschreibt Okemwa ihren Besuch einer Ausstellung. "Es hat eine Menge Traumata ausgelöst."

Für die Bewältigung der Vergangenheit hält sie eine Anerkennung dieser Traumata für zwingend notwendig, sieht aber wenig Bereitschaft dazu. Die Zahlen scheinen ihr Recht zu geben: 2020 glaubte laut einer Umfrage immer noch die Hälfte der belgischen Bevölkerung, dass der Kolonialismus mehr positive als negative Konsequenzen für den Kongo gebracht habe.

Verdrängt durch Aufklärung - und neue Konsumtrends

Dass Völkerschauen in den 1950er und 1960er Jahren schließlich aus der europäischen Öffentlichkeit verschwanden, lag also nicht nur an einer wachsenden Sensibilität gegenüber rassistischen Praktiken. Ein banalerer Grund war, dass die Verbreitung von Film, Fernsehen und Massentourismus die Art und Weise veränderte, wie "exotische" Menschen nun "besichtigt" werden konnten. "Man holte das Abenteuer nicht mehr ins eigene Land, sondern konnte es sich leisten, ihm hinterher zu reisen," schreibt die Historikerin Anne Dreesbach dazu.

Bis heute haben viele europäische Gesellschaften ihren historisch gewachsenen Rassismus gegenüber schwarzen Menschen noch nicht überwunden, sagen Kritiker. Belgien etwa habe sich nie offiziell für seine Kolonialverbrechen entschuldigt - aus Angst vor Konsequenzen, glaubt Aktivistin Okemwa sicher: "Die Menschen wollen sich nicht auf dieses Gespräch einlassen, weil es die Büchse der Pandora öffnen wird."