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Recherche: AfD schickt Gewalt- und Straftäter in Parlamente

11. April 2024

Verurteilte Gewalttäter sitzen für die rechtspopulistische AfD in deutschen Parlamenten. Das Ergebnis einer Ivestigativ-Recherche verschärft in Deutschland die Debatte über die Gefährlichkeit der Partei.

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Ein Mann sitzt im Gegenlicht nur im Umriss erkennbar vor dem leuchtend blauen Logo der Partei AfD
Seit Jahren radikalisiert sich die AfD in Deutschland. Immer mehr Sicherheitsbehörden sehen in der Partei eine Gefahr für die DemokratieBild: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa/picture alliance

Es geht um brutale körperliche Angriffe, verbale Gewalt oder zum Beispiel Volksverhetzung: Die Recherchen des investigativen Mediums Correctiv belasten zahlreiche AfD-Politiker in Deutschland schwer. 48 Abgeordnete der Alternative für Deutschland, AfD, hat Correctiv unter die Luppe genommen.

28 von ihnen wurden demnach gerichtlich verurteilt, zumindest in erster Instanz, oder es wurden Strafbefehle gegen sie erlassen. Das heißt, sie können oder konnten noch Einspruch oder Berufung einlegen. Trotz Verurteilungen sitzen zahlreiche von ihnen immer noch für die Partei im Bundestag, in Landtagen oder in Kommunalparlamenten, so Correctiv.

Rechtlich müssen die AfD-Mandatsträger wegen ihrer Vergehen keine Folgen fürchten: Das passive Wahlrecht, das Recht, sich in öffentliche Ämter wählen zu lassen, erlischt in Deutschland erst bei schweren Straftaten wie Mord, Totschlag oder Vergewaltigung.

Correctiv hatte bei seinen Recherchen nicht nur AfD-Politikerinnen und -Politiker unter die Lupe genommen: Im direkten Vergleich mit anderen Parteien konnte die Rechercheplattform allerdings weder bei Linken oder Grünen noch bei Konservativen, Sozialdemokraten oder Liberalen ähnliche Vergehen ausmachen.

AfD reagiert mit Gegenangriffen

AfD-Politiker reagierten auf die Anschuldigungen mit Gegenangriffen. Martin Reichardt, Bundestagsabgeordneter und Mitglied des AfD-Parteivorstands nannte Correctiv ein "Lügenportal", das "Diffamierungs- und Verunglimpfungskampagnen gegen die AfD" verbreite. Gegen Reichardt hatte im Jahr 2023 die Kriminalpolizei Erfurt ermittelt, weil er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als "einen der übelsten Spalter und Hetzer der deutschen Geschichte" bezeichnet hatte. Die zuständige Staatsanwaltschaft ließ die Ermittlungen fallen.

Zahlreiche Politiker bekräftigten angesichts der Recherchen ihre Warnungen vor der Gefährlichkeit der AfD. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, sagte über die beschuldigten AfD-Politiker: "Diese erachte ich persönlich für die Ausübung eines öffentlichen Amtes für ungeeignet." Er warnte: Die Institutionen der parlamentarischen Demokratie könnten Schaden nehmen.

Eine Frau mit dunklen Haaren lächelt in die Kamera
Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkelmann sitzt seit Dezember 2022 in Untersuchungshaft. Die Anklage: "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" (Archivbild)Bild: Metodi Popow/IMAGO

Die Partei ist in Deutschland seit Monaten immer mehr unter Druck geraten. Erst Anfang des Jahres 2024 hatte Correctiv aufgedeckt, dass sich führende AfD-Politiker an einem Treffen beteiligten, auf dem offen über Vertreibungspläne von Menschen aus Deutschland diskutiert worden sein soll. Besonders brisant: Dabei wurde offenbar auch die Vertreibung von Migranten mit deutschem Pass gefordert. 

Seitdem demonstrieren in hunderten Städten in ganz Deutschland Millionen von Menschengegen Rechtsextremismus und die AfD

Werden AfD-Politiker von Russland bezahlt?

Anfang April 2024 informierte die tschechische Regierung die Öffentlichkeit über ein mutmaßliches Propaganda-Netzwerk, das auch Verbindungen zur AfD habe: Über die Internetseite "Voice of Europe" habe Russland demnach versucht, der Ukraine zu schaden und Einfluss auf die europäische Politik zu nehmen. Medienrecherchen zufolge seien dabei auch AfD-Politiker für eine Zusammenarbeit bezahlt worden

Sämtliche politische Skandale haben bei der AfD allerdings zu so gut wie keinen Konsequenzen geführt. In Stellungnahmen und Reaktionen hat die in Teilen rechtsextreme Partei alle Anschuldigungen zurückgewiesen. Die Veröffentlichungen führten zu einer Art Gegenangriff der AfD gegen Medien, staatliche Institutionen und die anderen Parteien. 

Auf regionalen Parteitagen wurde zuletzt besonders radikalen Parteimitgliedern der Rücken gestärkt. 

Ein Mann mit Glatze in einer Menschengruppe trägt auf einer Wahlkampfveranstaltung eine Fahne mit dem Logo der Organisation "Junge Alternative NRW"
"Gesichert rechtsextrem" - die oberste deutsche Verfassungsschutzbehörde beobachtet den AfD-Parteinachwuchs "Junge Alternative"Bild: Alex Talash/dpa/picture alliance

Auch die als besonders radikal geltende Parteijugend "Junge Alternative" erfährt mittlerweile breite Unterstützung in der AfD. Noch vor wenigen Jahren waren die Nachwuchspolitikerinnen und -politiker selbst in den eigenen Reihen umstritten. Immer wieder fielen sie durch verfassungsfeindliche und rassistische Parolen auf. Seit 2023 schätzt das Bundesamt für Verfassungsschutz die Junge Alternative als "gesichert rechtsextrem" ein

Radikale Führungsfigur der AfD: Björn Höcke

Dass die radikalen Kräfte trotzdem in der eigenen Partei Solidarität erfahren und politische Skandale kaum noch sanktioniert werden, ist Beobachtern zufolge auch eine Konsequenz der fortschreitenden Radikalisierung der Gesamtpartei. Zahlreiche Kräfte aus dem - im Verhältnis gesehen - gemäßigteren Lager der Partei wurden intern unter Druck gesetzt und haben die Partei verlassen. Politiker, die als besonders extrem gelten wie der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke geben demzufolge inzwischen mehr oder weniger uneingeschränkt den Ton an.

Porträt: Ein Mann mit kurzen grauen Haaren schaut am Betrachter vorbei
Der AfD-Landesvorsitzende von Thüringen hatte in seiner Vergangenheit aktiv an einem Neonazi-Aufmarsch teilgenommen. Er gilt als Kopf des besonders radikalen ParteiflügelsBild: imago images

Höcke sieht seinen Kurs der Radikalisierung durch aktuelle Wahlumfragen bestätigt: Die sehen die AfD im Bundesland Thüringen, wie auch in anderen ostdeutschen Bundesländern bei über 30 Prozent der Wählerstimmen.

Allerdings ist auch Björn Höcke selbst im Visier der deutschen Justiz: Bereits zum zweiten Mal muss er sich im April vor Gericht verantworten - und das wegen desselben Vorwurfs. Der ehemalige Geschichtslehrer Höcke soll auf Wahlkampfveranstaltungen die Losung der verbrecherischen Sturmabteilung, kurz SA, aus der Zeit der Herrschaft der deutschen Nationalsozialisten unter Adolf Hitler verwendet haben. Sie ist in der Bundesrepublik verboten. Höcke bestreitet die Vorwürfe.

Deutsche Welle Pfeifer Hans Portrait
Hans Pfeifer Autor und Reporter