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Produzent Rick Rubin teilt seine Weisheiten

Torsten Landsberg
13. Juli 2023

Rick Rubin hat die Beastie Boys entdeckt, Alben von Eminem produziert und Johnny Cash zum Comeback verholfen. In seinem Buch "kreativ. Die Kunst zu sein" schwankt er zwischen Kalendersprüchen und tiefen Erkenntnissen.

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Musikproduzent Rick Rubin hat seinen Kopf auf einen Arm gestützt.
"Wir bewegen uns im Reich der Magie": Rick Rubin sinniert, welchen Spruch er in den nächsten Glückskeks packtBild: Hulu/Courtesy Everett Collection/picture alliance

Das Geschäft mit Ratgeber-Büchern boomt. Hilfestellungen zum klaren Denken bis hin zum Ordnung schaffen im eigenen Kleiderschrank führen die Sachbuch-Hitlisten an. Häufig sind die Themen derart banal, dass man sich wundert, ob die vermeintliche Selbstoptimierung überhaupt Grenzen kennt.

Mit seinem Buch "kreativ. Die Kunst zu sein" gibt nun auch der US-Musikproduzent Rick Rubin Anleitungen zur individuellen Selbstfindung. In der Musikbranche gilt Rubin ohnehin vielen als eine Art Guru, was läge also näher, als ein Guru-Buch zu schreiben?

Rick Rubin: Labelchef und Produzent mit goldenem Händchen

Für Rick Rubin ist das Superlativ "Legende" keineswegs übertrieben. Mit 20 gründete er Anfang der 1980er-Jahre im Studentenwohnheim in New York das Plattenlabel Def Jam. Nach dem Einstieg von Russell Simmons ging es steil bergauf: Rubin entdeckte die Beastie Boys, überzeugte sie, sich vom Punk ab- und dem Rap zuzuwenden.

Musikproduzent Rick Rubin und Russell Simmons unterhalten sich.
Mit Def Jam machten Rubin und sein Kompagnon Russell Simmons die Beastie Boys und LL Cool J großBild: GaryGershoff/MediaPunch/imago

Def Jam brachte LL Cool J groß raus, nahm die politische Rap-Gruppe Public Enemy unter Vertrag, später folgten Jay-Z oder Foxy Brown. Der nach Drogenproblemen und bestenfalls mittelmäßigen Alben fast in Vergessenheit geratenen Rockband Aerosmith verhalf Rubin zum Comeback, als er die Gruppe 1986 einlud, ihren Song "Walk This Way" von 1975 mit dem Rap-Trio Run-DMC neu aufzunehmen.

Irgendwann verkaufte Rubin seine Anteile an Def Jam für einen dreistelligen Millionenbetrag, er zog nach Los Angeles, gründete ein neues Label und arbeitete auch als Produzent für Künstler, die bei anderen Plattenfirmen unter Vertrag standen. In seiner Vita stehen die Red Hot Chili Peppers, Tom Petty and the Heartbreakers, Mick Jagger, Eminem, Rage Against The Machine, U2, Ed Sheeran, Lady Gaga oder Adele.

Musikproduzent Rick Rubin sitzt mit Paul McCartney vor einem Mischpult im Studio. Beide Männer lächeln.
Mit Spiritualität durchaus vertraut: Ex-Beatle Paul McCartney im Studio mit Rick RubinBild: Hulu/Courtesy Everett Collection/picture alliance

Rick Rubins Einfluss auf die Popgeschichte ist enorm

Der Mann mit dem langen weißen Zottelbart führte die zerstrittene Metalband Metallica durch ein abgrundtiefes Tal und ließ den zu diesem Zeitpunkt ziemlich abgehalfterten, einst übergroßen Country-Star Johnny Cash1994 mit dem ersten Teil der "American Recordings" auferstehen. Rubins Einfluss auf die zeitgenössische Popkultur ist unermesslich.

In der Vergangenheit gab Rubin zu Protokoll, dass er weder ein Instrument beherrsche noch große Ahnung von Studiotechnik habe. Wichtig sei, was er fühle. In seinem Buch formuliert er es so: "Ein Werk, das fünf Mängel hat, ist noch nicht vollendet. Mit acht Mängeln dagegen ist es das vielleicht."

Keine voyeuristischen Einblicke

Rick Rubin ist ein spiritueller Mensch, er zieht Kraft aus der Philosophie, aus fernöstlichen Lehren und kosmischen Einflüssen. Das Studio auf seiner Ranch in den Hügeln von Malibu heißt Shangri-La, inspiriert vom fiktiven tibetanischen Ort in James Hiltons Roman "Lost Horizon" - ein paradiesischer Rückzugsort.

Der Produzent hat genug erlebt und gesehen, um zehn Bücher füllen zu können. Einige Verlage sollen im Vorfeld auf einen Blick durchs Schlüsselloch gehofft und das große Geld gewittert haben, doch Rubin verzichtet auf Anekdoten und gänzlich auf Namen von bekannten Wegbegleitern. Seine Protagonisten heißen Achtsamkeit und Bewusstsein für die eigene Umwelt. Er legt keinen Wert auf Absolutismus, den 78 Kapiteln stellt er voran: "Nichts in diesem Buch wird gemeinhin als wahr erachtet. [...] Nutze, was hilfreich für dich ist. Den Rest lass weg."  

Das Cover des Buchs "kreativ" von Rick Rubin zeigt einen schwarzen Kreis mit Punkt in der Mitte auf grauem Hintergrund
Direkt ein Bestseller: "kreativ. Die Kunst zu sein"Bild: O.W. Barth Verlag

Woran misst sich Erfolg?

Natürlich geht es um Hindernisse, die dem Ausleben unserer Kreativität im Weg stehen: Selbstzweifel, Ablenkung. Und wer wüsste besser über kreative Löcher Bescheid, mehr über das anklagend weiße Blatt Papier, das auf mangelnde Ideen trifft und den subtilen Druck, den Erfolg des letzten Albums zu toppen oder mindestens zu bestätigen?

Es gehört ja oft zur traurigen Realität, dass schwerreiche und existenziell abgesicherte Kunstschaffende sich an anderer Leute Erwartungen ausrichten, statt zu tun, was sie fühlen. Auch in Rubins Portfolio stehen längst nicht nur gelungene Platten. Wie er selbst das bewertet, spart der Meister aus, stattdessen stellt er fest: Erfolg messe sich weder an Popularität noch an Geld, sondern finde "in der Privatsphäre der Seele statt".

Regeln sind gut, Regeln sind schlecht

Seinen Schützlingen empfiehlt er bei Blockaden, in Gedanken die Adressaten der Songs zu ändern oder einfach weniger Texte zu schreiben, denn: "Manchmal ist Loslassen das beste Mittel, um dranzubleiben." Oder er schaltet im Studio einfach das Licht aus, um die Aufnahmesituation zu verändern.

Weil auch Kreativität ab und zu eine gewisse Disziplin voraussetzt, legt Rubin ein paar Regeln fest, um an anderer Stelle zu konstatieren, dass künstlerisches Schaffen darauf basiere, "Regeln zu missachten, sie loszulassen, zu untergraben". Einige seiner Weisheiten sind allzu schlicht: Dass Arbeit keinen Spaß macht, wenn man keine Lust darauf hat, ist eine von zahlreichen Binsen in "kreativ". Manches, was Rubin schreibt, könnte genauso gut als Kalenderspruch durchgehen oder im Glückskeks stecken.

Andere Stellen sind substanzieller, wenn auch nicht vollkommen neu. Kunst sei jedem Mensch gegeben, nicht nur jenen, die Millionen Alben oder Bücher verkaufen. Es gehe also nicht darum, über Kreativität zu verfügen, sondern sie freizulegen und in die richtigen, bestenfalls produktiven Bahnen lenken zu können.

Einfach mal machen

Alles kann Anregung geben, besonders die Natur. Rubin empfiehlt, stets aufmerksam durch die Welt zu gehen und Sachen auszuprobieren, ohne sich den Kopf über den Sinn oder ein zählbares Ergebnis zu zerbrechen. Das Gegenmodell zur durchökonomisierten (Arbeits-)Welt.

Natürlich braucht es nicht für jede Veränderung im Leben ein dickes Bankkonto. Die Herausforderung für Normalos bei der Umsetzung von Rubins Lektionen dürfte dennoch der schnöde Alltag sein, der nicht eben als Triebfeder für Kreativität bekannt ist. Müßiggang ist für viele Menschen ein Luxus, den man sich leisten können muss.

In einer Ausgabe seines sehr hörenswerten Podcasts "Broken Record" aus dem vergangenen Jahr unterhält sich Rubin mit Anthony Kiedis, dem Sänger der Red Hot Chili Peppers. Die Band veröffentlichte 2022 innerhalb weniger Monate zwei neue, von Rubin produzierte Alben, die durchwachsene Kritiken erhielten.

Die vier Musiker der Red Hot Chili Peppers pressen ihre Wangen aneinander und lächeln.
Die Red Hot Chili Peppers vertrauen seit 30 Jahren auf Rubin - wenn's sein muss, auch auf HawaiiBild: Clara Balzary

Der Produzent und der Sänger wirken mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Sie sprechen über Gesangsaufnahmen auf Hawaii, wo sie während des Lockdowns monatelang ungestört arbeiten konnten. Jeden Tag sei Kiedis mit dem Fahrrad durch paradiesische Landschaften zu Rubin gefahren.

Ohne dem Alltag, dem Großstadt-Verkehr und sonstigen Ablenkungen zu entkommen, hätte er seine Texte nicht schreiben können, erzählt der Sänger. Vielleicht sind Palmen keine Voraussetzung für die Entfaltung von Kreativität. Schaden tun sie aber auch nicht.