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Ukraine auf der Suche nach Beutekunst

Igor Burdyga
21. März 2024

Viele ukrainische Museen wurden seit Russlands Invasion im Februar 2022 geplündert. Kiew versucht nun, Kunst- und Wertgegenstände ausfindig zu machen und spricht von einem "Netzwerk", das hinter dem Raub stehe.

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An einer Wand im Kunstmuseum von Cherson stehen leere Bilderrahmen
Leere Bilderrahmen im Kunstmuseum von ChersonBild: Wojciech Grzedzinski/Anadolu/picture alliance

Auch für die Museen im südukrainischen Cherson war die russische Besatzung verheerend. Anfang November 2022 wurden aus dem Chersoner Kunstmuseum, dem Heimatmuseum sowie aus staatlichen Archiven ganze Sammlungen abtransportiert. Geraubt wurden Grabsteine russischer zaristischer Kommandeure und sogar die Überreste des russischen Feldmarschalls Grigorij Potjomkin, einem Vertrauten der Zarin Katharina II. Ihm schreibt die russische Geschichtsschreibung die Gründung von Cherson zu. Die Grabstätte des Fürsten befand sich in der St. Katharinenkirche der Stadt. Begründet wurden die Transporte mit einer "Evakuierung" der Kunstschätze angesichts möglicher Kämpfe um Cherson.

Während der ukrainischen Gegenoffensive ab Sommer 2022 hatten sich die Russen Anfang November aus der Gegend um Cherson zurückgezogen. Am 11. November wurde die Stadt von der ukrainischen Armee befreit.

Das Ausmaß des Raubes

Wenn man die Listen der Museumsexponate mit dem vergleicht, was übrig geblieben ist, dann fehlen im Chersoner Kunstmuseum fast 11.000 Kunstwerke. Das sind mehr als drei Viertel des Bestands. Die Direktorin des Museums, Alina Dozenko, trauert allem nach: den drei Meereslandschaften des Malers der Romantik armenischer Abstammung, Iwan Ajwasowskij. Dem "Porträt einer Dame mit Hund" des englischen Malers Peter Lely aus dem 17. Jahrhundert. Und den Gemälden aus der Sowjetzeit, die Dozenko selbst in den 1970er Jahren für das Museum gesammelt hat. Die russischen Besatzer hätten die geraubten Werke in das "Zentralmuseum von Taurien" gebracht, das sich in Simferopol auf der seit 2014 von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim befindet.

Alina Dozenko (li) und Oleksandr Tkatschenko im Chersoner Kunstmuseum (Archiv)
Alina Dozenko mit Oleksandr Tkatschenko, der bis Juli 2023 ukrainischer Kulturminister war, im Chersoner Kunstmuseum (Archiv)Bild: Igor Burdyga/DW

"Besorgte Menschen haben uns von dort Videoaufnahmen geschickt, auf denen zu sehen ist, wie unsere Bilder ausgeladen werden. Wir haben sie wiedererkannt", sagt Museumsdirektorin Dozenko. Seitdem durchforsten ihre Mitarbeiter Fotos aus sozialen Netzwerken und Bildmaterial des russischen Fernsehens. Bislang konnten sie aber nur 94 Kunstwerke anhand von Inventarnummern und Bildfragmenten ausfindig machen. Wo sich der Rest befindet und in welchem ​​Zustand er ist, wissen sie in Cherson nicht.

Das Kostbarste und Wertvollste

Die Leiterin des Heimatmuseums, Olha Hontscharowa, beklagt den Verlust der wertvollsten ihrer 180.000 Sammlungsstücke. Die Russen hätten antike griechische Amphoren, Goldornamente von Steppennomaden, mittelalterliche Waffen und orthodoxe Ikonen auf das linke Ufer des Flusses Dnipro gebracht. Dieses Gebiet der Region Cherson ist nach wie vor unter russischer Besatzung. Hontscharowa sagt, seit dem Rückzug der Besatzer fehlten dem Heimatmuseum zudem wichtige Listen von Exponaten sowie Dokumente, die ihren historischen Wert belegten. Daher kann sie die Menge der geraubten Gegenstände nur grob auf etwa 23.000 schätzen.

Eine Mitarbeiterin des Chersoner Heimatmuseums zeigt zertrümmerte Vitrinen
Eine Mitarbeiterin des Chersoner Heimatmuseums zeigt zertrümmerte VitrinenBild: Igor Burdyga/DW

Einige der Exponate landeten in der von Russland besetzten Stadt Henitschesk im Süden der Ukraine. Dorthin haben sich auch jene Mitarbeiter des Chersoner Museums zurückgezogen, die mit den russischen Besatzern kollaborierten. Ein Teil der Exponate wurde nach Sewastopol ins Museum "Taurisches Chersones" gebracht.

Noch weniger Informationen gibt es über das Schicksal von Sammlungen der Museen in den weiterhin von Russland besetzten ukrainischen Gebieten. Wie Mitarbeiter von Museen, aber auch russische Medien berichten, haben die von den Besatzern eingesetzten Verwaltungen beispielsweise die Bestände von Museen und Galerien in der Stadt Nowa Kachowka im November 2022 "evakuiert". Wohin, ist unbekannt. Klar ist nur, dass sich mindestens eine paläolithische Sammlung in Sewastopol befindet.

Eine Frau geht an der Fassade des Heimatmuseums in Mariupol vorbei, die zerstörten Fenster des Gebäudes sind rußgeschwärzt
Das Heimatmuseum in Mariupol nach der Einnahme der Stadt durch die russische Armee, 26. April 2022Bild: Peter Kovalev/dpa/TASS/picture alliance

Im russisch besetzten Mariupol in der Region Donezk wurden alle Museen während der Belagerung zerstört. Wie russische Medien im April 2022 berichteten, gelang es der Direktorin des Heimatmuseums, Natalja Kapusnikowa, nur ein Dutzend Kunstwerke zu retten. Darunter drei Gemälde des in Mariupol geborenen Malers Archip Kuindschi, der für seine Landschaftsmalereien bekannt ist. Retten konnte sie ferner ein Gemälde von Iwan Ajwasowskij. Kapusnikowa übergab die Bilder jedoch den Russen, die die Bilder ins Heimatmuseum im russisch besetzten Donezk brachten.

Ermittlungen ukrainischer Behörden

Seit Beginn der umfassenden Invasion Russlands ermittelt der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) angesichts des Abtransports von Museumsbeständen. Der Verdacht lautet auf "Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges" im Rahmen eines "mutmaßlichen Genozids am ukrainischen Volk". SBU-Ermittler Jewhen Rusinow sagt, es gebe ein "Netzwerk" zum Raub von Museumsexponaten, über das man noch nicht alles wisse. "Wir wissen aber, dass sowohl hochrangige russische Staatsvertreter als auch Militärangehörige daran beteiligt sind."

Während der russischen Invasion seien in den besetzten Gebieten über 40 Museen ausgeraubt worden, sagt der erste stellvertretende Generalstaatsanwalt der Ukraine, Oleksij Chomenko. Noch sei der Verlust nicht vollständig beziffert. "Das kann Jahre dauern", sagt er.

Bis Ende des Jahres will das ukrainische Ministerium für Kultur und Informationspolitik ein Register schaffen, in das alle verfügbaren Informationen über die in den besetzten Gebieten befindlichen Sammlungen eingetragen werden sollen. Dies soll später helfen, Kunst und Wertgegenstände wiederzufinden. Das wird aber wohl erst nach Kriegsende möglich sein.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk