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Sahra Wagenknecht: früher Kommunistin, heute Populistin?

23. Oktober 2023

Die bekannteste Politikerin der Linken hat ihre Partei verlassen, um eine neue zu gründen. Ihr Potential scheint groß zu sein - auch unter Wählern der AfD.

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Sahra Wagenknecht im hellgrünen Kostüm genießt das Interesse von Fotografen und Kameraleuten, die sich vor ihr postiert haben, um gute Bilder machen zu können.
Als Sahra Wagenknecht in Berlin die Pläne für ihre neue Partei vorstellt, ist der Medienrummel riesigBild: John MacDougall/AFP/Getty Images

Reibungslos war ihr Verhältnis zur Linken nie. Nun hat Sahra Wagenknecht einen Schlussstrich gezogen: Sie ist aus der Partei ausgetreten, und neun weitere Fraktionsmitglieder sind ihr gefolgt. Zugleich verkündete die 54-Jährige, mit dem nach ihr benannten "Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit" (BSW) eine neue Partei etablieren zu wollen.

Rund 20 Prozent zeigen Sympathie für die neue Partei

Spekulationen, dass es dazu kommen könnte, hat die promovierte Volkswirtin durch entsprechende Äußerungen in Interviews immer wieder selbst angeheizt. Den Schritt jetzt zu wagen, dürfte auch an Umfragen liegen, in denen einer von ihr angeführten Partei schon seit Monaten zweistellige Wahlergebnisse prognostiziert werden. Laut einer aktuellen Befragung des Meinungsforschungsinstitut Civey für das Nachrichtenportal "t-online" könnten sich 20 Prozent vorstellen, einer Wagenknecht-Partei ihre Stimme zu geben.

Ihre nunmehr ehemalige Partei, die Linke, ist hingegen auf dem absteigenden Ast. Anfang Oktober 2023 scheiterte sie bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen an der Fünf-Prozent-Sperrminorität. Inzwischen ist sie in keinem Flächenbundesland im Westen mehr vertreten. Lediglich in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen sitzt die Linke noch im Parlament.

Die Linke ist auch im Osten keine Macht mehr

Im Osten ist die Linke zwar noch flächendeckend vertreten, allerdings hat sie den Status einer Volkspartei mit Wahlergebnissen von ehedem über 20 Prozent fast überall verloren. Die einstmals hohe Zustimmung hat mit den Wurzeln der Partei zu tun: Sie ist die Nachfolgerin der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Jener Partei, die zu Zeiten der deutschen Teilung in der kommunistischen DDR-Diktatur bis zum Fall der Berliner Mauer 1989 allein die Macht in der Hand hatte. 

Sahra Wagenknecht trägt beim Gedenken an die 1919 ermordeten Gründer der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD), Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, einen Blumengebinde mit roten Nelken und roter Schleife.
Sahra Wagenknecht (3.v.l.) bei der jährlichen Gedenkkundgebung für die 1919 ermordeten Gründer der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD), Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Als die SED in der friedlichen Revolution ihr Monopol verlor und sich umbenannte, beschloss eine 1969 in der DDR geborene junge Frau, sich in dieser Partei stärker zu engagieren. Ihr Name: Sahra Wagenknecht. Im Jahr 2009 wurde sie erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt und übernahm nach ihrem erneuten Einzug ins Parlament 2015 gemeinsam mit Dietmar Bartsch den Fraktionsvorsitz. Die Linke avancierte zur stärksten Oppositionskraft.  

Mehr Kontrolle bei Schutzsuchenden

Schon damals nahmen die Spannungen innerhalb der Linken zu. Sahra Wagenknecht gehörte zu jenen, die den Kurs offenerer Grenzen für Geflüchtete kritisierte. Außerdem warf sie ihrer Partei vor, die ländlichen Regionen und die sogenannten einfachen Leute zugunsten individualistischer und kosmopolitischer Milieus in Großstädten zu vernachlässigen.

Folge der zunehmenden Entfremdung war die im Jahr 2018 von Sahra Wagenknecht mitgegründete überparteiliche Sammlungsbewegung "Aufstehen". Vereinzelte Rufe nach einem Parteiausschluss verstummten schnell. Wohl auch, weil das Bündnis "Aufstehen" keinen nachhaltigen Erfolg hatte.

Sahra Wagenknecht steht mit ausgebreiteten Armen an einem Rednerpult mit der Aufschrift "Die Linke".
Ein Bild, das es künftig nicht mehr geben wird: Sahra Wagenknecht als Kandidatin für den Bundestag auf einer Veranstaltung der LinkenBild: Marcel Kusch/dpa/picture alliance

Im Jahr 2019 erlitt Sahra Wagenknecht einen weiteren Rückschlag: Aus gesundheitlichen Gründen verabschiedete sie sich aus der Fraktionsspitze im Bundestag. Sie selbst sprach öffentlich von einem Burnout. Nachdem sie sich davon erholt hatte, kandidierte die häufig in TV-Talkshows zu sehende Politikerin 2021 ein weiteres Mal für den Bundestag.

Fast am Wiedereinzug in den Bundestag gescheitert

Ihr Mandat verdankte sie allerdings den drei Abgeordneten, die ihre Wahlkreise direkt gewonnen haben. Nur dadurch konnte die Linke mit 39 Abgeordneten wieder ins Parlament einziehen, obwohl sie knapp an der Fünf-Prozent-Sperrminorität gescheitert war. Diese Besonderheit des deutschen Wahlrechts soll - so wollen es die Regierungsparteien - abgeschafft werden.

Umso mehr muss die Linke bangen, bei der nächsten Wahl 2025 den Wiedereinzug in den Bundestag zu verpassen. Sahra Wagenknecht könnte dann die womöglich entstehende Lücke mit ihrer neuen Partei füllen. "Viele wissen nicht mehr, was sie wählen sollen oder wählen aus Wut und Verzweiflung rechts", sagte sie bei der Vorstellung ihrer Pläne in Berlin.

Sahra Wagenknecht könnte mit dem Thema Migration punkten

Mit "rechts" meint Sahra Wagenknecht die teilweise vom Verfassungsschutz beobachtete Alternative für Deutschland (AfD). Jene Partei, die der Linken die Rolle als Protestpartei abgenommen hat. Ein Befund, den die Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner von der Universität Mannheim im Gespräch mit der DW schon im August bestätigt hat. "Wir sehen, dass gerade das Migrationsthema sehr stark mit Wagenknecht assoziiert wird."

Wenn man Menschen anschaue, die für Sahra Wagenknecht stimmen würden, seien die aber nicht nur migrationskritisch, sondern generell konservativ eingestellt. "Das kann auch bedeuten, dass sie kritisch gegenüber Klimaschutz sind oder auch gegen die Rechte von LGBTQI-Communities sind", hat die Expertin in ihren Untersuchungen über die AfD festgestellt.

Wagenknecht kündigt Parteigründung an

Konkurrenz für die AfD

Dass Sahra Wagenknechts neue Partei den Rechtspopulisten Stimmen abjagen könnte, hält die Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner für wahrscheinlich. "Das sind Wähler, die eher unzufrieden sind mit der Demokratie, die eher konservativ eingestellt sind. Viele fühlen sich mit der AfD nicht wohl, aber sehen keine andere Partei, für die sie stimmen können." Sahra Wagenknecht nennt es eine "Leerstelle".

Als sie ihre Pläne für eine neue Partei vorstellt, spricht sie von einer Zeit weltpolitischer Krisen. Es gebe immer mehr Konflikte, immer mehr Kriege mit gefährlichem Eskalationspotential. "Und ausgerechnet in dieser Zeit hat die Bundesrepublik die wohl schlechteste Regierung ihrer Geschichte. Eine Regierung, die planlos, kurzsichtig und in Teilen schlicht inkompetent auftritt und handelt." Spricht so eine Populistin? Viele ihrer Kritikerinnen und Kritiker beantworten diese Frage schon länger mit "ja".  

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland