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Schachtar Donezk in Hamburg: "Kein Heimspiel"

Thomas Klein | Danilo Bilek
8. November 2023

Der Fußballverein Schachtar Donezk aus der Ukraine wird 2014 vertrieben und ist seitdem heimatlos. Mit ihren "Heimspielen" im Ausland wollen die Spieler Zeichen setzen - sportlich, aber vor allem für mehr Aufmerksamkeit.

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Jubel der Spieler von Schachtar Donezk im Spiel gegen den FC Barcelona
Erfolgreich auch im "Fußball-Exil": Schachtar Donezk gewinnt gegen den FC BarcelonaBild: Daniel Bockwoldt/dpa/picture alliance

Der Wind pfeift durch die Katakomben des Hamburger Stadions. Das Flutlicht erleuchtet den Innenraum und auf dem Rasen beobachtet Trainer Marino Pusic seine Mannschaft ganz genau. Der 52-Jährige hat erst vor wenigen Wochen das Amt des Cheftrainers bei Schachtar Donezk übernommen. Das Team aus der Donbass-Region im Osten der Ukraine hat sich im vergangenen Jahr für die Champions League qualifiziert und steht in Hamburg kurz vor dem Gruppenspiel der Champions League gegen den FC Barcelona.

Offiziell war das Duell mit den spanischen Superstars ein Heimspiel für Schachtar, denn seitdem Donezk 2014 von pro-russischen Separatisten besetzt wurde, kann der Traditionsklub seine Heimspiele nicht mehr in der Donbass-Arena austragen. Seither spielt die Mannschaft im Exil. "Es ist viel Reiserei und hat uns viele Stunden gekostet, bis wir unser Ziel erreicht hatten", sagt Pusic und betont: "Du kannst es nicht Heimspiel nennen."

Taras Stepanenko: "Es war ein Feiertag"

Rund 2500 Kilometer liegen zwischen Donezk und der aktuellen Heimspielstätte in Hamburg. In der Heimat ist Identität mit dem Klub trotz der Entfernung immer noch vorhanden. "Obwohl wir seit 2014 nicht mehr in Donezk gespielt haben, sind wir immer noch eine Mannschaft aus Donezk, also aus dem Donbass. Und wir vertreten diese Region in der Ukraine," sagt Taras Stepanenko der DW. "Der Geist dieser Stadt, dieser Region ist unzerbrechlich. Er lebt in dieser Mannschaft, obwohl die Stadt und die Region seit 2014 von russischen Truppen besetzt ist."

Schachtars Trainer Marino Pusic bei der Pressekonferenz vor dem Champions-League-Siel gegen Barcelona
Schachtars Trainer Marino Pusic bei der Pressekonferenz vor dem Champions-League-Siel gegen BarcelonaBild: Henning Rohlfs/Lobeca/IMAGO

Der Mittelfeldspieler zählt zu den erfahrenen Akteuren im Team von Schachtar und spielt seit 2010 für den Klub. "Am Anfang war es schwer, sich daran zu gewöhnen, dass wir ohne Fans, ohne Unterstützung spielen. Wir waren es gewöhnt, dass etwa 25.000 Menschen die Spiele von Schachtar in Donezk besuchen. Es war ein Feiertag für sie", erinnert sich der 34-Jährige.

Doch das ist seit 2014 vorbei. Seitdem hat in der Donbass-Arena kein Fußballspiel mehr stattgefunden und seit dem russischen Angriffskrieg 2022 sind internationale Wettbewerbe in der Ukraine nicht mehr möglich. Durch den Krieg ist Schachtar vertrieben und zu einer heimatlosen Mannschaft geworden.

In den vergangenen Jahren wechselte das Team mehrfach die Orte für ihre Heimspiele. Bis 2017 spielte es noch in der Ukraine in Lwiw, rund 1200 Kilometer westlich von Donezk, danach ging es ins rund 300 Kilometer entfernte Charkiw, bevor das Team nach Kiew umsiedelte, wo die meisten Spieler ohnehin schon lebten und trainierten. Die internationalen Duelle in der Europa- und Champions League wurden zunächst im polnischen Warschau ausgetragen, bevor es in diesem Jahr nach Hamburg ging. Das Stadion des HSV ist die fünfte "Heimstätte" der Ukrainer.

Der Fußball rückt in den Hintergrund

Fußball ist für die Spieler von Schachtar immer noch wichtiger Bestandteil, doch zwischen den Spielen und bei den langen Reisen zurück in die Ukraine, sind die Gedanken bei den Menschen in der Heimat. Der Krieg dort ist allgewärtig. "Manchmal ist man traurig, manchmal verzweifelt, manchmal versteht man nicht, warum das im eigenen Land passiert. Man muss sich daran gewöhnen und stark sein", sagt Stepanenko.

Taras Stepanenko aus der Ukraine beim Spiel gegen Deutschland 2023
Taras Stepanenko vertritt die Ukraine auch bei Spielen der Nationalmannschaft - hier gegen Deutschland 2023Bild: Vitalii Kliuiev/IMAGO

Viele Freunde und Verwandte leben immer noch in den besetzten Regionen der Ukraine. Und die Spieler sind ständig in Kontakt mit den Menschen vor Ort. "Manchmal vergisst man den Fußball und welcher Spieler mit welchem Fuß besonders stark ist. Denn das ist einem egal. Es ist wichtiger, was mit den Leuten in der Ukraine passiert." Der Umgang mit der aktuellen Situation ist auch für den Trainer eine Herausforderung. Pusic zeigt sich besonders beeindruckt vom Zusammenhalt seiner Mannschaft. "Es ist nicht einfach, aber ich sehe und fühle im ganzen Klub Kampfgeist, alle arbeiten hart und sind wie eine Familie. Sie unterstützen sich gegenseitig."

Sport als Botschaft für die Ukraine

Trotz der Umstände versucht die Mannschaft die bestmögliche Leistung auf den Platz zu bringen, denn für die Spieler von Schachtjor geht es um mehr als nur den sportlichen Erfolg. "Es ist unsere Pflicht Fußball zu spielen und zu versuchen, gute Ergebnisse zu erzielen. Die Menschen in Europa und in der Welt sollen sich daran erinnern, dass es die Ukraine gibt, die Hilfe braucht. Und wir müssen diese Botschaft durch den Sport vermitteln", erklärt Stepanenko.

Sein Mitspieler Geogriy Sudakov fügt hinzu, dass die Gedanken an den Krieg sogar motivierend seien, denn "wenn das ganze Land auf dich schaut, drücken dir viele Menschen die Daumen, und durch unser Spiel können wir den Menschen in dieser schwierigen Zeit eine Freude machen und ihnen positive Gefühle vermitteln", so 21-Jährige im DW-Interview. Schachtjor versucht, durch das Spiel die Aufmerksamkeit für den Krieg im eigenen Land hochzuhalten.

Das Spiel gegen Barcelona hat Schachtar übrigens mit 1:0 gewonnen. Eine Sensation gegen das Star-Ensemble. Vor über 49.000 Zuschauern im Hamburger Stadion haben Trainer Pusic und seine Mannschaft also die Chance genutzt, für Aufmerksamkeit zu sorgen, und wenn es gut läuft, könnte es sogar fürs Weiterkommen reichen. Das wäre dann ein weiteres Ausrufezeichen - sportlich, aber vor allem für die Heimat des Klubs, die Ukraine.