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Schriftsteller Lutz Seiler erhält den Georg-Büchner-Preis

Silke Wünsch
3. November 2023

Eine ziemlich volle Vitrine hat Lutz Seiler bereits, doch dieser Preis fehlte ihm noch: der mit 50.000 Euro dotierte Georg-Büchner-Preis. Er zählt zu den wichtigsten Auszeichnungen für deutschsprachige Literatur.

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Lutz Seiler lächelt in die Kamera.
Lutz Seiler ist Jahrgang 1963 und wuchs in der DDR aufBild: Eberhard Thonfeld/IMAGO

"Melancholisch, dringlich, aufrichtig" - das sagte die Jury der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung über Lutz Seilers Schreibstil. Der Autor habe zu seiner eigenen unverwechselbaren Stimme gefunden, heißt es weiter. In Lutz Seiler werde mit dem Georg-Büchner-Preis ein Autor geehrt, "der mit klangvollen Gedichtbänden begann, von dort zum Erzählen fand, stets aber ein so klarer wie rätselhafter, dunkel leuchtender Lyriker bleibt".

Lutz Seilers Erfolg ist eng mit seiner Herkunft verknüpft. In seinem Werk steht sie im Fokus. Geboren wurde er 1963 in der ehemaligen DDR, in der thüringischen Stadt Gera. Das Dorf, in dem er aufwuchs, wurde abgerissen, seine Bewohner zwangsumgesiedelt. Seilers Elternhaus war bescheiden und - wie er später sagt - "ganz unmusisch". Schwere, Müdigkeit und Abwesenheit hätten seine Kinderzeit geprägt.

Liebe zur Literatur

Er machte eine Lehre als Baufacharbeiter und verdiente sein Geld als Zimmermann und Maurer. Während seiner Zeit bei der Armee entdeckte er die Literatur - als Ausgleich zum Alltag, der mehr grau als bunt war.

Nahezu zeitgleich begann er, selbst zu schreiben, vornehmlich Gedichte. Nach dem Wehrdienst studierte er in Halle Geschichte und Germanistik, nebenbei schrieb er weiter und veröffentlichte erste Gedichtbände und Essays, später auch Erzählungen und Romane. 1999 erhielt Seiler seinen ersten Literaturpreis. Für die Erzählung "Turksib" wurde er 2007 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet.

"Kruso" von Lutz Seiler

Mit "Kruso" kam der Durchbruch

Dennoch blieb Seiler lange unter dem Radar - bis er 2014 seinen ersten großen Roman "Kruso" fertigstellte. Darin zeichnet er, getragen von seinen eigenen Erlebnissen, die letzten Monate der DDR nach - aus einem ganz neuen Blickwinkel:

Die Ostseeinsel Hiddensee war bis zum Mauerfall 1989 eine Art Zufluchtsort für DDR-Bürger, die mit dem System haderten - Künstler, Intellektuelle, Freidenker - aber auch für Aussteiger, die auf der westlich von Rügen gelegenen, zum Staatsgebiet der DDR gehörenden Insel ein kleines Stück Freiheit fanden. Viele haben auch von Hiddensee aus versucht, über das Meer in den Westen - nach Dänemark - zu fliehen, einigen Menschen gelang dies, weitaus mehr Menschen sind in der Ostsee ertrunken, erfroren oder wurden von Grenzsoldaten erschossen.

Inselabenteuer und Coming-of-Age-Geschichte

Lutz Seiler war Mitte 20, als er im Sommer 1989 in einer Kneipe auf Hiddensee als Abwäscher jobbte. In "Kruso" ist dieser Abwäscher der Aussteiger Edgar Bendler, der nach einem Schicksalsschlag auf Hiddensee landet und dort den Inselpaten Alexander Krusowitsch - Kruso - kennenlernt, mit dem ihn eine außergewöhnliche Freundschaft verbindet. Doch der Herbst 1989 - das Ende der DDR - erschüttert die Insel und am Ende steht ein Kampf auf Leben und Tod.

Leuchtturm von Hiddensee mit windgeschorener Kiefer.
Der Leuchtturm von Dornbusch - ein Wahrzeichen der Insel HiddenseeBild: F. Herrmann/blickwinkel/picture alliance

Die Literaturwelt war entzückt. "Kruso" landete 2014 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis und gewann ihn schließlich auch. Danach war für Lutz Seiler nichts mehr wie vorher, jetzt war er auf den Bestsellerlisten - sein Roman wurde in 25 Sprachen übersetzt - und es hagelte weitere Preise.

Die Wendezeit hautnah

2020 erschien der Nachfolgeroman "Stern 111". Hier spielt die Handlung in der Nachwendezeit, im Niemandsland zwischen den mühsam zusammenwachsenden deutschen Staaten. Ein Elternpaar, das sich in den alten Bundesländern ein neues Leben aufbaut, während der Sohn sich durch die Berliner Hausbesetzerszene schlägt. Und wieder übertrumpften sich die positiven Kritiken. Ein "selten berührendes Stück Literatur zum Thema Wende", hieß es unter anderem - und wieder hat Lutz Seiler einen großen Teil seiner eigenen Geschichte in diesen Roman gepackt. Als die Mauer fiel, wohnte Seiler in Ost-Berlin.

Menschenmengen vor dem Brandenburger Tor, viele stehen oder sitzen auf der Mauer im Vordergrund.
In der Nacht des 9. Novembers 1989 fiel die Berliner MauerBild: Norbert Michalke/imageBROKER/picture alliance

Dort erlebte er den Mauerfall und die anschließende anarchistische und chaotische Zeit, in der vor allem junge Menschen die Ost-Berliner Stadtviertel für sich entdeckten und diese mit Kunst und Kneipen, Punk und Graffiti überzogen.

Für "Stern 111" erhielt Lutz Seiler 2020 den Preis der Leipziger Buchmesse. Im Jahr 2023 wurde Seiler zudem mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung, dem Bertolt-Brecht-Preis und dem Berliner Literaturpreis ausgezeichnet. Die Krönung ist nun der Georg-Büchner-Preis, den er am 4. November 2023 in Darmstadt entgegennehmen wird. Die dort ansässige Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung vergibt den Preis an Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in deutscher Sprache schreiben. Namensgeber ist der 1813 geborene Dramatiker und Revolutionär Georg Büchner.

Seiler selbst nennt den Preis "eine große Ermutigung für das eigene Schreiben" und tritt mit der Auszeichnung in eine Reihe mit Max Frisch, Günter Grass und Heinrich Böll.