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PolitikEuropa

Russische Propaganda statt "Faktencheck"

8. März 2022

Russlands Propaganda nimmt neue Dimensionen an. Die Webseite "War on Fakes" deckt ukrainische Falschbehauptungen auf, um russische Propaganda voranzubringen.

https://p.dw.com/p/48A4d
Ukraine Zerstörte russische Panzer
Bild: Irina Rybakova/REUTERS

"Der beispiellose Strom von Fake News über die Geschehnisse in der Ukraine soll Emotionen wecken und das rationale Denken ausschalten", schreibt das russische Verteidigungsministerium auf Twitter und verweist auf die Webseite www.waronfakes.com, auf der "eine Gruppe von Experten" und "Journalisten" die "ungeheuerlichsten" Falschbehauptungen aufdecken sollen. Doch was hat es mit dieser angeblichen Faktencheckseite auf sich? Das DW-Faktencheckteam hat sich die Webseite genauer angeschaut.

Es gebe Anzeichen eines Informationskrieges gegen Russland, schreiben die Urheber der Webseite, die erst frisch am 1. März angemeldet wurde. Die Webseite liefere "objektive Veröffentlichungen", damit die Bürger nicht mehr ängstlich und panisch sein müssten, heißt es weiter. "Faktencheck"-Artikel auf Englisch, Französisch, Spanisch, Chinesisch und Arabisch sollen zeigen, was in dem Krieg in der Ukraine wirklich vor sich geht.

Screenshot Webseite War on Fakes
"War on Fake" möchte gezielt ein internationales Publikum erreichenBild: waronfakes.com

Interessant ist, dass ausgerechnet Russisch bei der Sprachauswahl dieser Webseite fehlt. Man möchte mit dieser Webseite also gezielt ein internationales Publikum erreichen. Die ursprüngliche Webseite, auf Russisch, und der dazugehörige Telegram-Account sind laut Recherchen der Kollegen von Medium älter. Der Telegram Account soll vom 23. Februar sein, also einen Tag vor Beginn des Krieges. Der erste Post erscheint einen Tag später. Der Account hat mittlerweile mehr als 625.000 Abonnenten und ist einer der Top-Telegram-Kanäle in Russland mit einer Reichweite von mehr als 30 Millionen täglichen Aufrufen.

Sowohl die russischen und englischen Webseiten, und der Telegram-Account werden sehr stark in den sozialen Medien beworben. Zum Beispiel zitierte der russische Fernsehsender RT "War on Fakes" am 27. Februar in einem Telegram-Beitrag. Da dieser Kanal selbst Hunderttausende von Followern hat, ist es wahrscheinlich, dass ein Großteil des Wachstums von "War on Fakes" auf ihre Bewerbung, und die von anderen Accounts, zurückzuführen ist. Zusätzlich haben kürzlich russische Botschaften, wie die in Frankreich, auch auf ihren Accounts in den sozialen Medien, wie Twitter, dafür geworben.

Die Masche der russischen Webseitenbetreiber scheint raffiniert: Tatsächlich decken die Autoren falsche Behauptungen auf, auch von ukrainischer Seite, denn auch auf dieser Seite gibt es solche, wie die Deutsche Welle beispielsweise hier aufdeckte. Als Erläuterung zu den Faktenchecks wird dann aber russische Propaganda geliefert, wie die zwei folgenden Beispiele zeigen.

Russische Soldaten töteten auch Zivilisten

In einem "Faktencheck" wird die Behauptung, dass das Mehrfachraketenwerfersystem Grad, auch BM-21 genannt, gegen die Ukraine eingesetzt wird, als falsch dargestellt. Dabei wird ein verbreitetes Video, dass den Einsatz solcher Waffen zeigen soll, als alt aufgedeckt - richtigerweise. Tatsächlich wurde ein Video von 2021 als aktuelles Video ausgegeben, wie eine Bilderrückwärtssuche zeigt. Ob solche Raketensysteme von der russischen Seite verwendet werden, ist während eines aktiven Krieges schwierig zu überprüfen. 

Die Webseite "War on Fakes" dementiert den Einsatz solcher Raketensystem aber auch gar nicht - stellt als Erläuterung zu dem Faktencheck nur eine neue Behauptung auf: Das russische Verteidigungsministerium habe wiederholt betont, dass keine Raketen-, Artillerie- und Luftangriffe auf ukrainische Städte durchgeführt würden. Das ist falsch. Wie auch die Deutsche Welle schon berichtete, greift das russische Militär auch Städte gezielt an. Laut den Vereinten Nationen wurden bisher mindestens 406 Zivilisten getötet, darunter 15 Kinder, und 801 Menschen verletzt, darunter 29 Kinder (Stand 7. März)

 

Ukraine-Krieg | zerstörte Gebäude in Charkiw
Wie die Deutsche Welle schon berichtete, greift das russische Militär auch Städte gezielt anBild: SERGEY BOBOK/AFP

Russland begann am 24. Februar den aktuellen Krieg gegen die Ukraine

Auch einen anderen "Faktencheck" nutzt die Webseite, um die russische Seite des Kriegs in ein besseres Licht zu rücken: In diesem Artikel wird der Tweet der britischen Times-Journalistin Larisa Brown analysiert. Am 25. Februar teilte sie ein Video, auf dem ein Mann sich tränenreich von seiner Frau und seinem Kind verabschiedet, bevor sie in einen Bus steigen. Dazu schreibt Brown, dass sich diese Szenen in der ganzen Ukraine abspielen, da der ukrainische Verteidigungsminister angeordnet habe, dass Männer zwischen 18 und 60 Jahren im Land bleiben müssten, um die Ukraine zu verteidigen. Der Post vermittelt also den Eindruck, der Mann verabschiede sich von seiner Familie, die vor dem Ukrainekrieg fliehe.

Die Autoren von "War on Fakes" decken auf, dass das geteilte Video veraltet ist, und es sich dabei um Menschen aus dem Separatistengebiet Donezk handelt. Sie seien schon am 21. Februar nach Russland ausgereist, also vor dem Angriff des russischen Militärs am 24. Februar auf die Ukraine. 

Das stimmt offenbar, wie auch die spanischen Faktenchecker der Webseite Maldita herausfanden. Die Autoren von "War on Fakes" schreiben zu der Aufdeckung der falschen Behauptung, dass die Mutter und das Baby nun "nicht mehr in Gefahr seien", und impliziert dabei, dass sie sich vor den Ukrainern retten mussten. Dabei begann Russland am 24. Februar den Krieg gegen die Ukraine.

Diese Beispiele zeigen, wie die Webseite gezielt falsche Behauptungen nutzt, um die Ukraine schlecht darzustellen, sich selbst gleichzeitig besser darzustellen und russische Propaganda zu verbreiten und zu untermauern.

Alle Beispiele, die auf der Webseite zu finden sind, sind gleich aufgebaut. Es werden jeweils 2-3 Sätze zum widerlegen der angeblichen ukrainischen Fakes geschrieben, allerdings wird nie richtig auf die ukrainische Behauptung eingegangen. Es werden auch keine Beweise geliefert, mit denen man die Fakes aufgedeckt hat.


Ukraine Opfer Zivilisten Kontakt
"War on Fakes" nutzt gezielt falsche Behauptungen, um die Ukraine schlecht darzustellenBild: Jae C. Hong/AP/picture alliance

Wer steckt hinter der Webseite?

Aber wer betreibt „War on Fakes" überhaupt? Um herauszufinden, wer die Seite angelegt hat und betreibt, haben wir sie auf der Webseite who.is eingegeben. So fanden wir heraus, dass die Webseite erst am 1. März freigeschaltet wurde, und sich damit nur auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine fokussiert. Der Name des Betreibers wird versteckt, als Kontaktmöglichkeit wird aber eine Adresse in Moskau angegeben. Diese Adresse führt aber nur zu dem Unternehmen, das die Seite registriert hat.

Die angegebene Telefonnummer stellt sich als beliebte SCAM-Nummer aus, die schon 2019 genutzt wurde, unter anderen, um Menschen finanziell zu betrügen. Auch eine Analyse der Webseite mit dem Scamadviser zeigt, dass die Webseite dubios ist. Auf einem Ranking bis zu 100 Vertrauenspunkten, bekommt "War on Fakes" nur einen einzigen Punkt.

Es gibt also weder Auskunft auf der Seite selber, noch durch Recherchen, wer diese "Journalisten" und "Faktenchecker" sind, die die Artikel auf den Seiten und Telegram Accounts veröffentlichen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, wer hinter "War on Fakes" steckt. Aber das plötzliche Auftreten, der schnelle Wachstum und die breite Unterstützung durch Kreml-Medien werfen Fragen zur Herkunft und Beeinflussung auf.

Fünf Fakes vom Ukraine-Krieg

DW Fact Checking-Team | Kathrin Wesolowski
Kathrin Wesolowski Reporterin und Faktencheckerin zu politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Themenwiesokate
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Rachel Baig Redakteurin und Moderatorin im DW-Faktencheck-Team, Medientrainerinrachel_baig