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Spart Deutschland zukünftig bei der Entwicklungshilfe?

15. Juni 2023

2022 hat Deutschland so viel Entwicklungshilfe geleistet wie noch nie. Doch nun könnte das Geld knapp werden - auch für bislang erfolgreiche Projekte.

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Südsudan Kandak 2018 | Eine afrikanische Frau sammelt Sorghumhirsen auf, die aus einem rosafarbenen Sack herausgerieselt sind
Jedes Korn zählt: Im Südsudan sammelt eine Frau Sorghumhirsen auf, die aus einem Sack herausgerieselt sindBild: Sam Mednick/AP Photo/picture-alliance

Sie wächst auch auf wenig fruchtbaren Böden, kommt gut mit Trockenheit zurecht und ist reich an Nährstoffen: Hirse gilt als ideal, um Nahrungsmittelknappheit in Zeiten des Klimawandels zu bekämpfen. In Indien wird die Pflanze seit Jahrtausenden angebaut, sie gedeiht dort auch am Rande von Wüsten und im Gebirge.

Auf Vorschlag Indiens haben die Vereinten Nationen 2023 zum "Jahr der Hirse" ausgerufen. Zurecht, meint die deutsche Ministerin für Entwicklungshilfe, Svenja Schulze. Das Getreide sei ein "Superfood", sagte sie bei einem Indien-Besuch anlässlich des Entwicklungsminister-Treffens der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer G20 am 11. Juni.

150 Dreieckskooperationen mit deutscher Beteiligung

"Hirse wird überall in Indien angebaut und hilft, die Landwirtschaft weiter zu diversifizieren", so Schulze. "Und weil Indien dabei so erfolgreich ist, wollen wir jetzt gemeinsam mit Indien anderen Entwicklungsländern auf dem afrikanischen Kontinent helfen, auch stärker Hirse anzubauen."

Eine Dreieckskooperation also, bei der Gelder und Knowhow aus Deutschland und dem wirtschaftlich aufstrebenden Indien ärmeren Ländern zugutekommen. Mit mehr als 150 geförderten Projekten ist Deutschland inzwischen eines der größten Geberländer für solche Dreier-Partnerschaften. 

Welthungerhilfe: "Vorreiterrolle nutzen"

"Ohne eine strategische Kooperation mit Schwellenländern wie Indien wird es uns nicht gelingen, globale Herausforderungen wie den Klimawandel in den Griff zu bekommen", betonte Ministerin Schulze auf Anfrage der DW. "Wir arbeiten mit Indien erfolgreich an Lösungen für die Herausforderungen der Welt."

Indien | Entwicklungsministerin | Svenja Schulze
Entwicklungsministerin Svenja Schulze (links) lässt sich bei ihrem Besuch in der indischen Hauptstadt Neu Delhi verschiedene Hirsearten zeigenBild: Anne-Sophie Galli/dpa

Solche Dreieckskooperationen seien eine gute Idee, sagt Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe. Im Gespräch mit der DW erklärt er, dass sie auch bei zivilgesellschaftlichen Organisationen ein Erfolgsrezept sein können. "Unser Ernährungsprogramm "Nutrition Smart Villages" mit dem Schwerpunkt Ernährungsberatung etwa ist ein Exportschlager. Das führen wir mittlerweile in einigen afrikanischen Ländern mit Hilfe von indischen Expertinnen und Experten durch." Indien sei häufig ein Vorreiter, wenn es um Expertise etwa im Agrarbereich gehe, so Mogge. "Und wenn die Bundesregierung diese Vorreiterrolle Indiens nutzt, kann das durchaus ein Vorteil sein." 

Weniger Geld für Entwicklungshilfe?

Nicht nur für Dreiecks-Projekte konnte Ministerin Schulze in den vergangenen Jahren mehr Geld aus Deutschland bereitstellen. Mit 33,3 Milliarden Euro konnte sie im Jahr 2022 einen neuen Rekord an Ausgaben für Entwicklungshilfe verzeichnen. Damit steht Deutschland als Geberland in absoluten Zahlen an Platz zwei hinter den USA.

Ob das so bleibt? Wegen der Corona-Pandemie, des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der Energiekrise hat sich Deutschland zusätzlich enorm verschulden müssen. Ab 2024 soll gespart werden. Sie befinde sich "mitten in Gesprächen mit dem Bundesfinanzministerium zum Entwicklungs-Haushalt in den kommenden Jahren", so Schulze auf Anfrage der DW. "Dabei ist klar, dass ich mich angesichts der wachsenden globalen Herausforderungen, wie dem Klimawandel und den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, für eine auskömmliche Finanzierung der entwicklungspolitischen Arbeit einsetze." 

Welthungerhilfe stellt Jahresbericht 2021 vor
Sieht Deutschlands Rolle als verlässlicher Partner in der Entwicklungshilfe gefährdet: Mathias Mogge von der WelthungerhilfeBild: Jörg Carstensen/picture alliance/dpa

Was bedeutet "auskömmlich"? In ihrem Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP vereinbart, dass die Entwicklungsausgaben eins zu eins mit den Militärausgaben steigen sollen. Die Bundeswehr bekommt in den nächsten fünf Jahren 100 Milliarden Euro zusätzlich. Doch das Geld ist als sogenanntes Sondervermögen außerhalb des Bundeshaushalts deklariert. Daher gelte die Koppelung in diesem Fall nicht, heißt es von Seiten der Bundesregierung.

Mathias Mogge von der Welthungerhilfe ist besorgt. Schrumpfe der deutsche Etat für Entwicklungshilfe, dann könnten wichtige, notwendige Maßnahmen sowohl in der humanitären Hilfe als auch in der längerfristigen Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr durchgeführt werden, so Mogge. "Deutschland hat sich in den letzten Jahren einen sehr guten Ruf erarbeitet als zweitgrößter Geber weltweit, als ein sehr verlässlicher Partner. Deutschland darf dieses Vertrauen jetzt nicht enttäuschen, sondern sollte an dieser Verlässlichkeit und Großzügigkeit festhalten."

"terre des hommes": "Inakzeptabler Trend angesichts globaler Hungerkrise"

Das sieht Joshua Hofert, Vorstandssprecher des Kinderhilfswerks "terre des hommes" ähnlich. Es sei jedoch zu befürchten, dass der Etat des Entwicklungsministeriums ebenso wie der des Auswärtigen Amtes zurückgehe, sagt er im Gespräch mit der DW. "Und das ist ein absolut inakzeptabler Trend angesichts der multiplen Krisen, in denen wir uns bewegen, der Klimakrise, des Kriegs gegen die Ukraine, der globale Hungerkrise."

Welthungerhilfe und "terre des hommes" haben gemeinsam den "Kompass 2023 - zur Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik" herausgegeben. Darin fordern die Hilfsorganisationen nicht nur, dass die deutschen Ausgaben für Entwicklungshilfe nicht sinken dürfen. Sie fordern auch, dass Deutschland sich in der Entwicklungszusammenarbeit stärker an menschenrechtlichen Prinzipien ausrichten soll.

Wie viel geht an die Ärmsten der Armen?

"Und wir kritisieren, dass die ärmsten Länder nicht genug Unterstützung von einem Land wie Deutschland bekommen", sagt Hofert. Zu oft fokussiere sich Deutschland in der Entwicklungszusammenarbeit auf relativ wirtschaftsstarke Länder wie Indien, mit denen man gute Handelsabkommen schließen könne. "Was dann am Ende wieder Deutschland selbst hilft, das bringt in Sachen Entwicklungszusammenarbeit nur bedingt etwas."

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Mali bleibt

Die meisten armen Menschen lebten nicht in den am wenigsten entwickelten Ländern, sondern in Mitteleinkommensländern, hält Ministerin Schulze dem auf Anfrage der DW entgegen. Eigentlich haben sich die Industriestaaten das Ziel gesetzt, 0,2 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens als Hilfe für die ärmsten Länder der Welt bereitzustellen. Doch Deutschland kam hier im Jahr 2022 nur auf 0,13 Prozent. 

G20 wollen feministische Entwicklungspolitik

Nach dem Treffen der G20-Entwicklungsminister in Indien zeigte sich Schulze besonders erfreut, dass die Geschlechtergerechtigkeit in Zukunft eine größere Rolle in der internationalen Entwicklungspolitik spielen soll. Nur durch die Stärkung von Frauen und Mädchen könne nachhaltige Entwicklung erreicht werden. Für eine solche feministische Entwicklungspolitik will sich Schulze weiter einsetzen.

Davon, dass Hirse in der Welternährung einen prominenteren Platz einnehmen sollte, hatten ihre indischen Gastgeber die deutsche Ministerin übrigens auch kulinarisch überzeugt: Unter anderem standen Hirse-Pfannkuchen, Hirsekuchen süß-sauer sowie Hirsepudding nach Art von Milchreis auf dem Menüplan.