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Politik

Steinmeier: Dem Islamismus entgegentreten

30. Oktober 2020

Nach dem Terroranschlag in Nizza fordert Bundespräsident Steinmeier, sich Akten brutaler Gewalt und islamistischen Motiven entschlossen entgegenzustellen. Man müsse aber auch die demokratische Gesellschaft offenhalten.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Bild: Soeren Stache/AFP

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte der Deutschen Welle mit Blick auf den Gewaltakt in einer Kirche in der südfranzösischen Stadt Nizza in einem Exklusiv-Interview: "Natürlich sind meine Gedanken zuallererst bei den Angehörigen. Denen gilt unser ganzes Mitgefühl." Es komme aber jetzt darauf an, "dass wir in ganz Europa, nicht nur in Frankreich, uns diesem Akt der brutalen Gewalt und auch den islamistischen Motiven, die dahinterstehen, entgegenstellen." Der Bundespräsident betonte zugleich: "Vor allen Dingen dürfen wir uns in unseren demokratischen Gesellschaften auch nicht auf einen Kurs festlegen, der Hass und Ausgrenzung zum Maßstab staatlichen Handelns macht."

Vielmehr gehörten Akzeptanz und Respekt voreinander in den westlichen Gesellschaften dazu. Steinmeier fügte hinzu: "Das Entgegenstellen gegenüber solchen Akten brutaler Gewalt und islamistischen Motiven ist das eine, aber zu versuchen, die Offenheit unserer Gesellschaft aufrechtzuerhalten, ist die andere Herausforderung."

In diesem Zusammenhang erinnerte der Bundespräsident an den Anschlag von Dresden mit einem Todesopfer und einem Verletzten. Insofern könne man in Deutschland nicht so tun, als sei man hier gefeit vor solchen Angriffen. "Nein, im Gegenteil, wir müssen wachsam bleiben." Die Sicherheitsbehörden seien auch wachsam.

"Eine Aufgabe auch für die Zukunft"

Im Hinblick auf den Stand der Integration in Europa sagte Steinmeier: "Wenn wir einen Blick auf die 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werfen, dann sehen wir, dass die Länder ganz unterschiedlich betroffen sind - von Zuwanderung in den vergangenen Jahren." Die Gründe der Zuwanderung seien sehr unterschiedlich. In Frankreich reichten sie zum Beispiel historisch länger zurück als in der Bundesrepublik. "Wir können auch mit Blick auf Deutschland sagen, dass sicherlich nicht alles gelungen ist, obwohl sich Generationen von Regierungen angestrengt haben, Integration voranzutreiben." Dies bleibe aber "eine Aufgabe auch für die Zukunft".

Angesichts des jüngsten Streits zwischen Frankreich und der Türkei über die Rolle des Islams nannte Steinmeier die Rhetorik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor diesem Hintergrund "nicht hilfreich". "Ich hoffe, dass sich durch diese Eskalation, die wir festgestellt haben, in der spürbar eskalativen Rhetorik, dass sich nicht einige von möglichen Tätern ermutigt fühlen."

Der Bundespräsident unterstrich zugleich, es sei gut, "dass in einer solchen Situation nach den Morden in Frankreich auch Vertreter islamischer Staaten sich der Verurteilung angeschlossen haben." Das sei wichtig und auch "ein Signal, das innerhalb der moslemisch geprägten Gesellschaften in Frankreich verstanden wird".

In Nizza hatte am Donnerstag ein 21-jähriger Tunesier in einer Kirche drei Menschen mit einem Messer getötet. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einem "islamistischen Terroranschlag". Vorausgegangen waren massive Proteste und Drohungen gegen Frankreich in muslimischen Ländern wegen Macrons jüngsten Äußerungen zu umstrittenen Mohammed-Karikaturen.

Deutschlands Führungsrolle

Im außenpolitischen Teil des Interviews äußerte sich der Bundespräsident auch zur Führungsrolle Deutschlands in Europa. Die Deutschen müssten ein Verständnis dafür entwickeln, dass Deutschland wichtig sei in Europa. "Wenn wir in Europa investieren, werden es auch andere tun. Wir haben auch aufgrund unserer geografischen Lage und Geschichte die Aufgabe, manche Brücken zu bauen, die es zwischen Ost und West in Europa notwendigerweise zu bauen gibt." Dies gelte auch über manche Missverständnisse und Risse hinweg, die es in dem vorigen Jahr gegeben habe, so Steinmeier.

Noch wichtiger sei, dass die Deutschen sicherheitspolitisch in Europa investieren müssten. "Das bedeutet zum einen, Europa auch stärker zu machen, und das bedeutet zum anderen, auch den europäischen Pfeiler, wie ich jüngst gesagt habe, in der NATO deutlich zu stärken." Man brauche beides: "die Stärkung des europäischen Pfeilers in der NATO und auch ein stärkeres, sicherheitspolitisches Engagement der Europäer." 

"Neues Verständnis für Europa"

Mit Blick auf die US-Wahlen am 3. November sagte das deutsche Staatsoberhaupt, die Abstimmung habe eine "globale Wirkung". Er hoffe, dass danach unabhängig vom Wahlsieger die Vereinigten Staaten "wieder die Fähigkeit entwickeln, eine gemeinsame Idee von der Zukunft ihres Landes zu haben." Zugleich müssten die Europäer verstehen, "dass das europäische Projekt, dass europäische Integration und Kooperation etwas ist, das wir in dieses transatlantische Verhältnis investieren." Das sei zuletzt nicht der Fall gewesen, betonte Steinmeier. Er erhoffe sich nun aber, "dass neues Verständnis für Europa wieder wächst."

kle/pg/uh  (DW, afp)