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Sicherheit bleibt nach Streif-Abfahrt in Kitzbühel ein Thema

22. Januar 2024

Auch nach den spektakulären Hahnenkamm-Rennen auf der Streif in Kitzbühel diskutiert der alpine Skisport über Überbelastung. Mit Petra Vlhova gibt es den nächsten prominenten Ausfall mit schwerer Verletzung.

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Cyprien Sarrazin stürzt sich beim Hahnenkamm-Rennen in Kitzbühel verfolgt von einer Kameradrohne den Hang hinunter
Der Franzose Cyprien Sarrazin gewann in Kitzbühel beide AbfahrtenBild: Pierre Teyssot/Maxppp/dpa/picture alliance

Die "Streif" im österreichischen Ort Kitzbühel ist eine einzigartige Skiabfahrt. Vom Berg Hahnenkamm stürzen sich die Fahrer auf einer 3,3 Kilometer langen Piste ins Tal, die als anspruchsvollste und gefährlichste des Weltcup-Winters gilt. Die Schlüsselstellen tragen legendäre Namen wie "Mausefalle", "Lärchenschuss" und "Hausbergkante". Das Gefälle beträgt teilweise 85 Prozent. Die Skirennläufer erreichen Geschwindigkeiten von 140 Stundenkilometern und mehr und springen bis zu 80 Meter weit.

Wer hier gewinnt, wird nicht nur mit 100.000 Euro Preisgeld belohnt, sondern erreicht den Status einer Wintersport-Legende. Ein Abfahrtssieg auf der "Streif" ist vergleichbar mit anderen "Leuchttürmen" des Sports wie einem Wimbledon-Sieg im Tennis, einem Triumph im Großen Preis von Aachen im Springreiten, einem Sieg im Masters von Augusta im Golf oder dem Erfolg beim Formel-1-Grand-Prix in Monaco.

Kein Rennen ohne Sturz

Doch ausgerechnet vor dem Höhepunkt der alpinen Ski-Weltcup-Saison wurde nicht darüber spekuliert, wer das Rennen am Samstag gewinnen könnte. Nach der Umwelt- und Nachhaltigkeitsdebatte vom Beginn des Winters, ging es vielmehr um die Sicherheit der Rennfahrer. In den Tagen und Wochen vor Kitzbühel hatte es zahlreiche heftige Stürze und Verletzungen gegeben. Bei Männern und Frauen ging fast kein Speed-Rennen - Abfahrt und Super G - ohne Hubschraubereinsatz und längere Unterbrechung zu Ende.

Der beim Trainings in Kitzbühel gestürzte Skirennfahrer Szollos Barnabas und zwei Notärzte hängen nach der Bergung Szollos' am Drahtseil des Rettungshubschraubers
Gewohntes Bild: Immer wieder mussten in den letzten Rennen Fahrer schwerverletzt abtransportiert werdenBild: Sergio Bisi/IPA Sport/ipa-agency/picture alliance

Der Helikopter musste auch beim Training auf der Streif wieder ausrücken: Rémi Cuche aus der Schweiz, Neffe des Streif-Rekordsiegers Didier Cuche, brach seinen Lauf wegen Schmerzen im Knie ab - Verdacht auf Kreuzbandriss. Noch schlimmer erwischte es den Israeli Barnabas Szollos. Er stürzte kurz hinter der "Mausefalle", schlug mit dem Kopf auf der eisigen Piste auf und verlor dabei seinen Helm. Laut FIS-Angaben erlitt er eine Gehirnerschütterung und mehrere Brüche der Gesichtsknochen.

Immerhin endeten die beiden Rennen selbst ohne folgenschweren Sturz. Zwar rutschte der Norweger Adrian Smiseth Sejersted am Samstag nach einem 50-Meter-Sprung bei der Landung aus, er blieb aber unverletzt. Und mit dem Franzosen Cyprien Sarrazin gewann ein Fahrer, der für seinen halsbrecherischen Stiel bekannt ist, beide Hahnenkamm-Abfahrten. Er ging ans Limit, blieb aber auf den Brettern.

Dennoch sehen viele Experten und Aktive den Grund für die Stürze in der Überbelastung der Athletinnen und Athleten darin, dass der Rennkalender randvoll ist. Der Ski-Weltverband FIS hat in diesem Winter jeweils 45 Rennen für Männer und Frauen angesetzt.

Nachholtermine verdichten engen Zeitplan

Besonders in der Kritik steht FIS-Präsident Johan Eliasch. Er führt den Weltverband seit Sommer 2021 und hat sich dafür eingesetzt, dass mehr Rennen stattfinden - insbesondere mehr Abfahrten. So drückte er beispielsweise durch, dass an der Grenze zwischen der Schweiz und Italien in Zermatt zu Beginn des Winters zwei Abfahrten angesetzt wurden. Allerdings ist dort zu diesem frühen Zeitpunkt das Wetter nicht stabil. Beide Rennen fielen daher aus. Das war auch 2022 schon der Fall.

Zielbereich der Abfahrt Zermatt-Cervinia bei Schneefall
Wegen schlechtem Wetter und starkem Wind war im November in Zermatt/Cervinia kein Rennen möglichBild: Manuel Schwarz/dpa/picture alliance

Auf den Wunsch der Athleten, die Rennen in Zermatt erst im Februar stattfinden zu lassen, ging Eliasch bislang nicht ein. Auch in Beaver Creek in den USA, wohin der gesamte Weltcup-Zirkus Anfang Dezember für nur ein Rennwochenende reiste, konnte diesmal wetterbedingt kein Rennen stattfinden. 

Das verdichtet den Zeitplan aktuell zusätzlich, weil die ausgefallenen Abfahrten nun später in der Saison nachgeholt werden mussten. Daher fuhren die Athleten in diesem Winter in Gröden in Südtirol nicht nur einmal, sondern zweimal die Abfahrtspiste herunter. Ähnlich war es mit der Lauberhorn-Abfahrt in Wengen in der Schweiz, die am zweiten Januar-Wochenende ebenfalls zweimal ausgetragen wurde. Und auch die Streif ging es zweimal hinunter: Am Freitag als Ersatz für die Teamkombination, am Samstag als regulär eingeplante Abfahrt.

Dreßen: "Entwertung mit Vollgas"

"Ich glaube, dass man sich generell überlegen muss, was überhaupt noch zielführend ist", hatte der deutsche Abfahrer Thomas Dreßen vor dem Kitzbühel-Wochenende in einem Interview mit dem deutschen Fernsehsender ARD gesagt. "Ich finde es schade. Rennen wie in Wengen oder Kitzbühel sind Klassiker. Da gehört meiner Meinung nach nur ein Rennen hin. Du entwertest ja mit Vollgas diese Klassiker."

Skirennfahrer Thomas Dreßen bei der Abfahrt in Kitzbühel
Der deutsche Abfahrer Thomas Dreßen gewann die "Streif" 2018 - er hält den Rennkalender für überfrachtetBild: Johann Groder/EXPA/APA/dpa/picture alliance

Hinzu kommt, dass auch den besten Athleten die körperliche Belastung irgendwann zu viel wird. In Wengen ging es innerhalb von fünf Tagen fünfmal die schwere Piste herunter. Sie ist mit 4,5 Kilometern die längste Abfahrt des Weltcups. Neben zwei Trainings fanden dort zwei Abfahrten und ein Super G statt. "Ich hoffe, das ist das letzte Mal, nie wieder!", schimpfte danach sogar der Schweizer Ausnahme-Fahrer Marco Odermatt, obwohl er beide Abfahrten gewann und im Super G Zweiter wurde.

Diskussion nach Kilde-Sturz

Grund für die harten Worte Odermatts war auch der Sturz seines Konkurrenten und Freundes Aleksander Aamodt Kilde. Der Norweger, der mit der erfolgreichen US-Skirennläuferin Mikaela Shiffrin liiert ist, hatte im Zielhang keine Kraft mehr, verpasste eine Kurve und rauschte mit 120 Stundenkilometern in den Fangzaun. Er hatte Glück: Er kam mit einer ausgekugelten Schulter, einer Schnittwunde im Bein und einigen Schrammen davon.

Dennoch hatte Kildes Sturz eine Diskussion ausgelöst - auch unter seinen Kollegen. "Drei Tage in Serie sind auf der längsten Strecke im Weltcup zu viel", sagte Sarrazin, der den Super G in Wengen gewann. Das sah auch der Italiener Dominik Paris so: "Wir bewegen uns alle am Limit. Ich finde Doppelabfahrten nicht optimal, egal ob in Kitzbühel oder anderswo", sagte er im österreichischen Fernsehen.

Das sehen einige Offizielle beim Weltverband mittlerweile offenbar auch so. "In Zukunft werden wir sicherlich keine Rennen mehr nachholen, das ist so, solange ich Renndirektor bin", hatte FIS-Renndirektor Markus Waldner in Wengen gesagt. Fraglich ist allerdings, ob er sich den Zwängen des Weltcups und den Wünschen seines Präsidenten widersetzen kann. Der sieht die Verantwortung nämlich nicht bei sich oder der FIS, sondern bei den Athleten. Wem die Belastung zu hoch sei, so Eliasch, der könne ja auch mal ein Rennen auslassen.

Emotionaler Abschied für Dreßen

Deutschlands bester Speed-Skifahrer der vergangenen Jahre musste den Anforderungen Tribut zollen. Thomas Dreßen, Streif-Sieger von 2018, konnte nach einem Kreuzbandriss im November 2018 sowie weiteren Operationen an Hüfte und Knie in diesem Winter mit den besten Fahrern nicht mehr mithalten.

"Es ist einfach bitter, wenn der Körper nicht mitspielt. Ich haue mich voll rein und probiere wirklich alles. Es tut einfach weh", hatte er im ARD-Interview nach der Abfahrt in Wengen gesagt, die er abgeschlagen als Letzter beendete. "Wenn du in eine Kurve reinfährst und deine Haxen [Unterschenkel - Anm.d.Red.] nicht spürst, ist es halt scheiße", meinte er niedergeschlagen und kämpfte dabei mit den Tränen.

Abfahrer Thomas Dreßen wird nach seinem letzten Rennen in Kitzbühel von Teamkollegen und Konkurrenten gefeiert
Karriereende mit nur 30 Jahren: Abfahrer Thomas Dreßen lässt sich im Ziel von Kitzbühel feiernBild: Arthur Thill/ATP images/picture alliance

Kurz vor dem Rennen in Kitzbühel traf Dreßen dann eine wichtige persönliche Entscheidung und kündigte seinen Rücktritt an: Die Hahnenkamm-Abfahrt 2024 wurde sein letztes Rennen - vor 40.000 Zuschauern und auf den Tag genau sechs Jahre nach seinem großen Triumph. 

"Natürlich gibt es auch ein Leben danach, und ich will mit meinen Kindern Sport treiben und sie aktiv erziehen", sagte Dreßen am Donnerstag und freute sich trotz aller Wehmut auf seinen Abschied: "Was gibt es Würdevolleres als die Karriere in Kitzbühel zu beenden? Das will ich noch einmal genießen", so der 31-Jährige. Der Abschied gelang: Dreßen kam heil ins Tal und wurde von Teamkollegen, Konkurrenten und Fans gebührend gefeiert.

Petra Vlhova als nächster prominenter Ausfall

Zwar sorgten die Rennen in Kitzbühel mit Sarrazons Doppelsieg, Dreßens Abschied und dem Slalom-Sieg des Deutschen Linus Straßer am Sonntag durchweg für positive Schlagzeilen, doch ist die Sicherheitsdebatte dennoch nicht verstummt.

Bei den Frauenrennen, die zeitgleich mit Kitzbühel im slowakischen Jasna stattfanden, gab es am Samstag den nächsten prominenten Ausfall aufgrund einer schweren Verletzung: Die Slowakin Petra Vlhova stürzte bei ihrem Heim-Riesenslalom auf eisiger Piste und riss sich das Kreuzband. Die Saison ist für die 28-Jährige damit beendet, die Vorbereitung auf die kommenden Saison zumindest beeinträchtigt.

Petra Vlhova nach ihrem Sturz in Jasna in einem Rettungsschlitten ins Tal gebracht
Mit Schmerzen und unter Tränen wird Petra Vlhova nach ihrem Sturz in Jasna ins Tal gebracht Bild: Pier Marco Tacca/AP Photo/picture alliance

"Das ist ehrlicherweise ein schwerer Schlag für unseren Sport, es nervt", sagte Mikaela Shiffrin, die in Jasna am Sonntag den Slalom gewann und damit ihren 95. Weltcupsieg holte. Richtig freuen konnte sie sich darüber aber nicht. "Ich habe die Schlachten mit ihr über all die Jahre lieben gelernt", meinte die US-Amerikanerin, "das fehlt mir jetzt schon."

Vlhova äußerte sich im Krankenhaus: "Ich verspreche, dass ich alles tun werde, um so schnell wie möglich noch stärker zurückzukommen", sagte sie. Ihr Trainer Mauro Pini hoffte indes, dass sich bis zu Vlhovas Rückkehr etwas geändert hat. Was ihm aber zu denken gebe, sagte der Schweizer, der die Slowakin seit zweieinhalb Jahren trainiert: "Dass sich so viele Athleten in den vergangenen Wochen verletzt haben. Wir müssen das Problem mal richtig ansprechen."

Der Text wurde am 22. Januar aktualisiert.