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Die "Quastenflosser" mischen Afrikas Fußball auf

Olaf Jansen
9. Januar 2022

Die Komoren sind das größte Überraschungsteam beim Afrika-Cup in Kamerun. Die Inselkicker profitieren sehr von den Ideen ihres Nationaltrainers Amir Abdou. Das ungewöhnliche Team hat einiges vor.

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Doha | FIFA Arab Cup Qata | Djoumoi Moussa
Jubeln die Spieler der Komoren auch beim Afrika-Cup in Kamerun?Bild: yangyuanyong/Xinhua/Imago Images

"Meine Nase tut noch ein bisschen weh", berichtete Said Bakari am Freitag einer Autorin des "Brabanter Tageblatt" über die Folgen der diversen Coronatests, die der 27-jährige und seine Kollegen von der Nationalmannschaft der Komoren in Kamerun über sich ergehen lassen mussten. Sie sind angekommen am Ort des Afrika-Cups - die Fußballer des Inselarchipels, die bei der 33. Auflage des "African Cup of Nations" die größte Überraschungstüte sind. Gerade einmal etwa 850.000 Einwohner zählen die Komoren - die Qualifikation ihres Fußball-Nationalteams für den Afrika-Cup ist eine der größten Sensationen in der Geschichte des Turniers.

Am Montag starteten Komoren mit einer 0:1-Nidderlage gegen Gabun in die Gruppenphase. Weitere Gegner sind die afrikanischen Fußball-Schwergewichte Ghana und Marokko. Eine Qualifikation für das Viertelfinale wäre eine Sensation. Die der Außenseiter aber vor Turnierbeginn absolut ins Auge gefasst hatte. "Bei allem Respekt. Wir haben vor niemandem Angst", sagt Bakari. "Wir sind hier bei diesem Turnier, also sind wir auch gut."

Das "Chamäleon" aus Waalwijk

Bakari wird bei seinem niederländischen Klub, dem RKC Waalwijk, liebevoll "Chamäleon" genannt. Diesen Spitznamen hat er sich durch seine Wandelbarkeit auf dem Fußballplatz verdient. Kam der gebürtige Franzose 2017 noch als Stürmer zum damaligen niederländischen Zweitligisten, hat er seinen Platz im Team mittlerweile in der Abwehr gefunden. Dabei wäre als Spitzname auch "Fischchen" für Bakari durchaus angemessen. Denn als Mitglied der "Coelacanths" hat Bakari einen guten Teil dazu beigetragen, Afrikas Fußballszene regelrecht aufzumischen. 

Das Team, das nach dem fast ausgestorbenen Quastenflosser, dem Coelacanth, benannt ist, den es fast nur noch an der Ostküste Afrikas gibt, schaffte Ende März 2021 die Sensation und qualifizierte sich zum ersten Mal in der Geschichte des Landes für die Endrunde des Afrika-Cups. In der Qualifikationsgruppe musste man lediglich Ägypten den Vortritt lassen. Die Mannschaften aus Kenia und Togo allerdings hatten das Nachsehen. "Wir haben ein ganzes Volk glücklich gemacht", stellte Bakari damals im Gespräch mit der DW fest. Nach dem entscheidenden 0:0 gegen Togo zogen die Fans auf der Hauptinsel Grande Comore gemeinsam mit der Mannschaft vom Stadion zum Teamhotel und feierten dort die ganze Nacht. 

Spielszene von Said Bakari im gelb-blauen Trikot des RKC Waalwijk
Über die Stationen Turnhout, Bonchamp und Namur kam Said Bakari (r.) 2017 zum RKC WaalwijkBild: Toin Damen/picture alliance

Die Komoren beim Afrika-Cup - das wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Jahrelang spielte Fußball auf dem Archipel nur eine unwichtige Nebenrolle - erst 2005 traten die Fußballer überhaupt dem Weltverband FIFA bei. Damit aber setzte sich eine Entwicklung in Bewegung, die nun ihren vorläufigen Höhepunkt erfuhr. Denn auch als kleines Land erhält man von der FIFA jährlich eine fette finanzielle Unterstützung. Gerade wenn man - wie auf den Komoren - bislang kaum fußballerische Infrastruktur vorweisen kann.

Es wanderten seither nicht nur jährlich 1,3 Millionen US-Dollar FIFA-Unterstützung auf die Komoren, das kleine Archipel wurde auch Mitglied des FIFA-Entwicklungsprogramms. Dadurch konnte man die "Twamaya Academy", das Zentrum des Fußballverbandes etwas nördlich der Hauptstadt Moroni, aufwändig renovieren. Bis Ende 2022 wird hier für insgesamt 11,4 Millionen US-Dollar eine neues Funktionsgebäude errichtet, zudem hat das Nationalstadion "Mohamed Cheikh" ein Kunstrasenfeld sowie eine Flutlichtanlage erhalten.

Amir Abdou - durch Zufall Cheftrainer

Für den aktuellen sportlichen Erfolg viel wichtiger war allerdings die Installation von Amir Abdou als Nationaltrainer. Eigentlich sollte der heute 49-Jährige 2014 Co-Trainer von Henri Stambouli werden. Doch als der Franzose absagte, rückte Abdou, der bis dahin einen französischen Sechstligisten trainiert hatte, gleich zum Chef auf. Und der in Marseille geborene Coach, dessen Vorfahren von den Komoren stammen, krempelte das Nationalteam mächtig um.

Er fand Spieler mit komorischen Wurzeln vor allem im Süden Frankreichs, wo die meisten von ihnen in der zweiten und dritten Liga Klubfußball spielten. Aus diesem Fundus baute er Stück für Stück eine neue Nationalmannschaft auf, die unter Abdous Anleitung Jahr für Jahr eine kontinuierliche Steigerung schafften. Der richtige Durchbruch gelang dann bei den Qualifikationsspielen zum Afrika-Cup. Nach einem 1:0-Auswärtssieg in Togo folgte ein viel beachtetes 0:0 im Heimspiel gegen den Giganten Ägypten und schließlich das womöglich entscheidende 2:1 gegen Kenia am 15. November auf heimischem Platz. Tausende Fans zogen schon damals feiernd durch die Hauptstadt.

Amir Abdou, Trainer der Komoren, beim Singen der Nationalhymne
Nationaltrainer Amir Abdou trägt seit 2014 beim Team der Komoren die VerantwortungBild: Shengolpixs/Imago Images

Abdou setzt vor allem auf Disziplin und Organisation - dazu kommt ein unerschütterlicher Teamgeist, den Said Bakari folgendermaßen beschreibt: "In unseren Klubs arbeiten wir alle eher egoistisch an unserer Karriere. Im Nationalteam aber schieben wir alle persönlichen Ziele beiseite und kämpfen wie eine Einheit für unser Land."

Bakaris persönliche Geschichte mag dabei beispielhaft für die fast aller Nationalspieler der Komoren sein. In einem Pariser Vorort geboren, schaffte es der mit viel Talent gesegnete Jugendliche in die Jugendabteilung von Paris-St. Germain, wurde dort als Erwachsener aber ausgemustert. Bakari, der noch viele Onkels und Tanten auf den Komoren hat, verließ als 18-Jähriger seine Familie und tingelte fortan ein paar Jahre durch die unterklassigen Ligen in Frankreich und Belgien, bis er 2017 in Waalwijk landete, sich dort etablierte und von Abdou entdeckt wurde.

Mit "Minimalisten-Fußball" die Gegner entnervt

Wie disziplinierter Fußball nach Vorstellung des ehemaligen Stürmers Amir Abdou aussieht, zeigt die Statistik: In den ersten fünf Qualifikationsspielen kassierte Abdous Team lediglich zwei Gegentore und schoss selbst aber auch nur vier. Doch dieser "Minimalisten-Fußball" reichte. Wie diszipliniert das Team unter ihrem Trainer ihr Konzept umsetzt, wurde im entscheiden Qualifikationsspiel daheim gegen Togo besonders deutlich: Beim 0:0 schoss das Abdou-Team nicht ein einziges Mal auf den gegnerischen Kasten. "Ich kann sagen, dass ich weder defensiv noch offensiv bin. Ich passe meine Taktik an die jeweiligen Möglichkeiten und Mittel des Gegners an", sagte Abdou, der "nebenbei" in Mauretanien auch noch Klubtrainer des FC Nouadhibou ist. "Meine Trainer-Vorbilder sind Diego Simeone und Carlo Ancelotti - das sind ja Verfechter zweier völlig unterschiedlicher Herangehensweisen."

Spielszene aus der Partie Komoren gegen Togo
Größter Erfolg der Fußballgeschichte ohne eigenen Torschuss - die Komoren beim 0:0 gegen TogoBild: BackpagePix/empics/picture alliance

Die größte Stärke der Mannschaft scheint ohnehin woanders zu liegen: In den automatisierten Abläufen. Seit Abdou die Mannschaft übernommen und 2016 dann im Grunde fertig zusammengestellt hatte, hat sie sich kaum mehr verändert. Seither führt Abdou das Team wie eine Vereinsmannschaft. Regelmäßig wird das Team zu Trainingslagern auf den Komoren zusammengezogen. Man kennt sich und vertraut sich. "Wir sind mittlerweile wie eine große Familie", sagt Said Bakari.

Zuletzt musste die Mannschaft allerdings auf heimatliche Gefilde verzichten. Wegen Corona war die Mannschaft seit fast einem Jahr nicht mehr auf dem Inselarchipel. "Wir wollten hin, aber es hat einfach nicht funktioniert", sagt Bakari. Das ist schade für die Fans, die ihre Helden seit geraumer Zeit also nur noch im TV bewundern können. Auch nach Kamerun kann wegen der Pandemie niemand von den Komoren reisen. "Ich denke, dass sie trotzdem hinter uns stehen", sagt Bakari. Die Mission lautet: "Wir wollen diese Menschen glücklich machen."