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Ausstellung über den Winterberg-Tunnel

Torsten Landsberg
20. Mai 2022

Eine Schau über den Winterberg-Tunnel in Frankreich erzählt vom Schicksal verschütteter Soldaten im Ersten Weltkrieg - und zeigt mit Blick auf die Ukraine, wie wichtig der Umgang mit Kriegstoten ist.

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Ein Buch mit handschriftlichen Aufzeichnungen eines Soldaten, dessen Foto auf der anderen Buchseite eingeklebt ist
Der Bericht eines Überlebenden ist Teil der Ausstellung über den eingestürzten Winterberg-TunnelBild: Uli Deck/dpa/picture alliance

Die Lage in der Ukraine seit der russischen Invasion belegt, wie unübersichtlich im Krieg alles werden kann. Die Angaben der Kriegsparteien über eigene Erfolge und Verluste des Gegners widersprechen sich - insbesondere auch, wenn es um das Schicksal von Soldaten geht.

Während der ukrainische Präsident Wolodomyr Selenskyj gerade sagte, beim Verlassen des belagerten Stahlwerks in Mariupol handele es sich um eine humanitäre Operation für die ukrainischen Kämpferinnen und Kämpfer, der ein Austausch von Kriegsgefangenen folgen werde, will die russische Seite davon öffentlich nichts wissen. Auch der Umgang mit getöteten Soldaten ist in vielen Fällen unklar. Wie bedeutend die Dokumentation und Bestattung von Kriegstoten ist, zeigt ein Blick in die Historie.

Die Ausstellung "Der Tod im Winterberg-Tunnel. Eine Tragödie im Ersten Weltkrieg" im Generallandesarchiv Karlsruhe gibt aktuell Einblicke in das Schicksal hunderter deutscher Soldaten, die im Mai 1917 in Nordfrankreich in einem Schutzstollen lebendig begraben wurden.

Selenskyj: Diplomatische Versuche, Militär aus Mariupol zu evakuieren

Auffällig sind die verschiedenen Angaben zur Zahl der Verschütteten. Während in der Ausstellung "von etwa 100 bis 150 badischen Soldaten" die Rede ist, gehen Historiker von 250 bis 270 aus, in der Vergangenheit waren gar schon mal über 400 Vermisste gemutmaßt worden.

Schreckliches Unglück im Ersten Weltkrieg

"Heute geht man davon aus, dass sich 80 bis 100 Soldaten im Tunnel befanden und weitere 100 in der unmittelbaren Nähe", sagt Diane Tempel-Bornett, Sprecherin vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Nach den Beschreibungen eines Soldaten, der sich nach zwei Tagen retten konnte, habe "wahnsinniges Chaos geherrscht: Durch den Artilleriebeschuss war die Munition, die am Eingang gelagert war, explodiert, auch die Leuchtspur-Munition geriet in Brand. Dabei entwickelten sich giftige Gase".

Der Volksbund, 1919 nach dem Ersten Weltkrieg gegründet, unterstützt die Ausstellung mit Grabungsfunden. Der Verein widmet sich nach eigenen Angaben "im Auftrag der Bundesregierung der Aufgabe, die Gräber der deutschen Kriegstoten im Ausland zu erfassen, zu erhalten und zu pflegen". Angehörige werden bei der Suche nach Gräbern unterstützt, für Schülerinnen und Schüler gibt es Führungen über die Kriegsgräberstätten. Der jeweils amtierende Bundespräsident hat die Schirmherrschaft.

Schicksal von Millionen Soldaten ungeklärt

Die verschütteten Soldaten gehörten dem badischen Reserve-Infanterie-Regiment 111 an, der Tunnel am Winterberg in der kleinen französischen Gemeinde Craonne im Department Aisne diente ihnen als Verbindung zwischen den Schützengräben. Nur drei Soldaten überlebten, die Leichen der anderen wurden nie geborgen. Nach den Kämpfen war der Ort des Geschehens nicht mehr auffindbar.

Ein kleiner Bagger führt Bohrungen in einem schlammigen Waldgebiet durch.
Bohrungen sollen Anfang Mai helfen, den Eingang des Winterberg-Tunnels zu lokalisierenBild: FRANCOIS NASCIMBENI/AFP/Getty Images

Lange geriet der Winterberg-Tunnel in Vergessenheit - keine Seltenheit, schließlich ist weltweit das Schicksal von mehreren Millionen Soldaten aus den Weltkriegen ungeklärt. Doch selbst mehr als 100 Jahre nach dem Einsturz ist noch immer offen, was mit dem Gebiet und den verschütteten Soldaten geschieht. In den vergangenen Jahren nahmen die Untersuchungen Fahrt auf. Auch Hobby-Archäologen versuchten sich mit illegalen Grabungen. 

"Solche Orte üben eine hohe Anziehungskraft aus: im besten Fall auf Hobby-Historiker, im schlechtesten auf Grabräuber", sagt Diane Tempel-Bornett. Dabei drohten solche Aktionen eher, Hinweise und Spuren zu vernichten.

Der Ort ist heute ein Naturschutzgebiet, verwildert und bewaldet. Vergangenes Jahr wurde Munition gefunden, die Gegend ist Sperrgebiet. Der Stollen, in dem die Überreste der Soldaten vermutet werden, liegt dutzende Meter unter der Erde. Schwierige Bedingungen, wie aufwändige Bohrungen und seismographische Untersuchungen zuletzt zeigten. 

Sicherung der Totenruhe

"Der Volksbund arbeitet zusammen mit den französischen Behörden und immer mit ihren Genehmigungen", sagt Diane Tempel-Bornett. "Wir werden von der Feuerwehr, Sprengstoffexperten, der Gendarmerie, Behördenvertretern und der Forstverwaltung begleitet. Auch ein Krankenwagen steht bereit. Wir arbeiten dort auch nur in vorher abgesicherten Gebieten."

Die Frage, ob die Überreste geborgen werden sollen, wird mittlerweile auf hoher politischer Ebene diskutiert, der deutsch-französische Ministerrat befasst sich mit dem Thema.

Für den Volksbund steht die Bergung der Leichenteile nicht im Vordergrund. "Unser Auftrag dort ist, abzusichern, dass die Totenruhe gewährleistet ist", erklärt die Vereinssprecherin. Es gelte zu vermeiden, dass Unbefugte dort buddeln und die Totenruhe stören, am Ende sogar Gräber plündern und sich selbst in Gefahr bringen könnten.

Fotos von vermissten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg
Der Volksbund hat an einer Ausgrabungsstelle eine provisorische Gedenkstätte errichtet Bild: FRANCOIS NASCIMBENI/AFP/Getty Images

Der Winterberg könnte zu einem offiziellen Gedenkort werden. "Viele können die Ungewissheit darüber, was mit ihren Vorfahren geschehen ist, nicht ertragen", sagt Diane Tempel-Bornett. Es gebe den Angehörigen ein Gefühl von Ruhe, wenn beispielsweise auf der Kriegsgräberstätte Rossoschka in Wolgograd - dem früheren Stalingrad - der Name ihres Großvaters auf einer Gedenkstele stehe.

"Für andere ist es wichtig, einen Ort zum Trauern zu haben. Da stehen 85-Jährige am Grab ihres Vaters, den sie als kleines Kind zuletzt gesehen haben. Da fließen viele Tränen. Aber es hilft ihnen, mit der Vergangenheit abzuschließen."

Die Geschichte des Volksbunds ist nicht frei von dunklen Kapiteln. Von Soldaten gegründet, war der Verein im Nationalsozialismus hoch angesehen. Einer Studie von 2019 zufolge fiel es dem Verein auch danach noch lange schwer, Täter und Opfer klar zu unterscheiden und aus dem Gedenken an gefallene Soldaten kein Heldengedenken zu machen.

"Auch Kriegsverbrecher müssten bestattet werden"

Mit Blick auf die Rolle deutscher Soldaten als Aggressoren in den Weltkriegen und folglich auch den Winterberg-Tunnel muss der Volksbund seinen Einsatz fürs Gedenken stets rechtfertigen.

"Auf den Kriegsgräberstätten liegen nicht nur Soldaten, sondern auch Holocaust-Opfer, Krankenschwestern, Kinder von Zwangsarbeiterinnen", sagt Diane Tempel-Bornett. Aber auch Kriegsverbrecher müssten bestattet werden. "Daran gibt es manchmal auch Kritik, aber es ist in unserer christlichen Kultur verankert, dass jede und jeder ein Grab haben sollte." Soldaten des Ersten Weltkriegs mit jüdischem oder muslimischem Glauben erhielten entsprechende Grabkennzeichen.

Die Ausstellung in Karlsruhe will mit einer dreidimensionalen Ausstellungsarchitektur die Tunneloptik nachempfinden. Erstmals öffentlich zu sehen sind verschiedene Grabungsfunde aus dem Stollen, die der Volksbund zur Verfügung gestellt hat.

"Der Tod im Winterberg-Tunnel. Eine Tragödie im Ersten Weltkrieg" gastiert bis zum 14. August 2022 im Generallandesarchiv Karlsruhe und zieht anschließend als Wanderausstellung nach Frankreich und Belgien weiter.