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PolitikAsien

Ukraine-Konflikt: Die Türkei will schlichten

Daniel Derya Bellut
15. Dezember 2021

Mit einem Militäraufgebot an der Grenze zur Ukraine setzt Russland Kiew unter Druck. Der Westen befürchtet eine Invasion. Nun bietet Ankara sich für eine Vermittlerrolle an. Kann die Türkei zur Deeskalation beitragen?

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Türkei Präsident Recep Tayyip Erdogan
Bild: Aytac Unal/AA/picture alliance

Russland hat in den vergangenen Wochen Zehntausende Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Kiew und die NATO befürchten, dass eine Invasion der russischen Armee bevorstehen könnte. Moskau bestreitet ein solches Vorhaben, dennoch ist man im Westen alarmiert. Die G7-Staaten - darunter die EU-Staaten Deutschland, Italien und Frankreich – drohten zuletzt mit "massiven Konsequenzen", sollten die russischen Streitkräfte in das Nachbarland einmarschieren. Auch Washington kündigte an, bei einem Einmarsch "ohne Zögern zu reagieren".

Die jüngste Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine wird auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres, in der Türkei, besonders aufmerksam beobachtet: Sowohl mit Kiew als auch mit Moskau unterhält die türkische Regierung enge Beziehungen.

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Präsident Erdogan signiert eine Kampfdrohne aus türkischer Produktion Bild: Murat Cetinmuhurdar/Turkish Presidency/handout/picture alliance / AA

Die Ukraine ist ein wichtiger Partner, mit dem Ankara lukrative Geschäfte macht - vor allem Rüstungsgeschäfte: Die Türkei liefert Kampf- und Aufklärungsdrohnen vom Typ Bayraktar TB2 sowie Bodenkontrollstationen aus. Die unbemannten Fluggeräte wurden von den türkischen Streitkräften in zahlreichen Konflikten eingesetzt und erwiesen sich als hocheffizient. Seit sich die Ukraine seit 2014 in einem bewaffneten Konflikt mit dem großen Nachbarn Russland befindet, weckten die Drohnen aus türkischer Produktion Begehrlichkeiten in Kiew.

Waffenlieferungen und Erdgas für Erdogan

Auch Moskau und Ankara haben vielfältige Handelsverbindungen. Die Türkei importiert Erdgas aus Russland - die Pipeline "Blue Stream", die durch das Schwarze Meer führt, wurde über die vergangenen Jahre massiv ausgebaut. Hinzu kommt, dass die Türkei Kriegsgerät aus Russland erhält. Ganz zum Unmut der NATO-Verbündeten beschloss Ankara, seinen Luftraum mit dem russischen Raketenabwehrsystem S-400 abzusichern. Aufgrund der engen Beziehungen zu beiden Ländern fühlt sich Präsident Recep Tayyip Erdogan nun zu einer Vermittlerrolle berufen. Man wolle keinen Krieg in der Region, heißt es vom türkischen Staatsoberhaupt, daher wolle man schlichten.

NATO Russland Raketen Stationierung Aufrüstung Flugabwehrraketen S-400 Triumph
Russische S-400-Raketen für die Türkei - ein Waffen-Deal, der für Kontroversen gesorgt hatBild: picture alliance/dpa

Ankara: Vermittler oder Kriegstreiber?

Doch für den Kreml ist die Türkei alles andere als eine Friedensstifterin: Moskau macht Ankara dafür verantwortlich, dass die ukrainischen Streitkräfte durch den Einsatz von Kampfdrohnen vom Typ Bayraklar "provokative Maßnahmen ergreifen". Erst am 26. Oktober hat die ukrainische Armee zum ersten Mal bei einem Gefecht im Donbass mithilfe einer türkischen Drohne einen wirksamen Luftschlag gegen eine Haubitzen-Stellung russischer Separatisten durchgeführt.

Timur Ahmetov, Experte vom Russischen Rat für Internationale Beziehungen, ist der Auffassung, dass der ukrainisch-türkische Rüstungsdeal kein Problem darstelle. Es ginge Russland vor allem darum, eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO zu verhindern. "Wenn die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und der Ukraine im Bereich der Rüstungsindustrie nicht darauf abzielt, die Ukraine in die NATO zu führen (…), hätte Russland nichts gegen eine Zusammenarbeit einzuwenden", urteilt Ahmetov. Die ukrainische Führung unterstreicht seit Jahren ihre Ambitionen, in die NATO einzutreten. Im März 2018 wurde der Ukraine offiziell der Status eines Beitrittskandidaten verliehen.

TABLEAU | Konflikt in der Ostukraine | Kiew, Reservisten-Übung
Übung der ukrainischen Streitkräfte. Kiew bereitet sich auf einen russischen Angriff vorBild: Valentyn Ogirenko/REUTERS

Biden lässt Ankara außen vor

Ob die Türkei eine Vermittlerrolle im Ukraine-Konflikt einnimmt, ist auch von Washington abhängig. US-Präsident Joe Biden sicherte der Ukraine den Schutz ihrer Souveränität und territorialen Integrität zu. Dabei scheint er aber nicht auf die Hilfe der türkischen Administration zu setzen – seit die Spannungen zunahmen, wendete sich Biden an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sowie an europäische Staats- und Regierungschefs.

Den Türkei-Experten Kadri Tastan von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) überrascht das nicht. Joe Biden habe seit seinem Amtsantritt eine kritische Haltung gegenüber Erdogan eingenommen. "Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Türkei nicht in die Konsultationen zur Ukraine einbezogen wurden." Der Experte erinnert daran, dass die Türkei auch nicht auf den von Biden einberufenen "Gipfel für Demokratie" am 9. und 10. Dezember war. Zu dem Treffen, mit dem die US-Regierung auf der ganzen Welt Demokratien und Grundrechte stärken möchte, wurde die Türkei - neben autokratischen Ländern wie China, Russland, Iran, Ungarn, den Philippinen und Myanmar - nicht eingeladen.

Washington Joe Biden bei Demokratie Gipfel
Biden auf dem "Demokratie-Gipfel". Für den US-Präsidenten ist Ankara kein verlässlicher PartnerBild: Tasos Katopodis/CNP/Zuma/imago images

"Biden hält einen Demokratiegipfel ab, aber die Türkei, eines der wichtigsten militärischen Streitkräfte der NATO, ist nicht eingeladen". Das fasst die Beziehungen gut zusammen, so Tastan. Joe Biden ist bekannt für seine kritische Haltung gegenüber dem türkischen Präsidenten, den er einmal als Autokraten bezeichnet hatte. Die Beziehungen zwischen den beiden Staatschefs ist wegen dem S-400-Rüstungsdeal und der türkischen Militäroperation in Nordsyrien (Idlib), die gegen den Willen der US-Administration eingeleitet wurde, äußerst angespannt - sogar US-Sanktion stehen im Raum. Dass bei solch unterschiedlichen Interessenslage, Biden gerade die Türkei als Vermittler im Ukraine-Konflikt begrüßen würde, ist daher äußerst unwahrscheinlich.