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Ukraine-Krieg: Zäsur für Geheimdienste

17. Oktober 2022

Russlands Einmarsch in die Ukraine hält Verfassungsschutz, BND und andere Sicherheitsbehörden in Atem. Sie sehen auch Deutschland als Ziel von Spionage und Bedrohung.

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Über Hochhäusern in Kiew steigen dunkle Rauchwolken in den Himmel; mutmaßlich ausgelöst durch russische Drohnen-Angriffe
Rauchwolken über der ukrainischen Hauptstadt Kiew nach einem mutmaßlichen russischen Drohnen-Angriff am 17.10.2022Bild: Gleb Garanich/REUTERS

Konstantin von Notz beschäftigt sich schon seit vielen Jahren kritisch mit den deutschen Sicherheitsbehörden. Als Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste des Bundes sagt der Grünen-Politiker am 17. Oktober in Berlin einen Satz, von dem niemand überrascht sein dürfte: "Der Krieg in der Ukraine beschäftigt uns zurzeit besonders intensiv."

Ihm und den anderen Mitgliedern des Gremiums gegenüber sitzt ein Trio, für das diese Aussage erst recht gilt: Thomas Haldenwang ist Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Bruno Kahl leitet in gleicher Funktion den Bundesnachrichtendienst (BND) und Martina Rosenberg das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD). 

Die Präsidentin des Militärischen Abschirmdiensts, Martina Rosenberg steht in einem Anhörungssaal des Bundestages zwischen dem Präsidenten des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang (l.), und dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl (r.)
Eine Geheimdienst-Chefin, zwei Geheimdienst-Chefs: Martina Rosenberg (Mitte), Thomas Haldenwang (l.), Bruno Kahl (r.) Bild: Mike Schmidt/IMAGO

Das Besondere an ihrem Treffen ist, dass sie drei Stunden lang öffentlich über die Folgen des Ukraine-Kriegs und Gefahren wie Rechtsextremismus oder Wirtschaftsspionage reden. Sonst tun sie das regelmäßig hinter abhörsicheren Türen in einem unterirdischen Raum des Bundestages. Dann wird auch über Dinge gesprochen, die absolut geheim sind.

BND warnt vor weiterer Gewalt Putins

Zwar erhalten die Medienvertreter und interessierten Besucher auf der Zuschauertribüne keine spektakulären Neuigkeiten, aber immerhin eine vage Vorstellung davon, welche Sorgen die Geheimdienste seit Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine umtreiben.

Aus brennenden Waggons eines Zuges auf der Krim-Brücke schlagen nach einer Explosion schwarze Brandwolken in den Himmel
Auf der Brücke zwischen der annektierten Krim und dem Festland ereignete sich Anfang Oktober eine schwere Explosion Bild: AFP/Getty Images

Der seit 2016 von Bruno Kahl geleitete BND ist für die Aufklärung im Ausland zuständig. Als Kahl ins Amt kam, lag die Annexion der Halbinsel Krim durch Russland schon zwei Jahre zurück. Als Russland am 24. Februar in die Ukraine eimarschierte, war Kahl selbst gerade in Kiew. Seiner Behörde wurde vorgeworfen, im Gegensatz zu den US-Geheimdiensten nicht ausreichend vor einem drohenden Krieg gewarnt zu haben. Kahl will das nicht gelten lassen, seine Behörde habe schon immer darauf hingewiesen, Putin werde weiterhin Gewalt anwenden, "um seine politischen Ziele durchzusetzen".

Warnungen der Sicherheitsbehörden verhallten

Als Belege erwähnt der BND-Präsident neben der Einverleibung der Krim und der Donbass-Region die Kriege in Tschetschenien, Georgien und Syrien. Die russische Aggression gegen die Ukraine sei für den Auslandsgeheimdienst daher nicht überraschend gekommen. Weite Teile der deutschen Bevölkerung seien aber erst dann "aufgerüttelt" worden.

Russische Soldaten hocken während des zweiten Tschetschenien-Kriegs im Jahr 2000 auf einem Panzer. Im Hintergrund sind total zerstörte Häuser
Russische Soldaten fahren im Jahr 2000 während des zweiten Tschetschenien-Kriegs durch die zerstörte Hauptstadt Grosny Bild: Yuri Kochetkov/epa/dpa/picture-alliance

Im öffentlichen Diskurs der letzten Jahrzehnte sei es bedauerlicherweise üblich gewesen, "reale Bedrohungen immer wieder zu ignorieren und zu verdrängen und entsprechende Warnungen der Sicherheitsbehörden als Panikmache und Wichtigtuerei abzutun", kritisiert Kahl.

Russische Versuche, "die Gesellschaft zu spalten"

Das Vorgehen des Kreml-Chefs Wladimir Putin bezeichnet der BND-Chef als Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Rechnung: politisch, militärisch und wirtschaftlich. Wobei sich viele Fachleute inzwischen sicher sind, der in die Defensive geratene russische Präsident könnte sich verkalkuliert haben. 

Russlands Präsident Wladimir Putin sitzt mit nachdenklich wirkendem Blick an einem Schreibtisch und hält sich mit der rechten Hand an der Tischkante fest
BND-Präsident Bruno Kahl traut Russlands Präsident Wladimir Putin auch den Einsatz taktischer Atomwaffen zuBild: Gavriil Grigorov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Der 24. Februar 2022, als russische Truppen völkerrechtswidrig in die Ukraine einmarschierten, ist für Bruno Kahl eine Zäsur, die Auswirkungen auf alle Nachrichtendienste habe. Der für das Inland zuständige Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang sieht das auch so. Russland versuche, die Fundamente der Demokratie zu unterminieren. Das habe Auswirkungen auf die innerdeutsche Sicherheit. Jedes Thema werde genutzt, "die Gesellschaft zu spalten": Corona, Inflation - "das komplette Programm".

Drohnen über Bundeswehr-Stützpunkten?

Die russische Propaganda, sagt Haldenwang, sei seit Kriegsbeginn deutlich offensiver und aggressiver. Seine Behörde beobachte eine Zunahme bei der Ausspähung von Oppositionellen. Dass Putins Regime bereit ist, im Ausland zu töten, steht für den Verfassungsschutz-Präsidenten außer Zweifel.

Geheimdienst-Kontrolleur Konstantin von Notz hält auch Berichte über Mini-Drohnen, die an Bundeswehr-Stützpunkten gesichtet worden sein sollen, für ein potentiell großes Sicherheitsproblem. Zumal es sich um Standorte handelt, wo ukrainische Soldaten an Waffensystemen ausgebildet werden.

"Da sind wir dran, weil das eine tatsächliche Bedrohung ist", sagt die Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes, Martina Rosenberg. Zwar könne man Spionage-Versuche nicht direkt Russland zuordnen, aber die Wahrscheinlichkeit dafür sei sehr hoch.

"Russland ist der Sturm, China der Klimawandel"

Als weitere große Herausforderung für die Nachrichtendienste wird in der öffentlichen Befragung immer wieder China genannt. Die Ausspähaktivitäten der asiatischen Supermacht bewegen sich nach Martina Rosenbergs Einschätzung seit Jahren "auf hohem Niveau". Auch BND-Chef Bruno Kahl zählt China neben Russland und dem internationalen Terrorismus zu den größten Gefahren. Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang verwendet für die Bedrohungslage ein nach seinen Worten in Geheimdienst-Kreisen übliches Bild: "Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel."