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Ukraine: Macron, Scholz und Tusk beraten Hilfen

14. März 2024

Die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Deutschland und Polen ringen um eine gemeinsame Linie für die Ukraine-Politik. Ist erster Nachschub an Artilleriemunition schon an der Front?

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Das Bild zeigt einen ukrainischen Soldaten an der Front in der Ost-Ukraine bei Bachmut. Auf dem Boden liegen mehrere Artilleriegranaten.
Die Ukraine muss seit November 2023 Artilleriegranaten sparen und ist vor allem deshalb stark unter Druck durch die russischen Streitkräfte. Bild: Diego H. Carcedo/Anadolu/picture alliance

Zuletzt hat es mächtig gekracht zwischen dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Bei einem Treffen in Berlin wollen beide wieder eine gemeinsame Sprache finden im Umgang mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nach einem Treffen zu zweit kommt der polnische Ministerpräsident Donald Tusk dazu: Gemeinsam mit Polen bilden Deutschland und Frankreich das sogenannte "Weimarer Dreieck".

Ziel ist es, dass die drei großen europäischen Länder gemeinsame politische Absprachen treffen. Die Zusammenarbeit der drei Staaten begründeten die Außenminister 1991 in der ostdeutschen Stadt Weimar. Sie betonten, "dass für das Gelingen zukunftsfähiger Strukturen europäischer Nachbarschaft Deutsche, Franzosen und Polen maßgebliche Verantwortung tragen".

Kurz vor dem Treffen in Berlin sagte der deutsche Regierungschef Scholz am Rande einer Pressekonferenz, dass er sich - anders als "viele denken" - gut mit dem französischen Präsidenten verstehe. "Emmanuel Macron und ich haben ein sehr gutes persönliches Verhältnis - ich würde es sehr freundschaftlich nennen", so Scholz.

Doch Deutschland ist in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft so eng verwoben mit Frankreich wie mit keinem anderen Land in der Europäischen Union. Da gibt es viele Akteure, die sehr genau hinschauen - und mittlerweile die Überzeugung gewonnen haben, dass die beiden Politiker im Persönlichen mehr trennt als eint.

Macron: Eintreten für die Ukraine

Zuletzt hatte Macron nach einem Treffen der europäischen Ukraine-Unterstützer in Paris auf eine Journalisten-Frage nicht ausgeschlossen, dass irgendwann auch europäische Soldaten in die Ukraine entsandt werden könnten. In Berlin schloss der Bundeskanzler das umgehend aus. Doch der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski sprang Macron schnell bei und sagte, europäische Soldaten in der Ukraine seien "nicht undenkbar".

Das Bild zeigt mehrere Männer sitzend am Konferenztisch, dahinter sind weitere Personen zu erahnen
26.02.2024: Bundeskanzler Scholz (l.) und Präsident Macron (M.) beim Ukraine-Treffen von 20 europäischen Staats- und Regierungschefs in Paris. Danach schloss Macron eigene Bodentruppen in der Ukraine nicht aus, Scholz widersprach umgehend mehrmals öffentlichBild: Gonzalo Fuentes/AP/picture alliance

Scholz verweist vor allem darauf, dass in Europa Deutschland die meisten Waffen an die Ukraine liefere, während Frankreich auf Platz 14 stehe. Polen stand zuletzt auf Platz 10.

Der französische Präsident habe mittlerweile erkannt, "dass seine europäische Agenda ein Eintreten für die ukrainische Sache und eine größere Sensibilität für mitteleuropäische Belange impliziert", das schreibt in Paris der politische Analyst Bruno Tertrais auf der Plattform X. 

Tertrais ist Vizedirektor der "Stiftung für strategische Forschung". Er sieht bei Macron einen Wandel im Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zu Beginn von Russlands vollumfänglicher Invasion in der Ukraine vor zwei Jahren hatte Paris noch versucht, die Tür für Gespräche mit Moskau offen zu halten. Das sei vorbei, so Tertrais.

Macron-Auftritt im Fernsehen vor Berlin-Besuch

Am Vorabend des Dreier-Gipfels mit Bundeskanzler Scholz und dem polnischen Ministerpräsidenten Tusk stellte sich Macron den Fragen im französischen Fernsehen. Der private TV-Kanal TF1 und der öffentlich-rechtliche Sender France 2 übertrugen das Interview parallel zu bester Sendezeit nach den Hauptnachrichten am Abend. 

Das Bild Frankreichs Präsidenten Macron sitzt an einem runden Glastisch im Elysée-Palast beim Fernsehinterview am 14.03.2024
Der französische Präsident Emmanuel Macron beim Fernsehinterview über seine Ukraine-Politik am 14.03.2024: "Putin eskaliert" Bild: Bertrand Riotord/MAXPPP/dap/picture alliance

Macron sagte gleich mehrfach, dass die Verantwortung für den Krieg gegen die Ukraine "ausschließlich" beim russischen Präsidenten Putin und dem "russischen Regime" liege. "Russland ist eine Europa destabilisierende Macht", so Macron, es dürfe den Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnen.

Hybride Angriffe: Russlands Schattenkrieg?

Russland führe einen hybriden Krieg, der auch Frankreich treffe – durch Desinformation und Cyberattacken, so Macron, der sich als entschiedener Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte präsentierte. Gefragt nach seiner Äußerung zu westlichen Bodentruppen in der Ukraine sagte Macron: "Wir sind heute nicht in dieser Situation." Ausschließen wollte er auf Nachfrage dies erneut nicht. Sollte Russland "diesen Krieg gewinnen", so Macron, werde "Europas Glaubwürdigkeit auf null sinken". 

Und: "Sollte Russland gewinnen, wird das Leben der Franzosen ein anderes sein." Für die künftige Finanzierung von Rüstungsgütern für die Ukraine wollte der französische Präsident eine gemeinsame Schuldenaufnahme aller EU-Staaten wie beim sogenannten Corona-Wiederaufbaufonds der EU nicht ausschließen. 

Unterstützung der konservativen Opposition

Nach Berlin kommt Macron mit politischem Rückenwind für seine Außenpolitik: Das französische Parlament wie der Senat haben für ein Sicherheitsabkommen zwischen Frankreich und der Ukraine gestimmt. Deutschland hatte zuvor ein ähnliches Abkommen mit der Ukraine beschlossen.

Es legt unter anderem fest, dass die Partnerstaaten für die nächsten zehn Jahre die Ukraine militärisch unterstützen.

Macrons Partei hat zwar seit der letzten Wahl keine Mehrheit mehr, er hat im Parlament aber die Unterstützung der konservativen Opposition hinter sich. Macron kann darauf setzen, dass deutliche Ansagen des Präsidenten in der Außenpolitik in Frankreichs konservativem Lager meist Unterstützung finden. Das Land ist Mitglied des UN-Sicherheitsrats und verfügt anders als Deutschland über einen eigenen atomaren Schutzschirm.

Ein Mann im Anzug mit Halbglatze spricht vor einem Mikrofon im deutschen Parlament
Bundeskanzler Olaf Scholz bekräftigt im Bundestag seine Ablehnung der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die UkraineBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Ganz anders ist die Ausgangslage des deutschen Bundeskanzlers. Noch am Tag vor dem deutsch-französisch-polnischen Treffen hat die größte Oppositionsfraktion im Bundestag, die konservative Union aus CDU/CSU, einen Antrag zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine eingebracht. Scholz lehnt die Lieferung der betonbrechenden Waffe mit 500 Kilometern Reichweite seit Monaten ab.

Der Antrag der Opposition wurde von der Regierungsmehrheit aus der Kanzlerpartei SPD, Grünen und liberaler FDP abgelehnt. Doch einige Abgeordnete der beiden kleineren Koalitionsparteien machten bei der Aussprache deutlich, dass sie eigentlich anderer Meinung sind.

Streit um Taurus-Marschflugkörper in Deutschland

Während Bundeskanzler Scholz darauf verweist, dass die Ukraine derzeit vor allem Munition brauche, sagte die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger: "Für uns Grüne ist es kein Entweder-Oder - es braucht beides."

Mit dem Taurus-Lenkflugkörper könnte die Ukraine die Kertschbrücke zwischen dem russischen Festland und der russisch besetzten ukrainischen Halbinsel Krim treffen und damit den wichtigsten Versorgungsweg der russischen Armee zerstören. "Frankreich und Großbritannien haben bereits ähnliche Marschflugkörper geliefert", ergänzte die Grünen-Abgeordnete Brugger. Die bleiben aber hinter der Leistungsfähigkeit des deutschen Taurus zurück.

Debatte um NATO-Bodentruppen in die Ukraine

Der deutsche Bundeskanzler geht also innenpolitisch geschwächt in die Gespräche mit Macron und Tusk über die gemeinsame Ukraine-Politik.

Mehr noch: In der EU zeigt mit Tschechien ein kleines Land, wie der Ukraine effektiv geholfen werden kann, während Deutschland und Frankreich noch um eine gemeinsame Linie ringen.

Kiew braucht dringend Artilleriemunition, um den massiven russischen Angriffen im Osten der Ukraine zu begegnen. Im Moment verteidigen Kiews Truppen vor allem mit Drohnen.  

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar hatte der tschechische Präsident Petr Pavel erstmals bekannt gemacht, dass sein Verteidigungsministerium weltweit einen Bestand von 800.000 Artilleriegranaten identifiziert hat. Bei seinem Auftritt vor einem Monat forderte er die EU-Partner zur Finanzierung auf.

Erste Artilleriemunition aus tschechischer Initiative bereits in der Ukraine?

Nach Angaben des tschechischen Onlineportals "Seznamzpravy" haben sich mittlerweile 18 Länder der Prager Initiative angeschlossen. "Die erste Munition kommt schon an in der Ukraine", sagt der deutsche Sicherheitsexperte Nico Lange im DW-Interview. "Das wird jetzt in Tranchen weitergehen. Die ist gekauft und dann wird die in die Ukraine gebracht und kommt da an. Das geht ganz schnell", so Lange, der auch für die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) arbeitet.

Das Beispiel zeige, was konkret getan werden könne, um der Ukraine in dieser schwierigen Phase des Krieges nach der im vergangenen Jahr gescheiterten Gegenoffensive zu helfen: "Das Kanzleramt und der Élysée-Palast haben die Chance verpasst, bei der Münchner Sicherheitskonferenz dieses wichtige Signal zu setzen und sind dafür auch, wie ich glaube, zu Recht kritisiert worden", sagte Lange der DW.

Allerdings glaube er, so der Sicherheitsexperte, dass der polnische Ministerpräsident Donald Tusk mit seiner früheren Erfahrung als EU-Ratspräsident jetzt "genau der Faktor sein könnte, der die Deutschen und die Franzosen zusammenbringt".

Dieser Text wurde nach Veröffentlichung um die Aussagen von Präsident Macron im französischen Fernsehen ergänzt.