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Wachstum: Was Frankreich besser macht

Lisa Louis Paris
27. Oktober 2023

Während Deutschland in der Rezession steckt, wächst Frankreichs Wirtschaft. Denn das Land hat in den vergangenen Jahren einiges richtig gemacht. Doch der Erfolg hat eine Schattenseite.

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Frankreichs Präsident Macron besucht GE Steam Power, Hersteller für AKW-Turbinen in Belfort
Frankreichs Präsident Macron besucht GE Steam Power, Hersteller für AKW-Turbinen in BelfortBild: POOL/AFP/Getty Images/JEAN-FRANCOIS BADIAS

Der  schwarzen Peter des "kranken Mannes Europas" wurde in der Vergangenheit gerne mal Frankreich zugeschoben. Wegen seiner mangelnden Reformfähigkeit oder auch der lange Zeit hohen Arbeitslosigkeit.

Gerade jedoch wäre der Titel alles andere als angemessen: Während in nordeuropäischen Ländern wie Deutschland oder Schweden die Wirtschaft dieses Jahr schrumpft, wächst sie in Frankreich - um immerhin 0,5 Prozent im zweiten Quartal 2023. Ökonomen sagen, das liege unter anderem an der französischen Wirtschaftsstruktur und den Reformen der vergangenen Jahre. Dennoch habe der Wachstumssegen auch eine Schattenseite.

"Französische Firmen haben dieses Jahr Milliarden Euro durch den Verkauf von Kreuzfahrtschiffen und Flugzeugen verdient. Das schlägt sich in unseren Wachstumszahlen nieder", erklärt Philippe Crevel, Ökonom und Chef der Pariser Denkschmiede Cercle de l'Epargne, gegenüber DW. "Vor allem aber hat Frankreich einen großen Dienstleistungssektor, der gute Ergebnisse erzielt hat - gerade im Bereich Tourismus." Das habe das Land mit Spanien gemeinsam, das aktuell auch mit positivem Wachstum gesegnet ist.

Frankreich I AKW in Cattenom
Vorteil Frankreich: Durch die vielen AKWs ist das Land nicht von Öl- und Gaslieferungen abhängigBild: Pierre Heckler/PHOTOPQR/LE REPUBLICAIN LORRAIN/picture alliance

Der Norden kommt nicht mit

Anders sei es in nordeuropäischen Ländern wie Deutschland, so der Ökonom. "Die deutsche Wirtschaft basiert auf einem starken Industriesektor, der traditionell viel exportiert hat", sagt er.

"Das Land leidet nun daran, dass der internationale Handel stagniert. Die chinesische Wirtschaft wächst weniger stark, und die USA und Europa befinden sich im Handelsstreit mit China, so dass alle Seiten Handelsbarrieren errichten. Die hohen Energiepreise sind auch ein Problem - Industrieunternehmen brauchen schließlich viel Strom."

Deutschland setzte in der Vergangenheit viel auf Gasimporte aus Russland, die in Folge der russischen Invasion der Ukraine, die im Februar 2022 begann, nun nicht mehr fließen wie vorher.

Frankreich hingegen profitiert von seinem relativ günstigen Atomstrom, der rund 70 Prozent der Elektrizitätsproduktion ausmacht.

Außerdem sei es für Deutschland von Nachteil, dass die Entwicklung wegen des Klimawandels weg von Verbrennungsmotoren und hin zu Elektroautos gehe. "Das Land war traditionell ein großer Automobilproduzent, aber die Batterien, die den größten Teil der Wertschöpfung von Elektroautos stellen, kommen bisher hauptsächlich aus China", sagt Crevel.

Fixe Franzosen - zaudernde Deutsche

Anne-Sophie Alsif, Chefökonomin der Pariser Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO, fügt dem einen anderen diametralen Unterschied zwischen den beiden Wirtschaften hinzu: "Frankreichs Wachstum speist sich vor allem aus der Inlandsnachfrage. Und obwohl die Kaufkraft der französischen Verbraucher durch die Krisen der vergangenen Jahre etwas gesunken ist, ist sie nicht eingebrochen", sagt Alsif zur DW.

Zu einer Krise kam es neben dem Ukrainekrieg auch wegen der weltweiten Corona-Pandemie, die ab 2020 zu spüren war.

Portrait Anne-Sophie Alsif, Chefökonomin der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO
Frankreichs Wachstumserfolg speise sich "aus der Inlandsnachfrage", sagt Anne-Sophie AlsifBild: Lisa Louis/DW

Dass das Land so gut durch diese schweren Zeiten navigiert ist, liege vor allem an der schnellen Reaktion des Staates, sagt Christopher Dembik, Investmentberater bei der Pariser Filiale der Schweizer Vermögensverwaltung Pictet Asset Management.

"Frankreich hat nicht nur während der COVID-Krise großflächig Hilfen und Darlehen verteilt, so dass Haushalte und Unternehmen ihre Kaufkraft und Investitionsfähigkeit aufrecht erhielten", hebt er gegenüber DW hervor. "Das Land hat auch extrem schnell die Wirtschaft gegen steigende Energiepreise mit Finanzhilfen abgeschirmt - ein Jahr, bevor Deutschland Maßnahmen ergriffen hat. Das hat einen großen Unterschied gemacht, auch wenn Deutschland anteilig an seinem Bruttoinlandsprodukt (BIP) etwas mehr ausgegeben hat."

Diese mangelnde Reaktionsschnelligkeit kritisiert auch Armin Steinbach, deutscher Professor für Recht und Ökonomie an der Pariser Universität HEC und Fellow der Brüsseler Denkschmiede Bruegel.

"Wir sollten uns von Frankreichs Top-Down-Präsidialsystem eine Scheibe abschneiden und unsere eigenen Entscheidungswege in Krisenzeiten effektiver gestalten", sagt er im Gespräch mit DW. "Während Deutschland noch ewig diskutierte wegen seines konsensorientierten föderalen Systems aus Bund und Ländern, hatte Frankreich schon längst Maßnahmen umgesetzt."

Doch die französische Glanzleistung habe auch tieferliegende Gründe. "Präsident Emmanuel Macron erntet die Früchte seiner beherzten Wirtschaftsreformen, die er seit seiner ersten Amtszeit ab 2017 in die Wege geleitet hat. Er hat die Unternehmenssteuern gesenkt, den Arbeitsmarkt liberalisiert, die Arbeitslosenversicherung reformiert und zuletzt auch die schmerzhafte Rentenreform durchgesetzt", meint Steinbach. "Das schlägt sich auch in der Arbeitslosigkeit nieder, die gerade bei sieben Prozent liegt, so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr."

Belastete Nachbarschaft

Frankreichs gute Wirtschaftsleistung führe im Übrigen zu Verstimmungen im deutsch-französischen Verhältnis, in dem es ohnehin seit einiger Zeit knirscht. Die Länder gelten als Motor der europäischen Union. "Deutschland hatte wirtschaftlich immer die Nase vorn. Das könnte sich nun dauerhaft umdrehen, was für große Nervosität auf deutscher Seite sorgt - auch weil Frankreich wegen seiner guten ökonomischen Daten mit stolz geschwellter Brust auftritt", so Steinbach, der zehn Jahre in der deutschen Regierung, unter anderem im Finanzministerium, gearbeitet hat.

Hamburg | Emmanuel Macron und Olaf Scholz
Gute Laune trotz wachsender wirtschaftlicher Rivalität: Präsident Macron und Bundeskanzler ScholzBild: Markus Schreiber/AP/picture alliance

Die Analyse von Catherine Mathieu, Ökonomin an der Beobachtungsstelle für Konjunktur OFCE der Pariser Universität Sciences Po, sollte die Sorgen der Deutschen nicht mildern. "Wenn man die Zahlen aus dem Jahr 2019 vor der Corona-Krise mit 2023 vergleicht, ist Frankreich nicht der Musterschüler, sondern Deutschland ist vor allem besonders schlecht", erklärt sie gegenüber DW.

"Im Durchschnitt ist das BIP der Eurozone seit Ende 2019 um 3,1 Prozent gestiegen und das Frankreichs um 1,7 Prozent. Die deutsche Wirtschaft jedoch hat praktisch stagniert - mit einer minimalen Wachstumsrate von 0,2 Prozent."

All dies, so sind sich die Ökonomen einig, stelle jedoch nicht grundsätzlich die industrieorientierte Wirtschaftsstruktur Deutschlands in Frage. "Schließlich setzt Frankreich nun auch vermehrt auf Re-Industrialisierung", sagt Alsif. "Und es ist gut, das es in der EU strukturell unterschiedliche Ökonomien gibt - so sind nicht alle gleichzeitig in der Rezession."

Zu viele Schulden?

Doch Frankreichs Erfolgsgeschichte hat auch eine Schattenseite: die durch die Decke gehende Staatsverschuldung, die inzwischen über 3000 Milliarden Euro, also 112,5 Prozent des BIPs, beträgt. 2019 lag dieser Prozentsatz noch unter 100. Außerdem beläuft sich das französische Haushaltsdefizit auf fünf Prozent - deutlich über der von Brüssel festgelegten Drei-Prozent-Grenze.

Die Ökonomen glauben zwar, dass auch solche Zahlen in naher Zukunft nicht zu einer Pleite Frankreichs führen dürften. Ein Problem seien sie dennoch, so Steinbach. "Wenn ein Land einen hohen Schuldendienst leisten muss, hat es weniger Geld für andere, wichtige Ausgaben", meint der Wirtschaftswissenschaftler. "Dadurch entsteht ein Spardruck im Land, der politisch destabilisierend wirken kann. Und irgendwann ist kein Geld mehr übrig für großzügige staatliche Unterstützungsprogramme."