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Politik

Was droht den ukrainischen Asow-Gefangenen in Russland?

Sergey Satanovskiy | Alexander Sawizkij
3. August 2022

Russland hat das ukrainische Asow-Regiment als "terroristische Organisation" eingestuft. Welche Folgen hat der Gerichtsentscheid für die gefangenen Asow-Kämpfer, aber auch für deren Sympathisanten in Russland?

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Ukraine-Krieg Mariupol | Abtransport von Kriegsgefangenen aus Asow-Stahlwerk
Abtransport gefangener Asow-Kämpfer aus dem Stahlwerk in Mariupol im Mai 2022Bild: Valentin Sprinchak/Tass/IMAGO

Neben Al-Qaida und den Taliban ist das Asow-Regiment nun die Nummer 41 auf der Liste der Terrororganisationen, die vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB erstellt wird. Am 2. August erklärte der Oberste Gerichtshof Russlands das ukrainische Regiment zur "terroristischen Organisation".

Das Asow-Regiment ist aus einem Freiwilligenbataillon hervorgegangen, das wegen ursprünglicher Verbindungen zu Rechtsextremisten umstritten ist. Es ist heute Teil der Nationalgarde der Ukraine und dem Innenministerium unterstellt. Unter anderem diente seine bloße Existenz Russland als Begründung, am 24. Februar seine Invasion in der Ukraine zu beginnen.

Ukraine-Krieg Mariupol | Stahlwerk Asovstal
Blick auf das zerstörte Stahlwerk Asowstal in Mariupol im Mai 2022Bild: AP/dpa/picture alliance

Das Hauptquartier des Regiments befand sich in Mariupol am Asowschen Meer. Die ukrainische Hafenstadt wurde im Mai von russischen Truppen besetzt. Seitdem befinden sich nach ukrainischen Angaben mehr als 2500 Kämpfer, die 86 Tage lang das Stahlwerk in Mariupol verteidigt hatten, in russischer Gefangenschaft. Russland spricht von 2439 Männern, die sich ergeben hätten. Mehr als 50 Asow-Gefangene starben vor kurzem in einem Lager in Oleniwka. Der Ort im Donbass wird nicht von der Ukraine kontrolliert. Kiew und Moskau machen sich gegenseitig für den tödlichen Beschuss verantwortlich.

Aussagen angeblicher Zeugen

Russische Staatsvertreter und Medien stellen das Asow-Regiment seit langem als "Nazi-Formation" dar. Sie behaupten, Asow-Angehörige hätten Häuser vermint, Gräueltaten begangen und Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt. Der Vorsitzende der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, spricht sogar von "Kriegsverbrechern".

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, das Asow-Regiment zur "terroristischen Organisation" zu erklären, wurde vom Obersten Gerichtshof innerhalb von drei Stunden geprüft. Zuvor war die Verhandlung zweimal um einen Monat verschoben worden. Die Sitzungen vor Gericht fanden alle hinter verschlossenen Türen statt.

Ukraine-Krieg - Beisetzung toter Soldaten
Offiziere des Asow-Regiments erweisen einem gefallenen Soldaten die letzte EhreBild: Andrew Kravchenko/AP/dpa/picture alliance

Doch Kreml-freundliche Medien veröffentlichten Aussagen von zwei Zeugen. Georgij Wolkow, Leiter der Öffentlichen Aufsichtskommission Moskaus, die sich mit Menschenrechtsfragen in Strafanstalten befasst, sagte vor Gericht angeblich unter Berufung auf Äußerungen eines gefangenen Asow-Kämpfers, dass sie Kannibalismus praktiziert hätten. Und die Journalistin Marina Achmedowa, die in Mariupol und Wolnowacha in der Oblast Donezk recherchiert hatte, erklärte: "Ich habe zahlreiche Zeugenaussagen über Folter und Hinrichtungen von Zivilisten durch Asow-Angehörige gesammelt - Folter, die nicht nur damit erklärt werden kann, dass wir Feinde sind."

Folgen für Asow-Kämpfer und Sympathisanten

Gemäß Artikel 205.5 des russischen Strafgesetzbuches drohen den Gründern und Anführern terroristischer Organisationen lebenslange Haftstrafen und Geldbußen von bis zu einer Million Rubel (umgerechnet ca. 16.000 Euro). Gewöhnliche Mitglieder können zu zehn bis zwanzig Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von bis zu 500.000 Rubel (umgerechnet ca. 8000 Euro) verurteilt werden. Sympathisanten des Asow-Regiments können in Russland wegen "Rechtfertigung von Terrorismus" belangt werden. Artikel 205.2 des Strafgesetzbuches sieht für entsprechende Äußerungen Haftstrafen von zwei bis fünf Jahren und ebenfalls eine Geldbuße von bis zu 500.000 Rubel vor.

Experten des Moskauer Zentrums für Information und Analyse "SOWA", das sich mit den Themen Rassismus, Nationalismus und Menschenrechte in Russland befasst, rät jetzt Internetusern, genau hinzuschauen, welchen Gruppen sie in sozialen Netzwerken angehören, und ob sich darunter auch solche befinden, die mit einer "terroristischen" oder "extremistischen" Organisation in Verbindung stehen.

Die Symbole des Asow-Regiments wurden in Russland schon lange vor dem jetzigen Gerichtsentscheid als extremistisch eingestuft, und zwar von einem Bezirksgerichts der Stadt Wladimir im Jahr 2015. Artikel 20.3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten der Russischen Föderation sieht wegen "Zurschaustellung entsprechender Symbole" bis zu 15 Tage Haft vor.

Reaktionen aus der Ukraine

"Es klingt etwas seltsam: Ein Land, das kurz davor steht, als Sponsor von Terrorismus eingestuft zu werden, und das gegen alle Regeln und Bräuche des Krieges verstößt, stuft eine Organisation als terroristisch ein", erklärte Mychajlo Podoljak, Berater im ukrainischen Präsidialamt. Ihm zufolge hat der russische Gerichtsentscheid für die Welt keine Bedeutung. Er werde auch nicht die Verhandlungen über den Gefangenenaustausch beeinträchtigen. Der Schritt sei "ein reines internes Propaganda-Produkt", so Podoljak.

Jegor Tschernew, Abgeordneter der regierenden Partei "Diener des Volkes", sagte der DW, Russland wolle mit den Gerichtsentscheid die Asow-Kämpfer dem Geltungsbereich der Genfer Konvention entziehen. Dieser Meinung ist auch Wolodymyr Arjew von der oppositionellen Partei "Europäische Solidarität". Er erinnerte daran, dass Kiew bereits 2015 die Welt aufgefordert hatte, Russland als Aggressor einzustufen.

Übergangsunterbringungszentrum für ukrainische Gefangene
Nach dem Beschuss: Das Lager in Oleniwka, in dem die Asow-Gefangenen untergebracht warenBild: Vadim Belozertsev/TASS/dpa/picture alliance

Das ukrainische Militär erklärte: "Russland sucht nach der öffentlichen Hinrichtung von Kriegsgefangenen des Asow-Regiments in Oleniwka nach neuen Gründen und Rechtfertigungen für seine Kriegsverbrechen". Das Asow-Regiment selbst forderte die USA und andere Länder auf, Russland zu einem "terroristischen Staat" zu erklären. "Russlands Armee und Geheimdienste begehen jeden Tag Kriegsverbrechen. Duldung oder Schweigen ist Komplizenschaft", heißt es in einer Erklärung.

Die Leiterin des ukrainischen "Zentrums für Bürgerfreiheiten", Oleksandra Matwijtschuk, die schon an Verhandlungen zur Freilassung ukrainischer Gefangener beteiligt war, sagte im Gespräch mit der DW: "Das Asow-Regiment ist Teil der Nationalgarde. Es als terroristische Organisation einzustufen, wäre dasselbe, wie die gesamten Streitkräfte der Ukraine als terroristische Organisation einzustufen, die in Wirklichkeit ihr Land gegen die Invasion von Terroristen verteidigen."

Adaption aus dem Russischen und Ukrainischen: Markian Ostaptschuk