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Wenn Unwetter zu posttraumatischen Belastungsstörungen führt

25. August 2023

Wer einen Waldbrand oder Hochwasser erlebt, hat ein hohes Risiko für psychische Erkrankungen und posttraumatische Belastungsstörungen. Je hilfloser sich jemand fühlt, desto schlimmer für die Psyche.

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Menschen mit Schutzmasken vor Mund und Nase werden vor den Bränden auf Teneriffa evakuiert.
Waldbrände oder Fluten mitzuerleben, kann extrem traumatisierend sein und zu nachhaltigen psychischen Erkrankungen führenBild: Arturo Rodriguez/AP/picture alliance

Soldaten, die im Krieg kämpfen, leiden nicht selten nach ihren Einsätzen unter einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Aber auch Menschen, die Gewalt, Flucht und Vertreibung erleben, können eine PTBS entwickeln. Ebenso wie Einsatzkräfte, die bei Katastrophen ausrücken, um Schwerverletzte und Tote zu bergen.

Extremwetterereignisse können derartige Katastrophen sein, bei denen Menschen um ihr Überleben kämpfen, vor Feuer oder Fluten fliehen müssen und miterleben, wie Menschen sterben. Wer akut und unmittelbar durch ein extremes Unwetter bedroht war und sich der Katastrophe hilflos ausgeliefert gefühlt hat, dessen Risiko für eine PTBS steigt ebenfalls.

"Die Wirbelstürme Katrina und Rita sind sehr gut untersucht worden", sagt Andreas Meyer-Lindenberg. Er ist Psychiater und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).

2005 war Meyer-Lindenberg als psychiatrischer Ersthelfer in den USA, nachdem der Hurrikan Katrina verheerende Schäden angerichtet und mehr als 1800 Menschenleben gefordert hatte. "Grundsätzlich gilt: Nicht jede Person, die Extremwetterereignissen ausgesetzt wird, hat dadurch psychische Probleme. Aber psychische Probleme und Erkrankungen steigen nach Extremwetterereignissen deutlich an."

Wie entsteht ein Trauma?

Nahezu die Hälfte der von Katrinas Verwüstungen betroffenen Menschen entwickelte eine PTBS, so Meyer-Lindenberg. Auch Depressionen, Angstzustände oder auch Suchterkrankungen können auf ein extremes Ereignis folgen. Die PTBS ist allerdings eine direkte, kausale Folge des Erlebten.

PTBS als direkte Folge von Unwetter

"PTBS ist dadurch definiert, dass es ein extrem bedrohliches Ereignis gegeben hat, das man selbst oder ein nahestehender Mensch miterlebt hat, und dass dieses Ereignis im Zentrum der Beschwerden steht", erklärt Meyer-Lindenberg. Durch sogenannte Flashbacks, Träume und Erinnerungen werde die Katastrophe immer wieder durchlebt - ein typisches Symptom der PTBS. Betroffene versuchen in der Folge alles zu vermeiden, was diese Flashbacks auslösen könnte. Bei Hochwasser-Opfern kann das schon Regen sein.

Aufgrund dieser Vermeidungsstrategie, die einer Auseinandersetzung mit dem Erlebten im Weg steht, verschwinde eine posttraumatische Belastungsstörung auch häufig nicht ohne therapeutische Hilfe, so der Psychiater.

Es gibt nur wenige Daten zu Extremwetterereignissen und ihren Folgen für die Psyche der Betroffenen aus Entwicklungsländern - dort also, wo die Auswirkungen von Bränden und Fluten oft besonders verheerend sind. "Die meisten Untersuchungen stammen aus Europa, Nordamerika und Australien", sagt Meyer-Lindenberg. In Afrika sei die Datenlage besonders schlecht.

Dabei sind es die Länder des globalen Südens, die sich bereits länger und häufiger als der Norden mit extremen Wetterereignissen, die sich durch den fortschreitenden Klimawandel noch verstärken, auseinandersetzen müssen. "Wenn Länder Erfahrungen mit Extremwetter haben und dadurch besser mit den Konsequenzen umgehen können, kann das die Effekte dieses Ereignisses natürlich abpuffern", sagt Meyer-Lindenberg.

Zwei Männer tragen zwei Mädchen auf den Schultern und waten durch hüfttiefes Wasser
Überschwemmungen in Pakistan 2022: Es gibt kaum Daten aus dem globalen Süden darüber, wie sich Extremwetterereignisse psychisch auswirkenBild: Shakeel Ahmad/AA/picture alliance

Stabile Deiche schützen dann nicht nur Hab und Gut vor Hochwasser, sondern auch die mentale Gesundheit, weil sie ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Allerdings sind für einen guten Schutz vor Extremwetterereignissen auch finanzielle Mittel notwendig, die in ärmeren Ländern oft fehlen.

Wie funktioniert psychiatrische Erste Hilfe?

Auch die sogenannte psychiatrische Erste Hilfe nach einer Katastrophe kostet Geld. Sie muss außerdem gut strukturiert werden. Meyer-Lindenberg zählt fünf Punkte auf, die wichtig sind, um die Überlebenden psychisch zu stabilisieren.

Erstens muss ein Schlafplatz, etwas zu Essen und sauberes Trinkwasser her. "Bevor das nicht gewährleistet ist, muss man über gar nichts anderes nachdenken", sagt Andreas Meyer-Lindenberg.

Zweitens sei es wichtig zu beruhigen, so der Psychiater. Also zuzuhören, wenn jemand reden möchte. Aber auf keinen Fall ein Gespräch über das Erlebte zu forcieren.

Drittens sollten Betroffene möglichst schnell Kontakt zu Angehörigen aufnehmen können. "Gerade für Kinder ist es enorm wichtig, dass sie so schnell wie möglich mit einer vertrauten Person zusammen sein können", sagt Meyer-Lindenberg.

Menschen könnten besser mit einer Katastrophe umgehen, wenn sie, viertens, Selbstwirksamkeit erleben, so Meyer-Lindenberg. Selbstwirksamkeit ist das Gefühl, eine Situation aktiv mitzugestalten anstatt sich ausschließlich ausgeliefert zu fühlen. "Anderen zu helfen ist eine Möglichkeit, um selbstwirksam zu sein", sagt Meyer-Lindenberg.

Zuletzt sei es wesentlich, die Hoffnung aufrecht zu erhalten. "Nicht mit Hilfe platter Sprüche, sondern durch Handlungen, die den Betroffenen das Gefühl vermitteln, dass diese schwere Phase zusammen durchgestanden werden kann", sagt Meyer-Lindenberg zum fünften Punkt der psychiatrischen Akuthilfe.

Je mehr Unwetter, desto mehr PTBS

Wenn sich später Symptome einer PTBS zeigten, kann Betroffenen die sogenannte Expositionstherapie helfen, sich dem Trauma im sicheren Rahmen einer Therapie erneut zu stellen und es so zu überwinden. "Eine PTBS kann wieder ganz verschwinden", sagt Meyer-Lindenberg.

Allerdings erleben Menschen mit bereits vorhandener PTBS eine Retraumatisierung, wenn sie immer wieder Extremwetterereignissen ausgesetzt sind: Eine posttraumatische Belastungsstörung wird nicht besser, je häufiger jemand eine extreme Situation durchmacht. Im Gegenteil, sagt Andreas Meyer-Lindenberg: "Je häufiger eine solche Person erlebt, dass sie hilflos ist, desto schlimmer wird ihre Reaktion darauf."

 

DW Mitarbeiterportrait | Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.