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Wie Deutschland mit Wasserstoff klimaneutral werden will

Dirk Kaufmann
11. November 2020

Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft. Einige große Erdölkonzerne investieren bereits in diese immer noch relativ neue Technologie und auch die Bundesregierung will sich dabei nicht lumpen lassen.

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Shell I Tankstelle I Energie
Bild: Boris Roessler/dpa/picture-alliance

Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger, wenn es gelingen soll, 2050 in Deutschland "klimaneutral" zu wirtschaften. Das Gas gilt wegen seiner vielfältigen Einsetzbarkeit in der Industrie, aber auch im Schwerlastverkehr und vielleicht sogar in der Luftfahrt als idealer Energieträger. Für die Bundesregierung ist Wasserstoff jedenfalls ein "Schlüsselelement für die Energiewende".

Die Analytiker vom britischen Marktinstitut Aurora Energy Research sehen das ähnlich: "Deutschland hat", stellen sie in einem Ländervergleich für den europäischen Markt fest, "sowohl den ehrgeizigsten und detailliertesten Fahrplan als auch eine bestehende Wasserstoffversorgungskette". Deutschland sei der mit Abstand attraktivste Markt für Wasserstoff. Die Deutschen würden dabei die Niederlande, Großbritannien, Frankreich und Norwegen hinter sich lassen.

Immer häufiger zeigen sich auch große Investoren interessiert und kündigen neue Wasserstoffprojekte in Deutschland an. Die Bundesregierung hat, ihrer bereits beschlossenen "Wasserstoffstrategie" folgend, beschlossen, den Aufbau von Partnerschaften mit ausländischen Lieferanten und die einheimische Erzeugung mit neun Milliarden Euro fördern zu wollen.

Mit gutem Beispiel voran

So kündigten der britische Energiekonzern BP und und der dänische Windparkbetreiber Ørsted aus Dänemark am Dienstag (10.11.2020) an, gemeinsam eine Wasserstoffproduktionsanlage in Lingen im Emsland aufzubauen. Dieser sogenannte Elektrolyseur solle auf dem Werksgelände der BP-Raffinerie im nordwestdeutschen Emsland errichtet werden.

Mit anfänglich 50 Megawatt würde dieses Projekt die geplante Leistung des Projekts "Westküste 100" in Schleswig-Holstein noch übertreffen, wo 30 Megawatt geplant sind. Auch daran ist Ørsted beteiligt. Der dänische Betreiber von Meereswindparks in der Nordsee soll den - grünen - Strom dafür liefern. Die Inbetriebnahme ist in beiden Fällen für 2024 geplant.

Dänemark - Wasserstoff: Elektrolyseur
Dieser Elektrolyseur, er steht im dänischen Hobro, kann eine halbe Tonne Wasserstoff produzieren - täglichBild: DW/O. Ristau

Auch der Ölkonzern Shell will ein führender Anbieter von "grünem Wasserstoff" werden, das hatte er bereits im September angekündigt. Dazu soll die Elektrolyse-Kapazität in der Rheinland Raffinerie bei Köln verzehnfacht werden.Außerdem wolle sich das Unternehmen durch Offshore-Wind oder kombinierte Offshore-Wind-/Wasserstoff-Produktion an der Produktion erneuerbarer Energien beteiligen und bis 2030 rund 1000 Schnellladesäulen für E-Autos an seinen Tankstellen errichten.

Altmaiers Strategie

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier dringt derweil auf gemeinsame Standards bei der Wasserstoffstrategie der EU. Diese müsse definieren, was als "grüner" Wasserstoff gelten soll, hatte der CDU-Politiker bereits Anfang Oktober zum Auftakt einer internationalen Konferenz gefordert: "Nationale Alleingänge nützen wie fast immer niemanden."

Nach Altmaiers Wasserstoffstrategie sollen bis spätestens 2040 Elektrolyse-Kapazitäten von zehn Gigawatt aufgebaut werden - das entspräche der Leistung von zehn Kernkraftwerksblöcken. Gefördert werden soll die Produktion unter anderem durch Abgabe-Befreiungen für Strom aus Wind oder Sonne.

Pressekonferenz zur Wasserstoffstrategie Anja Karliczek
Forschungsministerin Anja Karliczek bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Wasserstoffstrategie der BundesregierungBild: picture-alliance/dpa/J. Macdougall

EU-Energiekommissarin Kadri Simson hatte ebenfalls auf die Notwendigkeit internationaler Kooperationen hingewiesen und dabei Länder wie die Ukraine und Marokko als Partner ins Gespräch gebracht. Deutschland hat bereits erste Abkommen zur Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern geschlossen, wo Sonne und Wind als Energie-Quellen stärker genutzt werden können. "Wasserstoff ist eine Chance, die man nicht so oft bekommt", so Simson.

Es fehlen noch Netze

Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) wies am vergangenen Montag auf ein Problem in Deutschland hin: Schätzungen zufolge, so der Minister, würden in Deutschland Jahr 2050 rund 6000 Kilometer Wasserstoffpipelines benötigt werden, bislang gebe es jedoch nur einen Bruchteil davon. Die Regulierung der Wasserstoffnetze müsse deshalb so schnell wie möglich ins Energiewirtschaftsgesetz aufgenommen werden.

Mit erneuerbaren Energien produzierter Wasserstoff müsse von der EEG-Umlage befreit werden, so Pinkwart: "Nur so können wir einen wirtschaftlichen Anreiz für die Erzeugung und Nutzung von grünem Wasserstoff schaffen." Die Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien behindere bislang die Umsetzung der deutschen Wasserstoffstrategie.

Alstom Wasserstoffzug
Auch auf der Schiene hat die Wasserstofftechnologie bereits ihre Tauglichkeit unter Beweis gestelltBild: Alstom

Steigender Bedarf

Wie dringend ein Ausbau der Infrastruktur ist, zeigt auch eine andere Studie. Eine ebenfalls am Montag vorgelegte Berechnung mehrerer Institute für die Denkfabriken Agora Energiewende und Verkehrswende sowie die Stiftung Klimaneutralität zeigt, wie stark der Strombedarf in Deutschland bis zum Jahr 2050 steigen wird.

Um 60 Prozent im Vergleich zu 2018 werde der Verbrauch durch den Umstieg von Öl und Gas etwa auf elektrische Energie klettern und er müsste komplett aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden, so die Studienautoren. Schon 2030 läge der Strombedarf höher, als das Wirtschaftsministerium bislang annimmt.

2018 lag der Bruttostromverbrauch in Deutschland bei 595 Terawattstunden (TWh). Wenn der Klimaschutz im notwendigen Tempo vorangehe, wären es 2030 schon 643 TWh - vor allem, weil mehr Autos und Heizungen elektrisch betrieben werden statt mit Öl oder Gas. Bis 2050 dürften Öl, Kohle und Erdgas dann gar keine Rolle mehr spielen, dafür müsste Wasserstoff als Energieträger hergestellt werden, was viel Strom braucht - die Experten kommen auf 962 TWh und damit rund 62 Prozent mehr als 2018.

Wasserstoffbetriebenen Airbus-Prototypenflugzeug
Ein wasserstoffbetriebener Prototyp von Airbus - in der Luftfahrt ist die Wasserstofftechnologie noch ZukunftsmusikBild: AIRBUS/AFP

Wasserstoffproduktion als Jobmotor?

Wirtschaftlich könnten sich Investitionen in die Wasserstofftechnologie als durchaus segensreich erweisen: Im Auftrag des  Bundesverbandes Erneuerbare Energien haben am 11. November das Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie und des Beratungsunternehmen DIW Econ vorgerechnet, dass durch die Umsetzung der Wasserstoffstrategie Hunderttausende Arbeitsplätze entstehen könnten. Wenn 90 Prozent des in Deutschland für das Ziel der Klimaneutralität benötigten Wasserstoffs aus heimischer Produktion kämen, seien im Jahr 2050 mehr als 800.000 zusätzliche Arbeitsplätze und Wertschöpfungseffekte von bis zu maximal 30 Milliarden Euro möglich,

In Deutschland erzeugter Wasserstoff sei nicht automatisch teurer als aus Nordafrika oder anderen Regionen importierter Wasserstoff, betonen die Autoren der Studie. Der Grund seien die hohen Transportkosten. Von Windparks auf See erzeugter Strom ermögliche eine im Vergleich zu Importen konkurrenzfähige Erzeugung von Wasserstoff in Deutschland.

Hinzu komme ein erhebliches Potenzial für die Nutzung von Wasserstoff im Verkehr sowie als Ersatz für Erdgas zur Wärmeerzeugung, so die Studie. Deutschland entwickele sich mit seiner ehrgeizigen Wasserstoffstrategie und den wachsenden Solar- und Windkapazitäten im Europavergleich zum attraktivsten Markt für Investitionen, vor allem beim "grünen" Wasserstoff.