1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikGeorgien

Will Georgien noch Mitglied der NATO werden?

Maria Katamadze
14. Juli 2023

Wie die Ukraine hofft auch Georgien schon seit langem darauf, Mitglied der NATO zu werden. Doch auf dem Gipfel des Bündnisses in Vilnius wurde das Land kaum erwähnt. Was ist passiert?

https://p.dw.com/p/4Ttsg
Demonstrant mit Flaggen der NATO und Georgiens
Seit über einem Jahrzehnt hofft Georgien auf einen Aktionsplan für die NATO-MitgliedschaftBild: Shakh Aivazov/AP/picture alliance

Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedsstaaten haben der Ukraine in dieser Woche erneut Sicherheitsgarantien gegeben. Und sie haben auf dem Treffen in der litauischen Hauptstadt Vilnius das Versprechen wiederholt, das von Russland angegriffene Land als Mitglied aufzunehmen, wenn "die Verbündeten zustimmen und die Bedingungen erfüllt werden". Dagegen wurde Georgien ermahnt, "an den Reformen zu arbeiten".

Der verheerende Krieg in der Ukraine weckt Ängste, dass Georgien als nächstes ins Visier Moskaus geraten könnte. Die georgische Regierung ist daher dazu übergegangen, ihre Sprache in Bezug auf eine NATO-Mitgliedschaft anzupassen.

"NATO-Müdigkeit" vor der "gläsernen Tür" 

"Wäre Georgien 2008 schon NATO-Mitglied gewesen, hätte es keinen Krieg gegeben und auch keine russische Besatzung. Georgien scheint vor einer gläsernen Tür zu stehen", sagt der georgische Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili.

Fünf Tage lang befand sich Georgien im August 2008 im Krieg mit Russland. Im Anschluss verkündete Russland, dass es die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens anerkenne. Bis heute sind in der Region russische Truppen stationiert.

Auf einem NATO-Gipfel in Bukarest im April desselben Jahres stellte das Bündnis sowohl Georgien als auch der Ukraine eine Mitgliedschaft zu einem Zeitpunkt irgendwann in der Zukunft in Aussicht, ohne jedoch einen klaren Weg zur Mitgliedschaft aufzuzeigen. In einem am Dienstag in Vilnius veröffentlichten Kommuniqué bekräftigte die NATO diese Bukarester Vereinbarung noch einmal.

Soldaten auf einem Militärfahrzeug mit Flaggen der USA und Georgien
Georgien war an verschiedenen NATO-Missionen beteiligt, auch in Afghanistan und im IrakBild: Kate Sovdagari/Xinhua/Photoshot/picture alliance

Fünfzehn Jahre nachdem dieses Versprechen in Bukarest gegeben wurde, wartet Georgien noch immer auf einen konkreten Zeitrahmen oder Aktionsplan für die Mitgliedschaft. Das hat, wie Kornely Kakachia, Leiter des Georgian Institute of Politics, zur DW sagt, zu einer "NATO-Müdigkeit" geführt. "Georgien war das erste Opfer eines russischen Einmarsches, war bei NATO-Missionen wie im Irak und in Afghanistan an vorderster Front mit dabei und opferte das Leben seiner Soldaten", klagt Kakachia. "Georgien hat darauf gewartet, dass die NATO das würdigt."

NATO-Ambitionen werden untergraben

Doch zu einer NATO-Mitgliedschaft gehöre mehr als der militärische Beitrag, sagen Experten. Sie erfordere ein starkes und langfristiges politisches Engagement und daran scheint es bei georgischen Politikern zu mangeln. Obwohl die Regierung in Tiflis offiziell weiter zum europäisch-atlantischem Weg steht, waren aus Regierungskreisen auch Äußerungen zu vernehmen, die dieses Ziel zu untergraben scheinen.

"Ich denke, alle kennen den Grund", sagte der georgische Ministerpräsident Irakli Gharibaschwili, als er auf der Sicherheitskonferenz GLOBSEC in Bratislava nach dem Grund für Russlands Einmarsch in der Ukraine gefragt wurde. "Einer der Gründe war die NATO: die Erweiterung der NATO. Was wir sehen, sind die Konsequenzen."

Georgiens Premierminister Irakli Gharibaschwili vor den Flaggen Georgiens und der EU
Ministerpräsident Irakli Gharibaschwili macht die NATO für den Krieg in der Ukraine mitverantwortlichBild: YVES HERMAN/AFP/Getty Images

Seine Äußerung schlug hohe Wellen, sowohl in Georgien als auch im Ausland. "Es ist schwer vorstellbar, dass die NATO ein Land aufnimmt, dessen Ministerpräsident die Rhetorik Putins spiegelt und dem Bündnis die Schuld für den Krieg in der Ukraine zuschiebt", schrieb Nata Koridze, eine ehemalige Diplomatin, die eng mit der NATO zusammenarbeitete, in einem Kommentar für die georgische Medienplattform Civil.ge.

Am NATO-Gipfel in Vilnius nahm der georgische Ministerpräsident nicht teil. Medienberichten zufolge wurde er ausdrücklich gebeten, dies nicht zu tun. Stattdessen entsandte Georgien seinen Außenminister Ilia Dartschiaschwili.

Nur keinen weiteren Ärger

Eka Akobia ist Leiterin des Instituts für Friedensforschung an der Caucusus University. Sie meint, die zögerliche Haltung der NATO gegenüber Georgien habe mit der Grenze zu tun, die das Land mit Russland teilt. Auch wenn die NATO ihre Politik der offenen Tür beibehalten müsse, "möchte sie mit der Erweiterung keinen Ärger verursachen und ersinnt daher verschiedene Strategien für Beitrittsanwärter, die aber keine Mitgliedschaft umfassen".

Es gibt für Georgien jedoch noch eine weitere Hürde, die eine Mitgliedschaft verhindert. Ein Land, das sich in einem militärischen Konflikt mit einem anderen befindet oder dessen Staatsgebiet in Teilen von einem anderen Land besetzt ist, wird gemeinhin nicht als beitrittsfähig betrachtet. Einige Kommentatoren haben bereits vorgeschlagen, Georgien solle ein Beitrittsgesuch ohne die von Moskau kontrollierten Gebiete stellen, mit der Option, die Mitgliedschaft zu erweitern, falls Tiflis die Kontrolle über diese Gebiete wieder zurückgewinnt.

Zurück zu Russland

Viele Beobachter sehen das Land auf einer Rutschbahn zurück in die russische Einflusssphäre. Kritiker der amtierenden Regierung machen hierfür den früheren Ministerpräsidenten und Gründer der Regierungspartei Georgischer Traum, Bidsina Iwanischwili, verantwortlich. Der ist ein Geschäftsmann, der sein Vermögen in den 1990ern in Russland anhäufte. Obwohl er sich offiziell aus der Politik zurückgezogen hat, zieht er weiterhin die Fäden im Hintergrund.

Georgien: Schlupfloch für Sanktionen

Die Handelsbeziehungen zwischen Tiflis und Moskau haben sich seit dem vergangenen Jahr intensiviert. Das weckt Sorgen, das georgisches Staatsgebiet könnte genutzt werden, um Sanktionen zu umgehen, was wiederum die Beziehungen zur Ukraine und ihren Verbündeten belastet.

"Es ist wichtig, dass Georgien den demokratischen Werten gerecht wird, an die wir alle glauben", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Mai. "Und natürlich erwarten wir auch von Verbündeten, die nicht Mitglied der NATO sind, dass sie sich an die Sanktionen halten und es Russland nicht leichter machen, seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu finanzieren und zu organisieren."

Der politische Analyst Kakachia befürchtet, Georgiens westliche Partner könnten angesichts der jüngsten außenpolitischen Entscheidungen der Meinung sein, Tiflis müsse "seinen moralischen Kompass bezüglich der Ukraine und seiner Haltung zu Russland justieren". Die Zukunft Georgiens hänge am Ausgang des Krieges in der Ukraine, fügt er hinzu.

"Georgien ist geografisch verletzlich. Darum muss es sich auf den Kopf stellen, damit der Westen es nicht aus dem Blick verliert", sagt er. "Wenn die Ukraine den Krieg gewinnt, wird das für Georgiens Beitritt zur NATO entscheidend sein."

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

DW-Korrespondentin Maria Katamadze in Goris, Armenien
Maria Katamadze DW-Korrespondentin, Studio Riga