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Wirtschaftsspionage im Homeoffice

24. März 2021

Wie gut ist die deutsche Wirtschaft vor Spionage und Datendiebstahl geschützt? Eine Frage, die sich in der Corona-Pandemie auf neue Weise stellt. Unternehmen sind angreifbarer geworden. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Symbolbild Computerkriminalität
Bild: picture alliance / Alexey Malgavko/Sputnik/dpa

Ein Internetzugang, ein WLAN, viele angeschlossene Geräte - Standard in den meisten Privathaushalten. In der Corona-Pandemie werden über Smartphones, Computer und TV-Geräte aber nicht nur Filme, Musik oder Kochrezepte abgerufen. Während die Eltern über ihre Laptops mit den Unternehmen verbunden sind, werden die Kinder digital unterrichtet. Daten fließen parallel über ein gemeinsam genutztes Heimnetz.

Das berge erhebliche Risiken, warnt Roland Feil, Geschäftsführer des Münchener Sicherheitsunternehmes Dallmeier Systems. "Sie haben vielleicht zwei, drei Kinder, die mit ihren Geräten im Internet unterwegs sind und jedes Device bietet ein Einfallstor." Ein Einfallsstor bis in die Kernsysteme eines Unternehmens. Am Anfang der Pandemie sei das von vielen Unternehmen noch vollkommen unterschätzt worden. "Man hat das einfach hingenommen, um weiterarbeiten zu können", so Feil. "Wir sehen die Lage aber auch jetzt noch vielfach kritisch."

Alarmanlagen für den Datenabfluss

Der Zugriff auf sensible Daten aus dem Homeoffice bietet Wirtschaftsspionen neue Möglichkeiten, um an Geschäftsgeheimnisse zu kommen. Doch auch die altbekannten Wege, also der Zugriff vor Ort, spielt nach wie vor eine große Rolle. Immer mehr Informationen werden digital gespeichert. Die entsprechenden Systeme zu sichern, müsse daher oberste Priorität haben, sagt Volker Wagner, der beim Chemie-Riesen BASF für die Konzernsicherheit zuständig ist und dem Verband Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft vorsteht.

Beispielsweise über Tools, die Datenabflüsse automatisch erkennen. "Bildlich gesprochen gibt es intelligente Alarmanlagen, um Anomalien beim Datenverkehr zu erkennen." Die Sicherung springt an, wenn sehr großen Datenmengen geladen werden oder wenn zu oft und zu ungewöhnlichen Zeiten auf Forschungsdatenbanken zugegriffen wird.

100 Milliarden Euro Schaden pro Jahr

Im Fokus der Spione stehen für Wagner drei Bereiche: Forschung und Entwicklung, da sie aufwendig und teuer sei und es sich für Diebe lohne, für die eigene Produktentwicklung eine "Abkürzung" zu finden. Begehrt sind auch Produktzusammensetzungen und Rezepte, über die nur wenige Unternehmen verfügen. "Ich nenne nur als Beispiel die aktuellen Corona-Impfstoffe." Auch die Kompetenzen deutscher Unternehmen in der Fertigung und der Produktion sind für Spione interessant.

Symbolbild Wirtschaftsspionage Spionage Kriminalität Cyberangriffe
Kleiner Stick - großer Schaden: Kompromittierte USB-Sticks haben schon viel Unheil angerichtet Bild: Fotolia

Nach Zahlen des Digitalverbands Bitkom verursachen Spionage, Datendiebstahl und Sabotage der deutschen Wirtschaft einen Schaden von mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr. Während große Konzerne in der Regel gut gesichert sind, hapert es vor allem im Mittelstand und bei Startups. "Je schwächer ein Unternehmen wirtschaftlich aufgestellt ist, desto kleiner ist der Spielraum für die technische Abwehr und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es erfolgreich angegriffen wird", stellt Michael Kilchling vom Freiburger Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht fest.

Der Praktikant kann ein Spion sein

Wirtschaftsspionage hat laut Kilchling viele Akteure: Sie werden aus Konkurrenzunternehmen entsandt, sind Mitarbeiter, die erpresst werden oder ehemalige Mitarbeiter, der sich rächen wollen. Es sind Praktikanten in der Forschung, angebliche Journalisten und Besucher auf Messen.

Immer häufiger stehen ausländische Geheimdienste hinter den Spionen. "Es sind aber keineswegs nur die üblichen Verdächtigen, also China, Russland und Nordkorea", schränkt Kichling ein. "Man muss den Blick weiten. Auch der US-Zoll checkt Laptops bei der Einreise und ich schaue immer ganz fasziniert nach Frankreich, das eine École de guerre économique, also eine Schule für Wirtschaftskrieg unterhält, wo staatliche Beamte entsprechend ausgebildet werden."

Symbolbild Cyberkriminalität Corona
Besuch vom Hacker: Alarmstufe RotBild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

Kalter Technologie-Krieg

Laut Thomas Haldenwang, Präsident des Verfassungsschutzes, wird die Wirtschaftsspionage für die deutsche Wirtschaft zu einer immer größeren Herausforderung. "Wir wissen, dass zahlreiche Staaten ihre Geheimdienste nutzen, um aktiv Wachstumsziele in ausgewählten Branchen zu erreichen." Dabei gehe es weniger darum, Agenten einzuschleusen, als vielmehr Mitarbeiter in Deutschland für die eigenen Zwecke zu gewinnen.

Mehr denn je seien Spitzentechnologie und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Schlüssel für wirtschaftliche Stärke, die Souveränität und Dominanz von Staaten. "Es zeichnet sich das Bild eines kalten Technologie-Krieges ab, dessen Bruchlinien entlang technologischer Einflusssphären verlaufen", so Haldenwang. Die Diskussion über den Ausbau des 5G-Netzes und die Rolle des chinesischen Huawei-Konzerns sei dabei nur ein kleiner Bildausschnitt.

Aktuell hat der Verfassungsschutz insbesondere Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden im Blick, die in die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie involviert sind. Sie sind ein begehrtes Ziel, wie der Cyberangriff auf die Systeme der europäischen Arzneimittelbehörde EMA im Dezember zeigte, hinter dem russische Hacker gesteckt haben sollen.

Die wenigsten erstatten Anzeige

Die Staatsschützer bezeichnen es als ihre "Kernkompetenz", Wirtschaftsspionage schon im Vorfeld durch entsprechende Sensibilisierung und Beratung zu verhindern. Sie stehen aber auch bereit, wenn ein Unternehmen angegriffen wird. Allerdings zögert die Mehrheit der Geschädigten und hält festgestellte Angriffe lieber für sich, weiß Kriminalistik-Forscher Michael Kilchling. Oft aus Angst vor Reputationsschäden.

"Da geht es um das Image eines Unternehmens, das nicht in der Lage war, für seine Sicherheit zu sorgen und deshalb bei den Kunden an Ansehen verlieren könnte", analysiert Kilchling. Viele Unternehmen hätten aber auch Angst, dass der Betriebsablauf durch die Ermittlungen gestört werden könnten. "Wer hat schon gerne den Staatsschutz im Betrieb, bei dem man davon ausgeht, dass der am besten noch alle Computer einpackt."