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AfD im Aufwind: Demokratie in Gefahr?

4. Januar 2024

Die Alternative für Deutschland ist populärer denn je. In Pirna in Sachsen gewann die teilweise rechtsextreme Partei erstmals eine Oberbürgermeisterwahl.

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Alternative für Deutschland steht in weißer Farbe auf blauem Hintergrund und bildet zusammen mit einem roten, nach rechts oben zeigenden Pfeil das AfD-Logo.
Deutschland diskutiert über ein Verbot der laut Verfassungsschutz teilweise rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) Bild: Sachelle Babbar/ZUMAPRESS/picture alliance

Tim Lochner heißt der Mann, dessen Name in die Geschichte der Alternative für Deutschland eingehen wird: Der 53-Jährige hat am 17. Dezember 2023 als parteiloser AfD-Kandidat die Wahl zum Oberbürgermeister in Pirna (Bundesland Sachsen) gewonnen. Die Stadt an der Grenze zu Tschechien, in der 39.000 Menschen leben, ist die erste mit einem rechtspopulistischen Rathauschef.    

Die AfD schwimmt schon länger auf einer Erfolgswelle. Im Oktober erzielte sie zweistellige Ergebnisse bei den Landtagswahlen in Bayern (14,6 Prozent) und Hessen (18,4 Prozent). Bereits im Juni hatte sie in Sonneberg im Bundesland Thüringen die Landratswahl für sich entschieden – ebenfalls eine Premiere.

AfD in drei Bundesländern "erwiesen rechtsextremistisch"

Gleichzeitig nehmen Sicherheitsbehörden die AfD wegen extremistischer Tendenzen immer stärker ins Visier. Der Landesverband Sachsen wurde im Dezember vom Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextremistisch" eingestuft. Das gleiche war in Sachsen-Anhalt bereits im November geschehen und in Thüringen sogar schon 2021. Hinzu kommen fünf Bundesländer, in denen die Partei als sogenannter rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet wird.

Junge Alternative als rechtsradikal eingestuft

In den restlichen acht von 16 Bundesländern und damit der Hälfte Deutschlands gilt für die AfD allerdings weder das eine noch das andere. Ihre aggressive Rhetorik und Kontakte in extremistische Milieus wie die migrationsfeindliche Pegida-Bewegung (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) werden von staatlicher Seite also sehr unterschiedlich bewertet.

Wie sollen Medien über die AfD berichten?

Auch die deutschen Medien ringen um den vermeintlich richtigen Umgang mit der AfD. Das Magazin "Stern" wurde von vielen dafür kritisiert, der Partei- und Bundestagsfraktionsvorsitzenden Alice Weidel eine Titel-Geschichte in Form eines Wortlaut-Interviews gewidmet zu haben. Der Hauptvorwurf: Man habe ihr eine unnötige Plattform geboten.

Die öffentlich-rechtliche TV-Talkerin Sandra Maischberger moderierte ein Streitgespräch zwischen dem AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland und dem ehemaligen deutschen Innenminister Gerhart Baum. Zwei alte Männer, die als Kinder noch die Nazi-Zeit erlebt haben. Der eine war vor seinem Wechsel zur AfD 40 Jahre Mitglied der Christlich-Demokratischen Union (CDU), der andere ist seit 1954 Freidemokrat (FDP).

Portrait-Bild des Brillenträgers und schwarz gekleideten FDP-Politikers Gerhart Baum.
"Sie haben ein völkisches Denken", wirft Freidemokrat Gerhart Baum dem AfD-Politiker Alexander Gauland vorBild: Horst Galuschka/dpa/picture alliance

"Wir sind einer Welle von Rechtsextremismus ausgesetzt"

Für Baum, der als Innenminister bis 1982 den Linksterrorismus der Roten Armee-Fraktion (RAF) bekämpfte, steht fest: "Die AfD ist der parlamentarische Arm einer Bewegung, die bis in das Bürgertum hineingeht." Ein Bürgertum, das sich nach Einschätzung von Fachleuten zunehmend radikalisiert. "Wir sind einer Welle von Rechtsextremismus ausgesetzt", sagt der 91-Jährige, der sich seit Jahrzehnten für Freiheits- und Bürgerrechte engagiert.

Gauland wehrt sich gegen den Vorwurf, die AfD sei demokratiefeindlich: "Das ist der Versuch des Verfassungsschutzes, uns zu delegitimieren." Mit der Wirklichkeit stimme das aber nicht überein. "Wir sind - im Gegenteil - sogar für eine Demokratie, bei der es mehr Volksabstimmungen gibt", sagt der 82-Jährige. Eine Behauptung, die durch das Partei-Programm gedeckt ist.

Und wie sieht es mit dem Menschenbild der AfD aus? Der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke fragte als Gastredner auf einer Pegida-Kundgebung in Dresden: "Was ist vom deutschen Volke eigentlich noch übrig?" In seiner eigenen Wahrnehmung anscheinend nicht mehr viel. Höckes Rhetorik bemüht gerne Begriffe wie "Bevölkerungsaustausch", "Afrikanisierung", "Orientalisierung", "Islamisierung", "Volkstod".         

AfD in Deutschland - sind das die neuen Nazis?

Diese Sprache und dieses Denken sind es, die bei AfD-Gegnern wie Gerhart Baum Sorgen auslösen. "Sie haben ein völkisches Denken, das Menschen anderer Herkunft, anderer Religion ausgrenzt", sagt er im Streitgespräch mit Alexander Gauland. Und wer Menschen ausgrenze, der verletze deren Menschenwürde. "Das ist der Hauptvorwurf, den die Verfassungsrechtler ihnen machen."

"Wir vertreten kein völkisches Ideal"

Bei Gauland klingt das alles ganz anders: "Wir vertreten kein völkisches Ideal, sondern wir vertreten die Kulturgemeinschaft. Ja, wir sind gegen die Massenimmigration von Menschen, die von einer uns völlig fremden Kultur kommen."

Ginge es nach dem Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz, sollte die AfD verboten werden. Der Christdemokrat hat als Kind und Jugendlicher die 1989 in einer friedlichen Revolution gestürzte ostdeutsche Diktatur erlebt. Sein zentraler Vorwurf an die Adresse der Rechtspopulisten: "Die Würde des Menschen wird unverhohlen infrage gestellt."

"Jedes Jahr eine muslimische Großstadt mehr!" steht auf einem Wahlplakat der AfD aus dem Jahr 2018. Darunter sind Frauen, die Burkas tragen, zu sehen. Unter diesem Bild steht: "Wer das nicht will, wählt eine Alternative für Deutschland".
Antimuslimische Ressentiments: ein Wahlplakat der Alternative für Deutschland (AfD) 2018 in Bayern Bild: Thomas Lohnes/Getty Images

AfD verbieten?

Dem Magazin "Der Spiegel" war das Thema im November eine zehnseitige Titel-Geschichte wert: "AfD verbieten?" Fachleute schätzen die Erfolgsaussichten unterschiedlich ein. Das vom Bundestag finanzierte Deutsche Institut für Menschenrechte kommt in einem Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, dass die Chancen gut seien. Begründung: Die AfD missachte konsequent Grundrechte. 

"Gerade die deutsche Geschichte hat gezeigt, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung eines Staates zerstört werden kann, wenn menschenverachtende Positionen nicht rechtzeitig auf energischen Widerspruch stoßen und sich so verbreiten und durchsetzen können", argumentiert die Direktorin des Instituts, Beate Rudolf.

Zu einem anderen Ergebnis gelangt die Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger von der Universität Düsseldorf: "Von dem, was ich an öffentlich zugänglichem Material sehe, weiß ich nicht, ob das reicht, um die Partei bundesweit zu verbieten." Und sollte der Antrag in Deutschland erfolgreich sein könnte sich die AfD an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wenden. Sie sei sehr skeptisch, dass ein AfD-Verbot dort Bestand haben würde, sagt die Parteienrechtlerin. 

Gesucht: Ein Rezept gegen Rechtspopulismus

Dass die Demokratie unter Druck steht - nicht nur in Deutschland - steht für den Historiker Heinrich August Winkler außer Frage. Im Gespräch mit dem "Tagesspiegel" gibt er sich verhalten optimistisch: "Ich setze nach wie vor darauf, dass die freiheitlichen Kräfte der westlichen Demokratie sich als stärker erweisen als die Gegner der Errungenschaften der Aufklärung."

Die neue Stärke nationalpopulistischer Parteien 

Aber er sei deutlich skeptischer als vor 30 Jahren nach den friedlichen Revolutionen in Ostmitteleuropa und der Wiedervereinigung Deutschlands. "Besorgniserregend ist die Tatsache, dass nationalpopulistische Parteien ihre Stärke heute aus allen politischen Lagern beziehen", warnt Winkler. Mit anderen Worten: Die Demokratie steht von vielen Seiten unter Druck. 

In aktuellen Umfragen zu den Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen liegt die AfD überall vorn mit Werten von 30 Prozent und mehr. Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung hat sie trotzdem keine, weil niemand mit ihr koalieren will. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen Ländern in Europa, wo rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien längst an der Macht sind: Italien, Ungarn, Finnland oder Schweden stehen für einen Trend, dessen Ende schwer abzusehen ist.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland