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PolitikNahost

Annalena Baerbock für "internationale Verantwortung" in Gaza

20. November 2023

Im Interview mit DW-TV äußert sich Deutschlands Außenministerin auch zu einer möglichen Zukunft des Gazastreifens. Und sie nennt Behauptungen verstörend, Deutschland stehe einseitig auf Seiten Israels.

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Annalena Baerbock, Deutschlands Außenministerin, im Gespräch mit DW-Moderator  Jaafar Abdul Karim in Berlin
Annalena Baerbock, Deutschlands Außenministerin, im Gespräch mit DW-Moderator Jaafar Abdul Karim in BerlinBild: Ronka Oberhammer/DW

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90 /Die Grünen) hat sich für eine internationale Verantwortung für den Gazastreifen nach einem Ende des Krieges zwischen der terroristischen Hamas und Israel ausgesprochen. In der DW-Sendung Jaafar Talk antwortete die Außenministerin auf die Fragen von Moderator Jaafar Abdul Karim in Berlin. Das arabischsprachige Talkformat erreicht in der Zielregion ein Millionen-Publikum.

Einfache Lösungen werde es in diesem extrem schwierigen Konflikt nicht geben, meinte die Grünen-Politikern, fügte aber hinzu: "Es braucht, um für Sicherheit zu sorgen, internationale Verantwortung. Wir kennen das ja von den furchtbaren Kriegen auf dem Westbalkan in Europa. Und auch da hat die internationale Gemeinschaft eine Schutzverantwortung übernommen. Weil in dieser Situation, wo die schlimmsten Verbrechen passiert sind, einfach die Akteure in der Region kein Vertrauen mehr hatten. Das sehe ich dort auch."

Schon beim Treffen der Außenminister der G7 in Tokio vor gut zwei Wochen hatte Baerbock, unterstützt von US-Außenminister Antony Blinken, gesagt, es dürfe nicht zu einer erneuten Besetzung des Gazastreifens durch Israel kommen. Bis 2005 hatte Israel den Landstreifen am Mittelmeer besetzt.

"Niemand hier in Berlin kann sich vorstellen, wie es dort ist"

Gleich mehrfach seit der Terror-Attacke der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat Baerbock die Region besucht, war in Israel, in den palästinensischen Gebieten, in den arabischen Nachbarstaaten wie Jordanien oder Ägypten.

Beim G7-Aussenministertreffen in Japan unterhalten sich Baerbock und Blinken sitzend.
Einigkeit zwischen US-Außenminister Blinken und Baerbock: Gaza braucht eine internationale Verantwortung Bild: Kira Hofmann/photothek/picture alliance

Sie beschrieb im DW-Interview ihre Gefühle angesichts der eskalierenden Gewalt: "Niemand, der hier im ruhigen und sicheren Berlin sitzt, kann sich wirklich ausmalen, was das für die Menschen vor Ort bedeutet. Ich habe den Vater und Ehemann einer der Geisel-Familien getroffen, mit deutschen Pässen, der beschrieben hat, wie seine Frau und seine zwei kleinen Mädchen verschleppt worden sind. Kaum auszuhalten, wenn man sich vorstellt, das wären die eigenen Kinder. Das gleiche Gefühl hatte ich, als ich in Ramallah war und mit einem Mann gesprochen habe, dessen Frau und dessen einziger Sohn in Gaza ums Leben gekommen waren."

"Die Hamas will Israel vernichten"

Erneut wandte sich Baerbock, wie schon mehrfach zuvor, gegen einen Waffenstillstand zum jetzigen Zeitpunkt. Wörtlich sagte die deutsche Ministerin: "Waffenstillstand hieße ja, dass Israel mit der Hamas darüber verhandeln muss, dass man sich jetzt nicht mehr gegenseitig beschießt. Und das würde bedeuten, dass Israel sich unter dem andauernden Raketenterror nicht verteidigen könnte. Die Hamas macht jeden Tag deutlich: Sie wollen Israel von der Landkarte streichen. Das heißt: Sie wollen Israel auslöschen. Und in so einer Situation muss Israel seine Bevölkerung schützen." 

Gazastreifen südlicher Teil | Palästinenser fliehen in Richtung Süden
Fliehende Palästinenser im Gaza-Streifen. Baerbock: "Die Akteure in der Region haben kein Vertrauen mehr zueinander" Bild: Rizek Abdeljawad/Xinhua News Agency/picture alliance

Zugleich versuche sie, gemeinsam mit internationalen Partnern, mit den Amerikanern und vielen Vertretern arabischer Länder, alles dafür zu tun, dass Menschen in Gaza sichere Orte haben, an denen sie etwa mit Trinkwasser und  Medikamenten versorgt werden könnten. Baerbock: "Das war auch mein  Anliegen, als ich in Israel war, gegenüber der israelischen Regierung deutlich zu machen: Die Menschen in Gaza müssen geschützt werden, der Kampf richtet sich gegen eine Terrororganisation, die Hamas, die Israel vernichten möchte, und nicht gegen die Zivilbevölkerung in Gaza, die unschuldigen Menschen, Frauen und Kinder, die unschuldigen Palästinenser."

Baerbock: Netanjahu muss den Siedlungsbau verurteilen

Erneut äußerte Baerbock Kritik auch am israelischen Siedlungsbau im Westjordanland. Das habe sie zuletzt vor Ort auch Vertretern des israelischen Regierung gesagt: "Der israelische Premierminister muss diese Siedlergewalt verurteilen, sie muss strafrechtlich verfolgt werden, das ist auch im Interesse der Sicherheit Israels. Und mit Blick auf die Sicherheit im Westjordanland ist Israel mit dafür verantwortlich, dass die Lage dort nicht weiter eskaliert."

"Israels Existenz bleibt deutsche Staatsräson"

Baerbock wandte sich scharf gegen den Vorwurf, der auch von in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslimen geäußert wurde, angesichts der deutschen Geschichte achte das Land weniger auf das Leid der Menschen im Gazastreifen und in den besetzten Gebieten und mehr auf das der Israelis. Sich für die Existenz der Staates Israel einzusetzen sei und bleibe deutsche Staatsräson: "Mein Land, die Nazi-Regierung in Deutschland, hat den Tod von über sechs Millionen Jüdinnen und Juden zu verantworten. Das einige Leute jetzt kritisieren wie wir über die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg sprechen - auf die ja das Völkerrecht gebaut ist, damit es nie wieder zum Völkermord kommt - das finde ich maximal verstörend."

Baerbock für "internationale Verantwortung" in Gaza (Video)

Ebenfalls verstört habe sie die Tatsache, dass zwar einige muslimische Verbände in Deutschland den Angriff auf Israel Anfang Oktober verurteilt hätten, aber eben nicht alle.  "Das eine Leid gegen das andere auszuspielen, finde ich nicht nur perfide, das schmerzt mich als Mensch und als Mutter." Gegen Rassismus oder Antisemitismus müsse Deutschland weiter konsequent auch mit den Mitteln des Strafrechts vorgehen.