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ESC 2024: Schwedische Künstler gegen Teilnahme Israels

Silke Wünsch
30. Januar 2024

Wegen des Israel-Hamas-Krieges im Gazastreifen spricht sich Schwedens Musikszene für einen Ausschluss Israels vom European Song Contest 2024 aus. Zuvor hatten bereits andere Teilnehmerländer einen Boykott gefordert.

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Siegerin Loreen auf der ESC-Bühne im Goldregen.
Die schwedische Sängerin Loreen gewann den Wettbewerb 2023 zum zweitem Mal in ihrer KarriereBild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Nachdem bereits vor einigen Wochen erste Stimmen gegen die Teilnahme Israels am Eurovision Song Contest laut wurden, hat sich nun auch das diesjährige Gastgeberland des Musikwettbewerbs zu Wort gemeldet: Mehr als 1000 schwedische Künstlerinnen und Künstler haben einen offenen Brief gegen eine ESC-Teilnahme Israels unterzeichnet, darunter Pop- und Opernstars sowie einige ESC-Veteranen.

Die Unterzeichnenden kritisieren, dass Israel trotz seiner "brutalen Kriegsführung in Gaza" teilnehmen soll, wie es heißt. Ihr Protest richtet sich an die Veranstalter des ESC, die European Broadcasting Union (EBU), die behauptet, der Wettbewerb sei unpolitisch. Doch das erscheine zunehmend unglaubwürdig: Schließlich habe die EBU Russland nach dem Angriff auf die Ukraine 2022 und Weißrussland ein Jahr zuvor wegen des Umgangs mit Menschenrechten und Pressefreiheit vom Wettbewerb ausgeschlossen, heißt es in dem offenen Brief.

Schweden gewann 2023 den ESC und hat den Wettbewerb damit zum siebten Mal in sein Land geholt. Das diesjährige Finale findet am 11. Mai in Malmö statt.

Blick auf den Haupteingang der Malmö-Arena in der Dunkelheit
Der ESC 2024 findet im Mai im schwedischen Malmö stattBild: MATHILDA AHLBERG/Bildbyran/IMAGO

Unpolitischer ESC?

Dass der ESC längst nicht so unpolitisch ist, wie es in den Regeln der EBU steht, zeigen immer wieder kleinere und größere Aktionen am Rande des Wettbewerbs, bei denen sich Zuschauer oder auch Teilnehmer darüber hinwegsetzen. In Tel Aviv 2019 wurde das besonders deutlich:

Am Abend des ESC-Finales hielt die isländische Band Hatari Palästina-Banner in die Kamera und sorgte damit für Ärger. Der isländische Sender RÚV musste 5000 Euro Strafe an die EBU zahlen. Am selben Abend ließ Weltstar Madonna bei ihrem Auftritt einen Tänzer mit israelischer und eine Tänzerin mit palästinensischer Flagge Arm in Arm die Treppe hinaufsteigen. Das sei eine "Botschaft von Frieden und Einheit" gewesen, sagte die US-Sängerin dazu später. Die EBU war jedoch alles andere als begeistert davon.

Eine Frau posiert auf der Bühne, hinter ihr sind riesige blau-gelbe Flügel projiziert.
Emotionaler Auftritt der ukrainischen Sängerin Aljoscha beim Halbfinale des ESC 2023Bild: Martin Meissner/AP/dpa

Auch die Briten, die den Wettbewerb 2023 stellvertretend für die Ukraine   ausrichteten, zeigten sich nicht unbedingt neutral: Die blau-gelben Flaggen, mit denen Liverpool geschmückt war, drückten die Solidarität mit dem Land aus, das seit zwei Jahren von Russland mit einem Angriffskrieg überzogen wird. Auf der - vornehmlich blau-gelben - Bühne wurde immer wieder an den Krieg in der Ukraine erinnert.

Boykottaufrufe gegen Israel

Schon seit Jahresbeginn wird die Teilnahme Israels angesichts des Krieges in Gaza von einigen Ländern in Frage gestellt. 1400 finnische Musiker und Musikerinnen haben sich pro-palästinensischen Künstlergruppen und Aktivisten in Finnland angeschlossen und eine Petition unterschrieben, in der der Ausschluss Israels vom ESC gefordert wird.

Eine Sängerin posiert inmitten gestikulierender Tänzer und singt in ein Mikrofon.
2023 belegte Israels Kandidatin Noa Kirel den dritten PlatzBild: Sarah Louise Bennett/EBU

Ihre Begründung: Sie wollen nicht, dass der israelische Staat sein Image durch die Teilnahme an der internationalen Musikshow aufpoliert, während er in seiner Nachbarschaft einen brutalen Krieg führt und Menschenrechte verletzt. Eine ähnliche Aktion hatte es zuvor auch in Island gegeben; in Norwegen versammelten sich laut lokalen Medienberichten Demonstranten der "Aksjonsgruppa for Palestine" (Aktionsgruppe für Palästina) vor der Zentrale des Fernsehsenders NRK in Oslo und forderten, dass sich auch Norwegen für einen Ausschluss Israels einsetzen solle.

In Irland rief ein Abgeordneter der Labour Party öffentlich zum Boykott des ESC auf, sollte Israel teilnehmen. Irland sei das erfolgreichste Land in der ESC-Geschichte und werde sicher bei den anderen Teilnehmerländern Gehör finden, die dann ebenfalls dem Festival fernbleiben würden, hoffte er. Doch der irische Premierminister Leo Varadkar pfiff den Abgeordneten zurück.

Olly Alexander tritt auf dem Mad Cool Festival auf und singt in ein Mikrofon.
Der schwule Sänger Olly Alexander steht jetzt schon als UK-Kandidat festBild: Guillermo Gutierrez Carrascal/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Der britische ESC-Kandidat Olly Alexander hat eine pro-palästinensische Erklärung eines queeren Bündnisses unterzeichnet, in der die Ereignisse in Gaza als "Eskalation des israelischen Apartheid-Regimes" bezeichnet werden. Die israelische Botschaft in London reagierte umgehend: "Besonders in diesen Zeiten ist die Entscheidung der BBC, einen Teilnehmer zum ESC zu schicken, der solche parteiischen Ansichten über Israel unterstützt und eine solche entmenschlichende Sprache über Israelis verbreitet, sehr besorgniserregend".

Wie es zur ESC-Teilnahme Israels kam

Israel gab 1973 sein Debüt beim ESC, damals noch "Grand Prix d'Eurovision de la Chanson" genannt. Seitdem ist das Land Mitglied der Europäischen Rundfunkunion EBU, einem Zusammenschluss von derzeit 68 Rundfunkanstalten in 56 Staaten Europas, Nordafrikas und des Nahen Ostens. Damit ist Israel nicht das einzige außereuropäische Land, das am ESC teilnimmt. Auch Armenien und Aserbaidschan spielen mit. Australien ist seit 2015 das "exotischste" ESC-Teilnehmerland - weil es eine riesige Fangemeinde hat und als assoziiertes Mitglied in die EBU aufgenommen wurde.

Dieser Zusammenschluss vieler Rundfunkanstalten und Länder über die Grenzen Europas hinaus ist auch der Grund, warum die Veranstaltung "Eurovision Song Contest" - und nicht "European Song Contest" - heißt. Israel gehört mit vier ersten, zwei zweiten und zwei dritten Plätzen zu den erfolgreichsten Teilnehmern des Wettbewerbs. Im Gegensatz zu Deutschland wurde es noch nie Letzter.

Vorentscheid in Israel läuft weiter

ESC Die Israelische Musikerin Netta Barzilai hält lächelnd die Trophäe (ein gläsernes Mikrofon) in die Luft.
Netta gewann den Wettbewerb für Israel im Jahr 2018Bild: Vyacheslav Prokofyev/TASS/dpa/picture alliance

Trotz des Krieges im Nahen Osten laufen die Vorbereitungen für die Teilnahme Israels in Malmö. Das Castingformat "HaKokhav HaBa - The Next Star", in dem sich Kandidatinnen und Kandidaten um einen Platz im ESC-Startfeld bewerben, wurde zwar wegen des Kriegsbeginns verschoben, findet aber dennoch in unregelmäßigen Abständen statt. Allerdings ohne Live-Publikum: Eine Produktion mit so vielen Menschen in einem TV-Studio wäre zu gefährlich.

Tragische Anekdote am Rande: Einer der Sänger, die es in der Show weit gebracht haben, war Soldat. Der Leutnant fiel nur wenige Wochen nach seinem TV-Auftritt im Gaza-Streifen.

In den israelischen Medien (u.a. im Lifestyle-Magazin "TimeOut") und in den sozialen Netzwerken wurde die Frage aufgeworfen, ob eine solche Show in Kriegszeiten angemessen sei. Vor allem Angehörige der Geiseln, die sich noch in der Gewalt der Hamas befinden, kritisieren die Sendung.

Sie soll aber vorerst fortgesetzt werden, allerdings weniger bunt und laut. Die Moderatoren der Sendung erklärten, dass dies keine normale Staffel sein werde, sie werde der Situation angepasst. "Aber wir sind sicher, dass ein bisschen Musik nur helfen kann".

Dieser Artikel wurde am 30. Januar 2024 aktualisiert.