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PolitikEuropa

EU, Ukraine, Moldau: Erweiterung, ja bitte?

14. Dezember 2023

Die Zustimmung für eine Erweiterung ist stark gestiegen - aber auch die Sorge vor den Problemen, die diese mit sich bringen könnte.

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Der ukrainische Präsident Selenskyj (m), die moldauische Staatschefin Maia Sandu (r) und EU-Ratspräsident Charles Michel bei einem Treffen im November in Kiew
Drängen in die EU: Der ukrainische Präsident Selenskyj (m), die moldauische Staatschefin Maia Sandu (r) und EU-Ratspräsident Charles Michel bei einem Treffen im November in KiewBild: Valentyn Ogirenko/REUTERS

Die Zeiten vehementer Ablehnung gegenüber einer EU-Erweiterung scheinen vorbei zu sein. Dies geht aus einer Umfrage des European Council on Foreign Relations(ECFR) vom November dieses Jahres hervor.

Danach ist die öffentliche Unterstützung für eine EU-Expansion seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 in fast allen Mitgliedsstaaten gestiegen. Am stärksten ist die Zustimmung in Litauen (77 Prozent), Spanien (74 Prozent) und Kroatien (71 Prozent).

Auch in Lettland, Malta, Polen, der Slowakei, Irland, Portugal und Schweden unterstützt eine große Mehrheit der Bevölkerung (über 60 Prozent) eine Erweiterung. Selbst in Ungarn, dessen Ministerpräsident Viktor Orban derzeit damit droht, die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine per Veto platzen zu lassen, befürwortet eine Mehrheit der Bürger einen solchen Schritt. Insgesamt ist die Zahl der Befürworter in 24 Ländern höher als die der Gegner.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und ihr kroatischer Amtskollege Grlic-Radman bei einer Konferenz zur EU-Erweiterung im November in Berlin
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und ihr kroatischer Amtskollege Grlic-Radman (Mitte links) bei einer Konferenz zur EU-Erweiterung im November in BerlinBild: John Macdougall/AFP/Getty Images

Macrons Sinneswandel

"Staats- und Regierungschefs, die in der Vergangenheit wenig Enthusiasmus für eine Erweiterung aufbrachten, haben ihre Haltung komplett geändert", heißt es in dem Report. Zu ihnen gehört zum Beispiel Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Im Oktober 2019 hatte er beim EU-Gipfel in Brüssel die Aufnahmegespräche mit Albanien und Nordmazedonien blockiert. In diesem Mai erklärte er auf einer sicherspolitischen Tagung in Bratislava überraschend, dass es keine Frage sei, "ob sich die EU erweitert, sondern wie eine Erweiterung gestaltet werden soll".

Solidarität mit der Ukraine

Länderspezifisch ist laut Umfrage die Unterstützung für einen Beitritt der Ukraine in Dänemark (50 Prozent) und Polen (47 Prozent) am größten. In Rumänien (32 Prozent dafür, 29 dagegen), Deutschland (37 Prozent dafür, 39 dagegen) und Frankreich (29 Prozent dafür, 35 dagegen) sind die Meinungen geteilt. In Österreich lehnte eine Mehrheit der Befragten (52 Prozent) eine Erweiterung ab, und nur etwas mehr als ein Viertel ist dafür (siehe Grafik).

Weit verbreitet war der Widerstand gegen einen eventuellen Beitritt der Türkei. Auch die Aussicht auf einen Beitritt Albaniens, Bosniens, Georgiens, des Kosovo, Nordmazedoniens und Serbiens zur Union wurde laut Umfrage "ausgesprochen kühl" aufgenommen.

Wieviel Erweiterung verkraftet die EU?

"Russlands Invasion in die Ukraine hat die EU-Expansion zurück auf die Tagesordnung gebracht", kommentiert Paul Taylor von der Brüsseler Denkfabrik "Friends of Europe"in der britischen Zeitung Guardian

Die führenden EU-Politiker würden damit konfrontiert, aus geopolitischen Gründen ihre Arme für Länder wie die Ukraine, die Republik Moldau und den Westbalkan zu öffnen. "Sie werden allerdings Probleme bekommen, die EU so zu reformieren, dass diese eine Erweiterung verkraftet", fügt Taylor hinzu.

Zweitägiger EU-Gipfel in Brüssel

Im Juni 2022 gewährte die EU der Ukraine und der Republik Moldau als Reaktion auf den Ukrainekrieg den Kandidatenstatus. Für die Länder des westlichen Balkans (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Kosovo, Nordmazedonien und Serbien) war bereits auf dem Gipfel von Thessaloniki 2003 eine Beitrittsperspektive geschaffen worden.

In diesem Jahr schlug die Kommission die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine, der Republik Moldau sowie Bosnien und Herzegowina vor. Georgien solle der Kandidatenstatus gewährt werden, "sobald das erforderliche Maß an Übereinstimmung erreicht ist".

Streit um Budgets

Trotz der Zustimmung bleiben die Vorbehalte gegenüber einer Expansion der EU weiterhin ausgeprägt. So befürchteten 45 Prozent der Befragten, dass sich der Beitritt der Ukraine negativ auf die Sicherheit der EU auswirken würde, während 25 Prozent der Meinung waren, dass diese dadurch verbessert würde.

Auch wirtschaftlich erscheint insbesondere Nachbarländern wie Ungarn und Polen ein EU-Beitritt der Ukraine problematisch. So fürchten viele Landwirte die Konkurrenz aus der großen Agrarexportnation. 

Experte Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) rechnet mit langen Übergangsfristen und Ausnahmen. Denkbar sei eine stufenweise Eingliederung der Ukraine.

"Man darf nicht vergessen, dass die Ukraine ein großes Land mit einer großen Landwirtschaft ist, auf das ein sehr großer Teil des EU-Budgets für die Landwirtschaft und Strukturhilfen entfallen würde", gibt er in einem Zeitungsinterview zu bedenken.

Ukraine, Odessa | Ein Mähdräscher bei der Getreideernte in der Region Odessa, Ukraine
Ernte in Odessa: Die Ukraine gehört zu den größten Getreideproduzenten weltweitBild: Nina Liashonok/abaca/picture alliance

Teure Expansion

Viele EU-Mitgliedsstaaten sehen daher in der ukrainischen Mitgliedschaft keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen. Laut Umfrage rechnen 54 Prozent der Bevölkerung in Dänemark und 46 Prozent in Österreich mit mehr Kosten durch eine Erweiterung.

Die Autoren der Umfrage ziehen ein gemischtes Fazit: "Trotz der geopolitischen Argumente für eine Erweiterung, die heute stärker sind als vor 20 Jahren, wird der Prozess wahrscheinlich auf mehr Hindernisse stoßen als damals", heißt es in der Zusammenfassung.

Denn in den meisten Mitgliedsstaaten würde das Interesse an einer EU-Erweiterung von den Sorgen vor institutionellen Reformen überschattet, die damit verbunden sein könnten.

Experte Paul Taylor weiß, warum: "Ohne radikale Reformen wird die EU weder in der Lage sein, neue Mitglieder aufzunehmen, noch nach deren Aufnahme weiterhin zu funktionieren. Sie muss sich vom nationalen Vetorecht ihrer Mitglieder bei Themen wie Außenpolitik, Sanktionen und Steuern verabschieden."

Georgien: Schlupfloch für Sanktionen