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Fußball und Nahost-Konflikt: Was darf die Meinungsfreiheit?

22. Oktober 2023

Nach dem Angriff der Hamas haben einige Fußball-Profis ihre Meinung zu Israel und den palästinensischen Gebieten auf Social Media geäußert und damit eine Diskussion über die Grenzen der Meinungsfreiheit ausgelöst.

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Noussair Mazraoui vom FC Bayern
Noussair Mazraoui vom FC Bayern fiel nicht zum ersten Mal mit Posts auf, die für Diskussionen sorgtenBild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

"Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten" heißt es in Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes. Es folgt die Einschränkung: "Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."

Mit anderen Worten: Jeder darf sagen, was er möchte, solange er damit niemanden beleidigt, diffamiert oder zu Straftaten, Hass oder Gewalt aufruft. Soweit die im Grunde klare Gesetzeslage. Weit weniger klar und eindeutig sind allerdings oft die Interpretation und das Verständnis, wie jemand etwas gemeint haben könnte, und ob eine Äußerung, ein Post oder Tweet, tatsächlich einen strafbaren Inhalt hat.

Die Fälle Mazraoui und El Ghazi

In der vergangenen Woche hatten unter anderem die Bundesliga-Profis Noussair Mazraoui und Anwar El Ghazi mit Beiträgen in sozialen Medien für Aufsehen und Kritik gesorgt. Mazraoui, marokkanischer Nationalspieler in Diensten des FC Bayern, hatte auf Instagram unter anderem den Palästinensern im Konflikt mit Israel den Sieg gewünscht. El Ghazi, Niederländer mit marokkanischen Wurzeln beim FSV Mainz 05, hatte den Spruch "Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein" geteilt.

Jubel Anwar El Ghazi vom FSV Mainz 05 mit Teamkollegen nach einem Tor gegen Borussia Mönchengladbach
Anwar El Ghazi steht erst seit September bei Mainz 05 unter Vertrag - nach seinem Post wurde er suspendiertBild: Tim Rehbein/RHR-FOTO/picture alliance

Diese Redewendung wird auch von der Hamas oft genutzt, die damit ausdrückt, dass sich die palästinensischen Gebiete vom Jordan bis zum Mittelmeer erstrecken sollten, womit Israel das Existenzrecht abgesprochen wird. Die Mainzer Klubverantwortlichen führten ein "ausführliches Gespräch" mit El Ghazi und stellten den Spieler dann vom Spiel- und Trainingsbetrieb frei.

Beim deutschen Rekordmeister aus München dauerte es länger, bis der Verein eine offizielle Stellungnahme zu Mazraoui veröffentlichte. "Noussair Mazraoui hat uns glaubwürdig versichert, dass er als friedliebender Mensch Terror und Krieg entschieden ablehnt. Er bedauert es, wenn seine Posts zu Irritationen geführt haben", wurde Jan-Christian Dreesen, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern, in einer Erklärung am vergangenen Freitag (20. Oktober) zitiert.

Auch Mazraoui kam zu Wort. Er verurteile "jede Art des Terrorismus und jede Terrororganisation". Der Spieler, so hieß es von Vereinsseite weiter, werde im Kader des FC Bayern bleiben, falle aber wegen einer Verletzung erst einmal aus.

Arbeitsrechtlich dünnes Eis

Ob der Verein Mazraoui ins Gewissen geredet oder sogar von ihm verlangt hat, weitere derartige Meinungsäußerungen künftig zu unterlassen, ist nicht bekannt. Allerdings würde sich der Klub damit rein rechtlich auch auf dünnes Eis begeben. "Jeder Mensch hat ein Recht auf Privatsphäre, und der Arbeitgeber hat grundsätzlich keine Möglichkeit, Einfluss auf die Meinungsäußerung oder das Handeln eines Arbeitnehmers außerhalb seiner Dienstzeit zu nehmen", erklärte Paul Lambertz, Fachanwalt für Sportrecht. Das gelte auch für Fußballer. Ein Rausschmiss sei daher nicht so einfach möglich und auch die Suspendierung von Anwar El Ghazi arbeitsrechtlich angreifbar.

Als Lambertz dies Anfang vergangener Woche gegenüber diversen Medien, unter anderem der Tageszeitung "taz", äußerte, fegte in den sozialen Medien noch ein regelrechter Shitstorm über die beteiligten Klubs und die betroffenen Spieler hinweg. Auch einige Politiker äußerten sich. So verlangte Johannes Steiniger, seit 2013 für die CDU im Bundestag, nicht nur Mazraouis Rausschmiss beim FC Bayern, sondern auch, dass man eine Abschiebung aus Deutschland prüfen solle. Eine Forderung, die allerdings keinerlei rechtliche Grundlage hat und daher auch schnell wieder eingefangen wurde.

"Abschiebung kann ich in der Regel nur dann machen, wenn Aufenthaltsrecht da ist, wenn Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden", erklärte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU dazu gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. "Der FC Bayern muss sich selbst darum kümmern."

Das hat der Verein getan, indem er keine Sanktionen gegen den Spieler verhängte. Abgesehen von der fraglichen rechtlichen Grundlage hätte sich der Verein in Anbetracht der angespannten Personalsituation in der Abwehr mit einer Kündigung aber auch sportlich tief ins eigene Fleisch geschnitten.

Harsche Kritik von Makkabi-Präsident Alon Meyer

Damit überhaupt nicht einverstanden war Alon Meyer, der Präsident von Makkabi Deutschland, dem jüdischen Turn- und Sportverband in Deutschland. Die Reaktion des FC Bayern sei "für jeden, der unsere Gesellschaft auch nur annähernd respektiert, absolut indiskutabel und inakzeptabel", sagte Meyer im Aktuellen Sportstudio des ZDF. "Wenn man einseitig Position bezieht und den Palästinensern den Sieg wünscht - den Sieg über was? - ist das absoluter Antisemitismus", so der Verbandschef.

Alon Meyer vor Logo von Makkabi Deutschland
Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland, einem Verband mit rund 6500 Mitgliedern in 40 VereinenBild: MAKKABI Deutschland e. V./dpa/picture alliance

Meyer bezeichnete die Mitteilung der Münchener als unzureichend. "In keinem Wort ist das Massaker erwähnt oder Beileid bekundet. In keinem Wort ist der Staat Israel erwähnt. Klar, weil man diesen vielleicht - anscheinend - gar nicht anerkennt. In keinem Wort ist dort, und das ist das Entscheidende, von Entschuldigung die Rede. Und auch die Hamas wird nicht verurteilt", so Meyer.

Wie reagieren die Bayern-Fans?

Abzuwarten bleibt, wie die treuesten Anhänger auf den Fall Mazraoui reagieren, wenn der Marokkaner wieder auf dem Platz steht. Am Samstagabend beim Spiel der Münchner in Mainz gab es von den Bayern-Fans auf den Rängen noch keine Reaktionen. Die Münchener Fans sind dafür bekannt, sich im Zweifelsfall auch gegen die Klubführung für die Werte ihres Vereins stark zu machen und mithilfe von Aktionen oder Plakaten ihre Sicht der Dinge kundtun. In der Vergangenheit war das in der Diskussion um die Sponsorenverträge mit Katar und Ruanda der Fall, jüngst aber auch, als über die Verpflichtung des wegen Körperverletzung angeklagten Jerome Boateng nachgedacht wurde.

Fans des FC Bayern mit Transparenten auf der Tribünen, auf denen sie das Sponsoring des FC Bayern durch Katar kritisieren
Die Fans des FC Bayern äußern sich auch zu gesellschaftlichen Themen - zum Beispiel zum Katar-Sponsoring des KlubsBild: Marcel Engelbrecht/firo Sportphoto/picture alliance

Auch Mazraoui persönlich hat damit bereits Erfahrung gemacht: Im vergangenen Mai bestärkte er einen Teamkollegen aus der marokkanischen Nationalmannschaft via Instagram, nachdem der sich geweigert hatte, ein T-Shirt zur Unterstützung der LGBT-Community zu tragen. Daraufhin gab es beim Spiel der Bayern gegen RB Leipzig mehrere Transparente, die von Mazraoui forderten, nicht gegen die Werte des Vereins zu verstoßen.

Schweigeminute vor allen Spielen

Bei allen Partien der 1. und 2. Bundesliga, der 3. Liga und der Frauen-Bundesligagab es am Wochenende jeweils eine Schweigeminute im Gedenken an die Opfer des Konflikts im Nahen Osten. Der deutsche Fußball wolle ein Zeichen "für den Frieden" setzen, hieß es vorher in einer Erklärung der Deutsche Fußball Liga (DFL) des Deutschen Fußballbunds (DFB). Die Ansagen unterschieden sich dabei jeweils ein wenig: So war im Freiburger Stadion die Durchsage zu hören, dass "aller Menschen" gedacht werden solle, "die Opfer geworden sind".

Im Stadion des 1. FC Union Berlin wurde durchgesagt, es werde "der Opfer von Terror und Krieg gedacht", Israel oder die Hamas wurden in Berlin nicht explizit erwähnt. In Wolfsburg wurde nicht eine Minute geschwiegen, sondern eine Minute applaudiert. Das ist bei den "Wölfen" so Sitte, seit ihr Spieler Junior Malouda 2015 bei einem Autounfall ums Leben kam.

Der Artikel wurde am 23. Oktober aktualisiert.