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PolitikIran

Iran: Einschüchterung mit Gewalt

Shabnam von Hein
21. Dezember 2023

Im Schatten des Gaza-Kriegs rechnen die Machthaber im Iran mit internen Kritikern ab. Kopftuchverweigerinnen werden härter bestraft, Aktivisten verfolgt, Gefangene hingerichtet.

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Eine Polizistin aus einer Spezialeinheit während einer Gedenkzeremonie für den getöteten Generalmajor der Islamischen Revolutionsgarden, Qasem Soleimani
Frauen überwachen Frauen, im Dienste des Regimes: Mitglied einer Spezialeinheit der iranischen PolizeiBild: Nikoubazl Irangene/imago images

Mehr als 690 Gefangene wurden in den ersten elf Monaten dieses Jahres im Iran hingerichtet. Die Menschenrechtsorganisationen Center for Human Rights in Iran, CHRI, und Organisation for Human Rights, Hengaw, haben diese Zahl veröffentlicht. Sie beziehen sich auf offiziell bestätigte Fälle, gehen aber von einer erheblichen Dunkelziffer aus. Wenn Hinrichtungen abseits jeglicher Öffentlichkeit durchgeführt werden, kommen sie oft erst dann ans Licht, wenn die Hinterbliebenen den Mut aufbringen, sich zu Wort zu melden.

"Die Welt ist durch den Gaza-Krieg abgelenkt. Der Iran nutzt diese Situation maximal aus. Mit Hinrichtungen, die ich als staatliche Rachemorde bezeichnen würde, geht die Islamische Republik gegen ihre Kritiker vor und schüchtert durch Gewalt die Gesellschaft ein", sagt Saeid Dehghan im Gespräch mit der DW. Der iranische Menschenrechtsanwalt lebt seit 2022 in Kanada und hat ein weltweites Netzwerk von iranischen Anwälten gegründet. Dehghan leitet ein juristisches Zentrum namens Parsi Law, das Rechtsberatung für Menschen im Iran bietet. Das von ihm geleitete Zentrum unterstützt auch internationale Organisationen wie UN-Gremien bei ihren Bemühungen um mehr Menschenrechte im Iran.

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"Sobald die Protestierenden im Iran immer weniger auf die Straße gehen, gerät das Land in Vergessenheit und die Weltgemeinschaft kehrt zum üblichen Umgang mit der Islamischen Republik zurück. Das ist die traurige Realität", konstatiert Deghan und fügt hinzu: "Menschenrechtsaktivisten verstehen, dass jedes Land weltweit seine eigenen Interessen verfolgt. Dennoch darf die massive Unterdrückung im Iran nicht ignoriert werden. Schon gar nicht von den Politikern in den westlichen Ländern, in denen die Menschenrechte zu den grundlegenden Prinzipien der Politik gehören."

Mindestens acht politische Gefangene hingerichtet

Unter den getöteten Gefangenen in den vergangenen Monaten waren mindestens acht Menschen, die während der landesweiten Demonstrationen unter dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" verhaftet und in Scheinprozessen zum Tode verurteilt worden waren. Einer von ihnen war der 21-jährige Milad Zohrevand. Am 30. November wurde er ohne Vorwarnung hingerichtet - und ohne die Möglichkeit, sich von seiner Familie zu verabschieden. Menschenrechtsaktivisten zufolge war ihm während seiner Inhaftierung weder der Zugang zu einem Anwalt noch Familienbesuche gestattet.

Bei Protesten gegen die Islamische Republik haben Demonstrierende mehrere symbolische Galgen errichtet
In diesem Jahr wurden bereits 690 Gefangene im Iran hingerichtet - und es gibt eine DunkelzifferBild: Christoph Hardt/Geisler-Fotopress/picture alliance

"Gemetzel und Tötung geschehen nicht nur im Krieg", schreibt die inhaftierte iranische Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi an den Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte. Sie bittet ihn in diesem offenen Brief, im Namen der Menschlichkeit dringende, entschlossene und schnelle Maßnahmen zu ergreifen, um Hinrichtungen im Iran zu stoppen. "Ist in dieser Welt, in der alles globalisiert ist, Menschlichkeit eine Ausnahme? Ist es ausreichend, eine Erklärung auf Papier abzugeben? Ist der globale Wille, die unsicheren und weit verbreiteten Hinrichtungen in den Städten des Irans zu stoppen, durch leere und haltlose Ausreden gelähmt?"

Seit dem 3. Dezember haben die Behörden alle Verbindungen Mohammadis mit der Außenwelt gekappt. Sie darf weder telefonieren noch Besuch empfangen.

Nicht nur Mohammadis Stimme, sondern jede kritische Stimme wird sofort zum Schweigen gebracht. Der Rapper Toomaj Salehi wurde am 2. Dezember wenige Tage nach seiner Freilassung erneut festgenommen. Die Justiz begründet dies mit Äußerungen des Künstlers in einem Video. Der Sänger habe Lügen veröffentlicht und die öffentliche Meinung zu beeinflussen versucht, lautet der Vorwurf. Der Musiker hatte in einem Video erzählt, wie er verhaftet und schikaniert worden war. Salehi war zunächst während der Protestwelle im Herbst 2022 wegen seiner Solidarität mit den Protestierende festgenommen und später zu sechs Jahren Haft verurteilt worden.

Lügen und leugnen

Vor allem Journalisten und Medienschaffende stehen unter enormem Druck, keine kritischen Beiträge zu veröffentlichen. Die Staatsanwaltschaft von Teheran hat Ende November rechtliche Schritte gegen die vorsichtig regierungskritische Zeitung "Etemad" eingeleitet. Das Blatt hatte ein geheimes Dokument veröffentlicht, das einen Ausschnitt aus einer ministeriellen Anweisung zeigt. Darin ging es um "Festnahmen" und "andere Maßnahmen" gegen Frauen, die in der Öffentlichkeit nicht das obligatorische Kopftuch tragen wollen. Gemäß der Anweisung gehören das Aufnehmen von Fotos und Videos von Frauen auch in den "Metrobereichen", einschließlich "innerhalb der Waggons", zu den Aufgaben der Sittenwächter.

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Die Zeitung veröffentlichte dieses Dokument, nachdem der iranische Innenminister am 22. November behauptet hatte, Sittenwächterinnen seien engagierte Bürger, die ihre religiösen Pflichten erfüllen und das Böse verbieten möchten. Letztes Opfer dieses angeblich religiösen Pflichtbewusstseins war eine 16-jährige Schülerin. Sie war Anfang Oktober auf dem Weg zur Schule und trug kein Kopftuch. Sie wurde laut einer Quelle, die mit der britischen Zeitung "The Guardian" sprach, in der U-Bahn von einer Sittenpolizistin angegriffen. Statt die Schule zu besuchen, wurde sie leblos ins Krankenhaus eingeliefert - und Ende Oktober beerdigt.