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Kultur will mehr Unterstützung vom Staat

Susanne Lenz-Gleissner
18. Dezember 2020

Der Staat hilft Kulturbetrieben in der Corona-Krise. Star-Trompeter Till Brönner stimmt dennoch kritische Töne an. Und viele Theater machen zu.

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Der Trompeter Till Brönner bläst in sein erhobenes Instrument
Corona und die Kultur: Star-Trompeter Till Brönner findet deutliche Worte für die Politik Bild: picture-alliance/Geisler-Fotopress

Zwischen Kulturszene und öffentlichen Geldgebern knirscht es. Die Kultur in Deutschland erlebt schon seit Anfang November das, was jetzt für das ganze Land gilt: einen harten Lockdown. Die Kulturnation Deutschland wird auf eine harte Probe gestellt.

"Wir haben hier schon 10.000 Infektionen pro Stunde", verkündet die Schauspielerin in gelbem Schutzanzug mit Gasmaske. Eine Merkel-Parodie, in der es - wie könnte es anders sein - um ein merkwürdiges Virus geht. Dass im Kabarett-Theater "Die Stachelschweine" am Berliner Kudamm bis vor wenigen Tagen noch beinahe unter Normalbedingungen geprobt werden konnte, liegt an der neuen Ionisierungsanlage, die die Luft reinigt. Finanziert wurde diese Anlage zum großen Teil aus dem Programm "Neustart Kultur" der Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), ausgestattet mit einer Milliarde Euro.

Auch die Stachelschweine mussten schließen

Wochenlang hatte Geschäftsführerin Caroline Lüdecke im Sommer das Internet nach Förderprogrammen durchforstet und sich durch komplizierte Antragsverfahren gekämpft. Jetzt freut sie sich, dass tatsächlich Geld geflossen ist: "Das ist unsere Überlebensstrategie und insofern bin ich sehr dankbar, dass es diese Töpfe gibt." 

Die Stachelschweine

Wie viele freie Kulturbetriebe ist das älteste Kabarett-Theater Berlins durch den monatelangen Lockdown der Kultur in eine tiefe Krise geraten. Und auch wenn "Die Stachelschweine" dank ihres aufwendigen Hygienekonzepts irgendwann wieder öffnen dürfen, bleibt es schwierig. Denn die normale Auslastung mit 330 Zuschauern wird auch dann vorerst nicht möglich sein. Mit den mageren Einnahmen werden die Kosten vorerst nicht gedeckt werden können; ohne Subventionen werden viele freie Kulturstätten nicht überleben können.

"Neustart Kultur" hilft mit Fördergeldern

Damit die Gelder nicht versiegen, hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters unlängst neue Forderungen erhoben: "Die eine Milliarde war eine Antwort auf den ersten Sommer-Lockdown, und wir haben damals noch nicht damit gerechnet, dass wir einen deutlich länger dauernden Winter-Lockdown bekommen würden. Da müssen wir noch einmal nachlegen", argumentierte sie im Interview mit der DW.

"Neustart Kultur" ist eines von vielen Hilfsprogrammen von Bund und Ländern für Künstler. Es gibt Sonderfonds, Überbrückungshilfen, Stipendien und vieles mehr. Denn die Einbrüche in der weit verzweigten deutschen Künstler- und Kreativbranche sind immens. Der Staat müsse endlich aufwachen und handeln, forderte Star-Trompeter Till Brönner Ende Oktober 2020 in einer Videobotschaft auf Instagram, die mehr als 2,8 Millionen mal angeklickt wurde.

Doch passiert sei seitdem zu wenig, kritisiert er im DW-Interview. Brönner fordert gerade für freiberufliche Künstler schnelle und unbürokratische Unterstützung. "Es geht nach fast zehn Monaten Berufssperre nun vor allem auch um die realen Lebenshaltungskosten, denn der Lockdown wird noch anhalten." Viele wüssten vor Weihnachten nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollten - und das ausgerechnet in Deutschland, wo Kultur das wichtigste Erbe sei.

Kulturschaffende wollen mehr Wertschätzung

Diese Unzufriedenheit sei ein typisch deutsches Phänomen, wundert sich dagegen Wesko Rohde, Geschäftsführer der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft. Nirgendwo auf der Welt werde so viel für die Branche getan wie in Deutschland. Dennoch sei die Stimmung schlechter als in anderen Ländern, oft aus Unkenntnis über bereits bestehende Programme.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei der Eröffnung der Berlinale 2020
Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei der Eröffnung der Berlinale 2020Bild: Getty Images/A. Rentz

Mit verschiedenen Aktionen quer durch Deutschland haben Künstler in den vergangenen Wochen auf ihre Situation aufmerksam gemacht. Sie forderten dabei nicht nur mehr finanzielle Unterstützung, sondern auch mehr Wertschätzung für die Kunst. Denn während Baumärkte und Friseursalons geöffnet blieben, mussten Kultureinrichtungen bereits vor Wochen schließen.

Der Kunststudent Gonzalo Ruelas aus Mexiko hielt es in seinem Atelier nicht mehr aus und organisierte kurz vor dem harten Lockdown am Rande Berlins eine kleine Kunstausstellung für seine Freunde. Dabei zeigte er unter anderem Bilder, in denen er sich künstlerisch mit dem Corona-Virus auseinandersetzte. Er brauche endlich mal wieder Feedback, um weiterarbeiten zu können, meint er. 

Gonzalo Ruelas

Viele Künstler leiden nicht nur unter finanziellen Nöten, sondern auch unter der Isolation. Ihnen fehlt der Dialog mit anderen, das gemeinsame Musizieren, die Reaktion des Publikums, der Kick des Auftritts - all dies ist eine Art Lebenselixier. Das Internet - mittlerweile wichtigstes künstlerisches Forum - kann das gemeinsame Erleben von Kunst eben nicht ersetzen.

Dieses Dilemma kennt auch die Kulturstaatsministerin. Dennoch ist sie zuversichtlich, dass gerade die Künstler diese Krise überwinden werden. "Man darf ja eines auch nicht ganz vergessen", führt Grütters aus, "dieser kulturelle Reichtum verdient sich einer Zeit, die mehrere hundert Jahre her ist, und wir haben sie über zwei Weltkriege gerettet. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass mit unserer Hilfe diese sehr zähe und widerständige Kultur, dieses überlebensfähige Milieu, auch diese Pandemie übersteht."