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PolitikMyanmar

Myanmar: Aufstände setzen Junta unter Druck

Tommy Walker
3. November 2023

Die Militärregierung in Myanmar kämpft derzeit an vielen Fronten. Zuletzt wurden bewaffnete Aufstände im nördlichen Shan-Staat gemeldet. Offenbar ist die Junta handlungsunfähig. Aber den Oppositionellen fehlt ein Plan.

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Militärparade in Naypyitaw
Pompöse Machtdemonstration der Junta im März 2023: Militärparade in Naypyitaw (Archiv)Bild: Aung Shine Oo/AP Photo/picture alliance

Die Militärregierung in Myanmar sieht ihre Macht im Norden des Landes ernsthaft herausgefordert. Im Shan-Staat, der größten unter den 15 Verwaltungseinheiten des Landes mit fast sechs Millionen Menschen, haben sich drei bewaffnete Gruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Die Einnahme militärischer Einrichtungen und Verdrängen der Junta-Präsenz in ihrer Region, die an der Grenze zu China liegt.

 

Myanmar | Raketenabschuss von einer Militärbasis in der Stadt Lashio
Raketenabschuss von einer Militärbasis auf ein Ziel im Shan-StaatBild: AFP/Getty Images

Die Arakan-Armee (AA), die Armee der Nationalen Demokratischen Allianz Myanmars (MNDAA) und die Ta'ang Nationale Befreiungsarmee (TNLA) haben eine "Three Brotherhood Alliance" gebildet. Seit Beginn ihrer Offensive haben sie nach eigenen Angaben bereits wichtige Straßenabschnitte und Grenzübergänge nach China unter ihrer Kontrolle. Analysten zufolge umfassen die drei Gruppen mehrere Tausend bewaffnete Mitglieder.

Am Mittwoch erklärte die Allianz, sie hätte die grenznahen Städte Chinshwehaw und Hsenwi "vollständig besetzt". Nach MNDAA-Angaben habe die Allianz bisher mindestens 80 vom Militär gehaltene Stützpunkte eingenommen. Die Militärjunta habe "Hunderte" von Soldaten verloren, berichtet die Nachrichtenagentur AFP.

"Das ist die bedeutendste Militäraktion gegen das Regime seit dem Putsch 2021", sagt Analyst Richard Horsey, der sich mit der politischen Entwicklung in Myanmar befasst.

Myanmar - Die Chin gegen die Junta

Aufstand ohne politische Agenda

In den Grenzgebieten Myanmars leben mehr als ein Dutzend bewaffnete ethnische Gruppen. Viele von ihnen ringen seit Jahrzehnten mit dem Militär und der Zentralregierung um Autonomie und die Kontrolle über lukrative Geschäfte. 

Ihre Kämpfe gegen die Zentralregierung verschärften sich, nachdem der Militärchef General Min Aung Hlaing und seine Streitkräfte im Februar 2021 die gewählte Regierung um Staatsrätin Aung San Suu Kyi entmachtet hatten.

Zwar bündelten die drei Gruppen derzeit ihre Kräfte, sagt Horsey. Dennoch habe jede von ihnen ihre eigenen Ziele. "Die drei Gruppen haben sich nicht verbunden, um gemeinsam das Regime zu stürzen und eine demokratische Regierung einzusetzen", so Horsey zur DW. 

Blick auf den Ort Laiza nahe der Grenze zu China
Umkämpft: die Grenzorte zu China. Blick auf den Grenzort Laiza.Bild: Esther Htusan/AP Photo/picture alliance

Vielvölkerstaat

In Myanmar leben Menschen verschiedener Ethnien, Identitäten und Interessen. Deswegen ist dieser Vielvölkerstaat seit der Unabhängigkeit 1948 zersplittert. Die größte ethnische Gruppe, die der Bamar, dominiert zwar die nationale Politik. Doch ist es ihr nie gelungen, das gesamte Staatsgebiet unter ihre Kontrolle zu bringen.

Die Bamar bevölkern hauptsächlich die zentralen Landesteile, während die jeweiligen ethnischen Minoritäten in den Randgebieten leben. Jede einzelne dieser Minderheiten kontrolliert große Landstriche. In den vergangenen 75 Jahren ist es keiner Regierung gelungen, das Land zu einen.

Myanmars Militärjunta plant Massenamnestie

Armee unter Druck

Seit dem Putsch von 2021 haben sich die Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen verschärft. Nach der Machtübernahme durch die Armee kam es zu breiten Protesten. Das Militär ging mit aller Brutalität gegen Demonstranten und Andersdenkende vor.

Es gibt keine offizielle Statistik, wie viele Menschen seit dem Putsch vom Militär getötet wurden. Die in Thailand ansässige Menschenrechtsorganisation Assistance Association for Political Prisoners, bei der sich überwiegend Geflüchtete aus Myanmar engagieren, geht von rund 4100 Todesopfern und 25.000 Verhaftungen aus. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) zählte bis März 2023 etwa 1,7 Millionen Flüchtlinge.

Die Junta kämpft derzeit noch an einer zweiten Front mit der PDF (People's Defence Forces, Volksverteidigungskräfte). Die ebenfalls bewaffnete Widerstandsmiliz wurde 2021 nach dem Putsch gegründet. Die Militärregierung sieht in ihr eine Terrororganisation. Bereits im Februar 2023, noch vor dem Ausbruch der Unruhe in Shan, hatte schon die überforderte Junta erklärt, 132 der 330 Gemeinden des Landes stünden nicht unter ihrer Kontrolle.

Ein Kämpfer in der Uniform Rebellengruppe TNLA
Ethnisch motivierter Widerstand: ein Kämpfer in der Uniform Rebellengruppe TNLABild: AFP/Getty Images

Ein weiterer Schlag für das Militär?

"Für das Militär ist die Situation jetzt eine ziemlich große Herausforderung", sagt Richard Horsey. "Bisher hat das Regime noch keine vollständige Gegenoffensive gestartet. Die Militärs sind an anderen Orten gefordert. Das macht eine militärische Reaktion sehr schwer."

Die oppositionelle Shan-Allianz zeige, dass die Junta verwundbar sei, sagt Thomas Kean, Myanmar-Experte der International Crisis Group. "Die jüngsten Angriffe haben große Signifikanz", sagt Kean im DW-Interview. "Es dürfte sich um die größte Einzeloffensive seit dem Putsch handeln." Bedeutsam sei auch, dass sich die dort ansässigen ethnischen Gruppen auch am Widerstand beteiligt hätten. 

Es sei fraglich, ob diese Militärallianz nennenswerte Auswirkungen auf andere Gebiete haben werde, sagt Kean. Ihre Ziele seien zwar ehrgeizig, der Allianz fehle aber eine langfristige Strategie. "Ihnen geht es darum, hier und da Gebiete zu erobern, um das Militär von strategischen Außenposten zu vertreiben. Ich glaube nicht, dass sie Ziele haben, die darüber hinausgehen", so Kean.

"Tod durch tausend Schnitte"

Das Militär Myanmars griff seinerzeit die Widerstandsmiliz von der Luft und mit Granatenbeschuss an. "Es dürfte für das Militär ziemlich schwierig sein, die verlorenen Gebiete komplett zurückzuerobern", sagt Kean.

Langfristig werde die Junta in dem gesamten Konflikt an Boden verlieren, nimmt Kean an. "In vielen Gebieten ist das Militär im Grunde eine Besatzungsmacht, die nur städtische Gebiete und Außenposten kontrolliert." Dennoch können sich die Streitkräfte nicht sicher bewegen. "Sie sind immer anfällig für Angriffe durch die Guerilla. Es ist eine Art langsamer Tod durch tausend Schnitte."


Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.