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PolitikNahost

Pulverfass Nahost: Die Angst vor einem größeren Krieg

25. Oktober 2023

Der Konflikt zwischen der Hamas und Israel könnte sich zu einem umfassenden regionalen Krieg auswachsen. Westliche Regierungen wollen das verhindern.

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Gazastreifen | Rauchsäulen nach Raketeneinschlägen
Israelische Luftangriffe auf Ziele im Gaza-Streifen am 23. Oktober 2023Bild: Ariel Schalit/AP Photo/picture alliance

Das Schreckensszenario sieht so aus: Eine israelische Militäraktion im Gaza-Streifen mit Bodentruppen löst eine Kettenreaktion von Aufruhr und Gewalt in der Region aus. In ihrem Verlauf werden immer mehr Gruppen und Staaten in eine Gewaltspirale hineingezogen, am Ende möglicherweise sogar die USA und Russland.

Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant sagte, die geplante Bodenoffensive könne mehrere Monate dauern: "Und am Ende wird es keine Hamas mehr geben." Die israelische Regierung reagiert auf einen brutalen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober, bei dem mindestens 1400 Menschen, darunter Kinder, Frauen und alte Menschen ermordet und mehr als 200 Menschen als Geiseln verschleppt wurden.

Ein Soldat in Kampfuniform steht vor mehreren Panzern, einer trägt eine israelische Flagge
Israelische Panzer in der Nähe des Gaza-Streifens: Noch ist nicht klar, ob die Offensive kommtBild: Ohad Zwigenberg/AP/dpa/picture alliance

Rein militärisch kann die israelische Aktion erfolgreich sein, glaubt der Nahostexperte Guido Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. In der DW-Sendung "To the Point" sagte er: "Ich glaube, dass das israelische Militär in der Lage ist, die Strukturen der Hamas im Gaza-Streifen zu zerstören." Aber es würden in jedem Fall viele Zivilisten sterben, egal, wie vorsichtig das israelische Militär vorgehe.

Tote Zivilisten als möglicher Auslöser

Genau das dürfte das Kalkül der Hamas sein, analysiert Hans-Jakob Schindler von der internationalen Organisation Counter Extremism Project: "Es geht der Hamas darum, schreckliche Bilder toter palästinensischer Zivilisten zu produzieren und dadurch den Iran und seine Proxys in diesen Konflikt mit hineinzuziehen", sagt Schindler der Deutschen Welle.

Proxys, das sind die bewaffneten Stellvertretergruppen des Iran in anderen Ländern der Region, wie die Hisbollah im Libanon. Bereits jetzt greift die Hisbollah Israel immer wieder mit Raketen an, hält sich aber mit einer größeren Offensive zurück.

Zwei Männer in Kampfmontur in einem Orangenhain, einer hat eine Flugabwehrwaffe auf der Schulter
Hisbollah-Kämpfer mit iranischer Flugabwehrwaffe im SüdlibanonBild: Hussein Malla/AP/picture alliance

Noch sei eine israelische Bodenoffensive keineswegs sicher, sagt Schindler. Aber: "Sollte es zu einer Eskalation kommen, (…), dann würde als allererstes Hisbollah in massiver Art und Weise den Norden Israels beschießen. Zweite Eskalationsstufe wäre, dass auch in Syrien Angriffe gegen die dort befindlichen amerikanischen Stellungen gemacht werden. Dritte Stufe wären dann wahrscheinlich die schiitischen Milizen im Irak, welche dann amerikanische oder auch westliche Ziele angreifen."

Biden: Israel soll sich nicht von Wut leiten lassen

Eine solche Kettenreaktion soll gar nicht erst in Gang kommen. Dazu hat US-Präsident Joe Biden zweierlei getan: Als Warnung an die Hisbollah und den Iran hat er zwei Flugzeugträger ins östliche Mittelmeer entsandt. Und er hat Israel bei allem Verständnis für seine Verteidigung auch zur Mäßigung im Gaza-Streifen gemahnt. Israel solle nicht die Fehler der USA nach den islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 wiederholen, sagte Biden in Tel Aviv, Israel solle sich nicht von seiner "Wut verzehren lassen".

Ein älterer Mann in Anzug und Krawatte legt einem etwas jüngeren ohne Krawatte die Hand auf die Schulter, dahinter die amerikanische und die israelische Flagge
US-Präsident Joe Biden (l.) sagt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Unterstützung zu, mahnt ihn aber zur Zurückhaltung beim Vorgehen gegen die HamasBild: Avi Ohayon/Israel GpoI/Zuma/MAGO

Es gehe jetzt darum, "dem Iran und den Proxys zu zeigen, dass eine Eskalation der Situation sicherlich zu einer erheblichen Schwächung ihrer Strukturen führen würde", sagt Schindler. Außerdem solle sich die internationale Gemeinschaft darauf konzentrieren, die humanitäre Lage der Zivilisten im Gaza-Streifen zu verbessern, damit dieser Konflikt "nicht die Falschen" treffe.

Nach einem Telefonat mit den Staats- und Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Kanadas war sich Biden mit ihnen einig, dass sie Israel unterstützen und sein Recht auf Selbstverteidigung achten. Zugleich forderten sie die Achtung des humanitären Völkerrechts, will heißen: Israel soll die palästinensische Zivilbevölkerung schonen.

Männer füllen Eintopf in Töpfe und Schüsseln
Hilfe für die Zivilbevölkerung: Essensverteilung durch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA im Gaza-StreifenBild: APA Images/ZUMA/picture alliance

Die USA gelten als parteiisch

"Wenn wir es nicht machen, wer dann?", hat Biden zu Beginn seiner Vermittlungsmission gesagt und damit den Anspruch seines Landes als Ordnungsmacht im Nahen Osten bekräftigt. Das Problem für die USA: Sie werden in weiten Teilen der Region als parteiisch zugunsten Israels wahrgenommen.

Das wurde nach der Explosion bei einem Krankenhaus in Gaza mit zahlreichen Todesopfern deutlich. Während die Hamas Israel dafür verantwortlich machte, stellte sich Biden hinter die israelische Darstellung, wonach eine fehlgezündete Rakete des Islamischen Dschihad die Ursache gewesen sei; so äußerten sich später auch zahlreiche westliche Experten. Nach der Explosion aber sagten Ägyptens Präsident Abdel Fatah al-Sisi, Jordaniens König Abdullah II und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ein geplantes Treffen mit Biden ab.

Der Ruf Washingtons als engster Verbündeter Israels lässt Spielraum für andere Akteure, zum Beispiel für Deutschland. Ein Treffen mit Biden platzte, in Kairo trat al-Sisi aber demonstrativ mit Bundeskanzler Scholz auf. Am Tag zuvor war König Abdullah sogar in Berlin gewesen. Der Kanzler war somit der einzige, der innerhalb von zwei Tagen sowohl mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu als auch mit König Abdullah und Al-Sisi auftrat.

Die Bundesregierung hat sich einerseits unmissverständlich an die Seite Israels gestellt. Andererseits wird Berlin in der Region vielfach als neutraler Partner akzeptiert. Das solle man "nutzen für eine Ermöglichung einer friedlicheren Entwicklung als derjenigen, die sich jetzt abzeichnet", hat Scholz in Kairo gesagt.

Zwei Männer in Anzügen reichen sich die Hand, im Hintergrund salutiert ein Soldat
Gute Kontakte in der Region: Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) bei Ägyptens Präsident Abdel Fatah al-Sisi in KairoBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Zunächst ist Deutschland dabei, humanitäre Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen diplomatisch möglich zu machen. Das sei "einer der wirklich besten Beiträge, die Deutschland hier leisten kann", sagt Schindler. Militärisch könne Deutschland dagegen - außer der Unterstützung Israels beim Nachschub - wenig tun.

Russland hat zwiespältige Interessen

Und wenn es doch zu einer großen Eskalation kommt? Könnte dann sogar Russland mit seinen Verbindungen nach Teheran und Damaskus in den Konflikt hineingezogen werden?

Hans-Jakob Schindler hält das für wenig wahrscheinlich. Russland komme der Nahostkonflikt zwar gelegen, weil er vom Ukraine-Krieg ablenke. Daher sei Russland daran interessiert, ihn möglichst in die Länge zu ziehen und damit die Kräfte des Westens zu binden.

Andererseits wolle Wladimir Putin den Konflikt aber auf einem eher niedrigen Niveau halten, so "dass er nicht noch sich selbst gezwungen sähe, Ressourcen im Nahen Osten einzusetzen, die ihm ohnehin schon in der Ukraine fehlen".

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik