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Warum sich die Wirtschaft gegen Rechtsextremismus stellt

27. Februar 2024

Deutschland braucht jedes Jahr hunderttausende Zuwanderer, um den Fachkräftemangel zu lindern. Doch die könnten sich von Rassismus und dem Aufstieg rechter Parteien abgeschreckt fühlen. Ein Bündnis will das ändern.

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Deutschland | Produktion Mercedes-Benz Fahrzeuge in Sindelfingen (13.02.2023)
Autoproduktion im Mercedes-Benz Werk in Sindelfingen (2023)Bild: Bernd Weißbrod/dpa/picture alliance

Ausnahmsweise sind sie sich mal einig: Arbeitgeber und Gewerkschaften wollen dem Extremismus den Kampf ansagen und haben sich deshalb im süddeutschen Bundesland Baden-Württemberg zu einer neuen Allianz zusammen getan. "Es geht ganz konkret gegen rechtsextrem, gegen Verfassungsfeinde, denen Menschenwürde nichts gilt", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Startschuss der Veranstaltung.

Der Bundespräsident hatte bereits im Januar zu einem breiten Bündnis für Demokratie und gegen Extremismus aufgerufen. Der Arbeitgeberverband Südwestmetall und die Industriegewerkschaft Metall Baden-Württemberg sind der Forderung gefolgt und haben deshalb am Montagabend eine Erklärung mit dem Titel "Wirtschaft für Demokratie" verabschiedet. Auch die Autohersteller Mercedes-Benz und Porsche unterstützten die Erklärung. 

Rund 400.000 Fachkräfte pro Jahr aus dem Ausland benötigt

Für die Wirtschaftsakteure dürfte es um viel gehen: Denn Deutschland ist auf Fachkräfte aus dem Ausland dringend angewiesen. Der Anteil alter Menschen steigt, die sogenannten Babyboomer gehen nach und nach in Rente. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung werden deshalb etwa 400.000 Fachkräfte pro Jahr aus dem Ausland gebraucht. 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht auf der Veranstaltung "Für Demokratie und gegen Extremismus"
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: "Gegen Verfassungsfeinde" Bild: Marijan Murat/dpa/picture alliance

Hinzu kommt, dass immer weniger Menschen aus Osteuropa kommen, Zuwanderer aus Drittstaaten - also nicht EU-Ländern - dürften immer wichtiger werden. Doch die könnten sich durch Berichte über Rassismus und Diskriminierung abgeschreckt fühlen und erst gar nicht kommen. Oder aber nach unschönen Erfahrungen die Bundesrepublik wieder verlassen.

Autohersteller ohne Zuwanderer aufgeworfen

"Aus unserer Sicht ist jetzt wichtig, dass wir auch in den Betrieben Debatten führen und an unsere Punkte anknüpfen, zum Beispiel bei dem Thema Mitbestimmung", sagte Barbara Resch, Bezirksleiterin der IG Metall Baden-Württemberg, der DW. "Mitbestimmung sorgt aber auch für Sicherheit und ich glaube, manches rechte Gedankengut verfestigt sich auch bei Menschen, weil sie einfach Angst vor der Zukunft haben." Konkret könne sie sich beispielsweise auch eine Art "Demokratiezeit" für Betriebe vorstellen, in denen diskutiert wird und Weiterbildung stattfindet.

Mit ihrer Gewerkschaft wolle sie ein klares Zeichen gegen Rechts setzen. "Baden-Württemberg könnte keine Autos produzieren, keine Maschinen konstruieren und kein Bus würde hier mehr fahren, wenn wir nicht die Vielfalt der Nationen in den Betrieben und Verwaltungen hätten", sagte Resch weiter.

Türkisch im Pausenraum verboten

Wie Rassismus am Arbeitsplatz aussehen kann, zeigt beispielsweise ein Fall, der von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes dokumentiert wurde. Herr A., wie der Mann in dem Beispiel genannt wird, ist türkischstämmig und hat mehrere Kollegen, die ebenfalls türkischstämmig sind. Im Pausenraum unterhalten sie sich in beiden Sprachen - doch das ist seinem Arbeitgeber nicht recht. Er verbietet Gespräche auf Türkisch. Für die Antidiskriminierungsstelle stellt dies einen klaren Fall von "Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft" dar.

Eine Auszubildende aus El Salvador spricht in einem Seniorenheim mit einer Bewohnerin
Auszubildende aus El Salvador in einem Seniorenheim in Weimar (2022): Auch in der Pflege herrscht Fachkräftemangel Bild: Gero Breloer/dpa/picture alliance

Solche Vorkommnisse sind keine Einzelfälle. Auch zahlreiche Studien aus den vergangenen Jahren zeigen, dass Diskriminierungserfahrungen für viele Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund zum Alltag gehören können. 2016 hatte eine großangelegte Untersuchung der österreichischen Universität Linz mit fiktiven Bewerbungen innerhalb Deutschlands für Aufsehen gesorgt. Sie hat gezeigt, dass Frauen mit muslimischen Namen seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden. Trug die fiktive Bewerberin auf dem Foto ein Kopftuch, war die Quote der Einladungen noch geringer.

Schlechtestes Zeugnis für Deutschland

2023 stellte eine EU-Studie fest, dass sich schwarze Menschen in Deutschland besonders diskriminiert fühlen. Unter 13 EU-Ländern, in denen die EU-Agentur für Grundrechte (FRA) Befragungen durchführte, schnitt die Bundesrepublik am schlechtesten ab. Besonders bei der Jobsuche fühlten sich viele (51 Prozent in Deutschland) benachteiligt. In einer aktuellen OECD-Studie berichten mehr als die Hälfte der Fachkräfte, die nach Deutschland gekommen sind, von Diskriminierung. 

Wir gegen die: Populisten und die Wirtschaft

Auch das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung IAW hatte sich vor rund einem Jahr des Themas angenommen. Demnach berichteten 51 Prozent der Befragten von Diskriminierungserfahrungen, in der Gruppe der hochqualifizierten Fachkräfte aus außereuropäischen Herkunftsländern sind es zwei Drittel. Für etwas über fünf Prozent war dies auch ein Grund, Deutschland wieder zu verlassen.

"Wichtig ist es, auch auf die Leute zu schauen, die in Deutschland geblieben sind und von Diskriminierung betroffen sind", sagte der wissenschaftliche Direktor des Instituts, Bernhard Boockmann, der DW. "Die auch auf dem Arbeitsmarkt konkrete Nachteile erleiden und zum Beispiel berufliche Aufstiege nicht in dem Maße wie Deutsche ohne Migrationshintergrund mitmachen können und möglicherweise auch beim Gehalt diskriminiert werden. Das sind Probleme, die reichen weit über die Frage der Abwanderung hinaus." Auch das könnte durch das Bündnis verbessert werden. 

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft