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Georgien: Journalisten im Visier der Regierung

Anja Koch
21. November 2023

Ist Georgien bereit für die EU? Darüber will die Union im Dezember entscheiden. In Sachen Medienfreiheit hat das Land im Kaukasus Nachholbedarf, findet Brüssel – und in den vergangenen Monaten gab es Rückschritte.

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Studio von Formula TV in Tiflis, Foto: Anja Koch/DW
Studio von Formula TV in TiflisBild: Anja Koch/DW

Es sind nur noch wenige Sekunden bis zur 18-Uhr-Nachrichtensendung von Mtavari TV. Im kleinen Regieraum in einer Nebenstraße von Tiflis sitzt die Mannschaft beengt. Letzte Anweisungen, dann ist der Moderator Mikheil Sesiashvili on air. Es gab einen Unfall an der Universität, verletzt wurde niemand, damit beginnen die Nachrichten an diesem Abend.

Dass sie selbst auswählen dürfen, was und wie sie berichten, dafür haben die rund 300 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Mtavari TV hart gekämpft: 2019 haben sie den Fernsehsender innerhalb weniger Tage aus dem Boden gestampft. Kurz zuvor hatten sie in einem gemeinsamen Akt der Rebellion ihren vorherigen Arbeitgeber verlassen – weil sie die journalistische Linie als zu regierungsnah empfanden. Doch leicht ist die Arbeit auch jetzt nicht, erklärt der Moderator Sesiashvhili: ‟Ich moderiere bei einem Sender, dessen Geschäftsführer ein Jahr und drei Monate im Gefängnis saß – aus politischen Gründen. Er hat kein Verbrechen begangen, aber er war kritisch gegenüber der Regierung. Und jeder hier im Gebäude denkt sich: Vielleicht bin ich der nächste."

Politisch motiviertes Urteil gegen einen Journalisten?

Im Mai 2022 wurde der Geschäftsführer von Mtavari TV, Nika Gvaramia, zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Es ging um einen angeblich privat genutzten Dienstwagen. Er habe den Sender finanziell geschädigt, entschieden die Richter. Doch das Urteil empfanden Viele als politisch motiviert. Auch die EU rief die georgische Regierung dazu auf, Gvaramia freizulassen, zuletzt im Analysebericht der Europäischen Kommission, mit dem regelmäßig überprüft wird, ob  Georgien die Bedingungen für einen Beitritt zur EU erfüllt. Ende Juni begnadigte ihn die georgische Präsidentin Salome Surabischwili.

Regie des Senders Mtavari TV, Foto: Anja Koch, DW
Regie des Senders Mtavari TVBild: Anja Koch/DW

Trotzdem begleitet der Gedanke, dass Journalisten willkürlich im Gefängnis landen können, den Moderator Mikheil Sesiashvili jeden Tag: ‟Es ist schwer, aber wir Kollegen versuchen, uns gegenseitig Mut zu machen und uns darauf zu konzentrieren, warum wir diesen Job machen. Ich nenne uns Freiheitskämpfer, denn wir kämpfen für ein demokratischeres, freieres Georgien."

Gesetze als ‟bürokratisches Skalpell"

Mehr Freiheit, mehr Demokratie, das verbinden die meisten Georgier mit der  EU. Mehr als 80 Prozent sprechen sich in Umfragen regelmäßig für einen Beitritt aus, überall in Tiflis zieren Graffiti mit EU-Flaggen und der Aufschrift ‟Wir sind Europa" die Wände. Als Anfang November die EU-Kommission den europäischen Staats- und Regierungschefs empfahl, Georgien den Kandidaten-Status zu gewähren, kam es in der georgischen Hauptstadt zu spontanen Jubel-Kundgebungen. Nur: Von Zwölf Prioritäten, bei der die EU Nachholbedarf sieht, hat Georgien gerade einmal drei erfüllt.

EU-Flaggen bei Feierlichkeiten am Unabhängigkeitstag am 26. Mai in Tiflis
Feierlichkeiten am Unabhängigkeitstag am 26. Mai in Tiflis Bild: Alexander Patrin/TASS/dpa/picture alliance

In Sachen Pressefreiheit und Medienunabhängigkeit müsse die Regierung nachlegen, fordert Brüssel, doch die Regierung in Tiflis scheint das nicht zu beeindrucken. Im Frühjahr hat sie ein neues Gesetz erlassen, mit dem Journalisten und Journalistinnen im Parlament leichter die Akkreditierung entzogen werden kann. Demzufolge reicht es, eine unliebsame Frage ein zweites Mal zu stellen – dann kann der Zugang zum Parlament verwehrt werden. ‟Bürokratisches Skalpell" nennt Mariam Gersamia das neue Gesetz. Sie untersucht für Transparency International jährlich den Zustand der Medien in Georgien und hat wenig Erfreuliches zu berichten: ‟Wir sehen Kampagnen zur Diskreditierung von Journalisten und wir beobachten eine Dämonisierung des Berufs an sich. Unabhängige Journalisten werden als Parteianhänger verunglimpft, Politiker weigern sich, Sendern Interviews zu geben, die nicht auf ihrer Linie sind." Das führe zu einer weiteren Polarisierung, nicht nur der Medienlandschaft, sondern auch der Gesellschaft.

Ungleich verteilte Einnahmen verschärfen das Problem

Auch der Moderator Mikheil Sesiashvili berichtet, dass er regelmäßig Vertreter der Regierung in seine Sendung einlade, diese aber nie kämen. Sein Sender Mtavari TV hat ein weiteres Problem: Er ist klamm. Die Gehälter sind nur für die nächsten vier Monate gesichert, neue Geldquellen schwer zu erschließen. ‟Ich kenne viele Geschäftsführer und Firmeninhaber in Georgien, sie scheuen sich davor, Werbung bei uns zu schalten", sagt Sesiashvili, ‟weil sie befürchten, dann Ärger mit der Regierung zu bekommen, etwa durch besondere Prüfungen vom Finanzamt. Und leider muss ich sagen: Diese Befürchtungen sind begründet." Mariam Gersamia von Transparency International beschreibt eine Branche, in der vor allem der von der Regierung finanzierte staatsnahe Sender gut aufgestellt ist: Er bekomme allein von der Regierung mehr Geld, als alle anderen Sender zusammen durch Werbung einnehmen.

Ein Satiriker wird auf offener Straße zusammengeschlagen

Im Norden von Tiflis, abseits der schillernden Rustaveli Allee mit ihren internationalen Modeketten und der bei Touristen so beliebten Altstadt liegt das Büro von Formula TV, einem anderen oppositionsnahen TV-Sender. Hier nimmt Misha Mhsvildadze jede Woche seine Satire-Show auf. Der große, stämmige Mann nimmt dabei kein Blatt vor den Mund, bei vielen Georgien kommt das gut an, doch längst nicht bei allen. An einem Tag im Juni verlässt er wie üblich am frühen Abend das Büro – und wird auf der belebten, viel befahrenen Straße von mehreren Männern verfolgt und verprügelt.

Der Satiriker Misha Mhsvildadze, Foto: Anja Koch/DW
Der Satiriker Misha Mhsvildadze Bild: Anja Koch/DW

Man habe ihm wiederholt aufs Auge geschlagen, sagt Mshvildadze. Er glaubt, dass es nicht darum ging, ihm ernsthafte Verletzungen zuzufügen – dafür aber solche, die gut sichtbar sind: ‟In diesem Land kennt mich jeder. Mich öffentlich zu attackieren, sendet also eine Botschaft an alle hier: Wenn ich nicht sicher bin, ist niemand sicher. Und wer immer sich kritisch äußert, muss mit Bestrafung rechnen." Kollegen haben versucht, die Täter zu finden, haben den Überfall rekonstruiert und Aufnahmen von Überwachungskameras ausgewertet. Sie kamen zu dem Schluss, die Attacke sei vom georgischen Geheimdienst orchestriert worden. Tatsächlich wurde ein Mann als Täter verurteilt, der beim Geheimdienst angestellt war. Dessen Leiter aber bestreitet, dass der Täter auf Anweisung gehandelt habe.

‟Journalismus wird in Georgien nicht mehr als sicher angesehen", sagt Mariam Gersamia von Transparency International. ‟Es ist auch kein Job, der Popularität verspricht. Stattdessen gelten Journalisten als nervig". Die Zahl derer, die den Beruf wechseln, sei alarmierend. Kein gutes Zeichen für ein Land, das sich eigentlich auf den Weg Richtung EU machen will.