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Wirtschaftsweise: Mit Robotern und KI gegen Fachkräftemangel

Sabine Kinkartz aus Berlin
8. November 2023

Die Regierungsberater stellen der deutschen Wirtschaft ein schlechtes Zeugnis aus: Zu wenig Leistung, nicht mehr innovativ genug und obendrein geschwächt durch die Energiekrise.

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Übergabe des Jahresgutachtens der sogenannten Wirtschaftsweisen an den Bundeskanzler
Übergabe des Jahresgutachtens der sogenannten Wirtschaftsweisen an den BundeskanzlerBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Die Gasspeicher sind voll in Deutschland, das ist vor dem Winter eine grundsätzlich gute Nachricht. Die Schlechte: Die Preise für Gas und in Folge auch für Strom bleiben hoch. Heizen bleibt teuer und in den Unternehmen kostet die Produktion weitaus mehr, als das früher der Fall war. Das spüren alle. Die Bürger, weil sie weniger Geld im Portemonnaie haben; die deutsche Wirtschaft, weil sie mit ihren gestiegenen Produktionskosten international weniger wettbewerbsfähig ist.

Die hohen Zinsen für Kredite verhindern Investitionen, Bauvorhaben werden gestoppt oder erst gar nicht begonnen. Während in vielen Ländern der Welt die Wirtschaft wächst, schrumpft sie in Deutschland in diesem Jahr. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der die Bundesregierung wirtschaftswissenschaftlich berät, geht von minus 0,4 Prozent aus. Damit weist die deutsche Volkswirtschaft seit Beginn der Corona-Pandemie das geringste Wirtschaftswachstum im Euro-Raum auf. Noch im Frühjahr waren der Rat davon ausgegangen, dass Deutschland um eine Rezession herumkommt

Magere Aussichten 

Für das Jahr 2024 nehmen die Wirtschaftsweisen, wie sie umgangssprachlich genannt werden, eine Inflationsrate von 2,6 Prozent an. In der Folge könnte ein verhaltenes Konjunkturplus von 0,7 Prozent möglich sein. Ein Wert, der bei weitem nicht ausreicht, um Deutschland aus der Krise zu führen.

Eine Mitarbeiterin der Firma Pilz arbeitet in der Produktion für Automatisierungstechnik.
Die deutsche Industrie (hier eine Fertigungslinie der Firma Pilz, die Automatisierungstechnik herstellt) steht für mehr als 20 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung Bild: Bernd Weißbrod/dpa/picture alliance

Die mittelfristigen Wachstumsaussichten seien in Deutschland auf einem historischen Tiefstand, heißt es im Jahresgutachten, das am Mittwoch dem Bundeskanzler übergeben wurde (siehe Artikelbild). Die Gesellschaft altert, immer weniger Arbeitskräfte bringen zu geringe Leistung. Die Sachverständigen monieren außerdem veraltete Industrieanlagen sowie die geringe Anzahl junger und innovativer Unternehmen. Das seien deutliche Wachstumshemmnisse.

Arbeits- und Fachkräftemangel nimmt rapide zu

"Um die Wachstumsschwäche zu überwinden, muss Deutschland in seine Zukunft investieren. Dafür sind stärkere Produktivitätsfortschritte durch Innovationen, Investitionen und mehr Dynamik bei Unternehmensgründungen notwendig. Diese können das sinkende Arbeitsvolumen teilweise kompensieren", so Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrates.

In vier Kapiteln analysieren die Wirtschaftsweisen den aktuellen Zustand und machen Verbesserungsvorschläge. Mit Blick auf den Arbeits- und Fachkräftemangel empfehlen sie stärkere Erwerbsanreize, eine ambitionierte Zuwanderungspolitik, verbesserte Schulbildung und eine Stärkung der Universitäten. 

Der Nachwuchs fehlt - in jeder Beziehung

Wie sehr es in diesem Bereich hapert, haben Arbeitgeberverbände in ihrem MINT-Herbstreport 2023 deutlich gemacht. MINT ist die Abkürzung für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Der deutschen Wirtschaft fehlen in diesem Bereich aktuell fast 286.000 Arbeitskräfte und die Lage werde absehbar noch schwieriger, weil es in den Schulen zu wenig Lehrkräfte für diese Fächer gibt. 

Fertigung von Zahnrädern bei Heidelberger Druckmaschinen AG
Manche befürchten eine Deindustrialisierung des Standorts Deutschland durch hohe Energiepreise und überbordende BürokratieBild: Ute Grabowsky/photothek/picture alliance

Das führe zu mangelnden MINT-Grundlagenkompetenzen bei Schülerinnen und Schülern, die sich auf die Ausbildungs- und Berufswahl auswirken. "Der inländische MINT-Nachwuchs kann den nationalen Bedarf an MINT-Arbeitskräften nicht dauerhaft decken", heißt es im Report. Doch gerade die technischen Berufe sind wichtig, um innovativer zu werden und die Herausforderungen durch den Klimaschutz und die Digitalisierung, also die grüne und die digitale Transformation zu meistern. 

Mehr Roboter und künstliche Intelligenz

In den kommenden 15 Jahren beschleunigt sich die demografische Alterung in Deutschland deutlich. Absehbar werde es nicht ausreichen, das Arbeitsvolumen beispielsweise durch qualifizierte Zuwanderung oder eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erhöhen, warnen die Wirtschaftswissenschaftler. Menschen müssten in Zukunft dort eingesetzt werde, wo sie am produktivsten sein können. 

Den Rest sollen Maschinen, Roboter und die Informationstechnologie, kombiniert mit Künstlicher Intelligenz erledigen. In diesen Bereichen empfehlen die Wirtschaftswissenschaftler kräftige Investitionen, um die gesamtwirtschaftliche Produktivität zu erhöhen.

Neue Ideen, neue Unternehmen

Startups, also junge und innovative Unternehmen, haben es in Deutschland und Europa schwer, wenn sie sich finanzieren und wachsen wollen. Risikokapitalgeber sind rar, Finanzierung läuft immer noch häufig über Banken und Kredite. Seit vielen Jahren mahnen die Wirtschaftsweisen in ihren Gutachten an, dass die Kapital- und Aktienmärkte stärker entwickelt werden müssten. 

Ein Vorschlag ist, den Bürgern Aktienanlagen schmackhafter zu machen. Auch mit Blick auf die ohnehin notwendige Rentenreform. Wegen der beschleunigten Alterung der Gesellschaft wird die gesetzliche Rentenversicherung weiter unter Druck geraten. 

Aktien schon für Schüler

Die Wirtschaftsweisen regen an, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung bei Renteneintritt zu koppeln und mit einer neuen Form der ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge zu kombinieren. Dafür wird ein öffentlich verwalteter Pensionsfonds mit "attraktiven Anlagemöglichkeiten" am Aktien- und Kapitalmarkt vorgeschlagen. 

"Um die großen Renditevorteile sowie das geringe Risiko breit gestreuter Anlagefonds allen Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, sollten schon Kinder und Jugendliche mit einem Startkapital ausgestattet werden, das in einen solchen Fonds investiert wird", fordert die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier.

Politiker lassen sich ungern kritisieren

"Hoffen wir, dass unsere Analysen und Einschätzungen für die wirtschaftspolitische Entscheidungsfindung hilfreich sein werden", sagte die Sachverständigenrats-Vorsitzende Monika Schnitzer bei der Übergabe des Gutachtens an den Bundeskanzler. 

Olaf Scholz ging in seinem Statement auf die kritischen Vorschläge der Wissenschaftler allerdings nicht ein. Stattdessen gab er sich "zuversichtlich" und listete auf, was die Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht habe, um "dafür zu sorgen, dass wir wieder auf die Spur kommen". Für das Gutachten "und die viele Arbeit" bedankte er sich. "Wir freuen uns über die Ratschläge, die wir dann auch bei Gelegenheit vertieft diskutieren werden."